Was haben Vereine der Bundesliga mit Amazon und Facebook gemeinsam? Wie die Internetplattformen unterliegen Fußballvereine bei der Aussperrung ihrer Nutzer einem erhöhten Begründungs- und Ermittlungsaufwand, erläutert Andreas Graef.
Die Fußball-Bundesliga ist weiterhin die zuschauerstärkste Fußballiga der Welt. Laut Angaben des Dachverbandes Deutsche Fußballiga (DFL) besuchten in der Saison 2017/18 im Schnitt 43.879 Zuschauer die Spiele der 1. Bundesliga. In der 2. Bundesliga kamen in der vergangenen Spielzeit durchschnittlich 17.473 Fans zu den Spielen. Insgesamt strömten 18.773.618 Fans zu den Spielen der 36 Bundesligamannschaften. Angesichts des ungebrochen großen Publikumsinteresses kommt Fußballvereinen und Verbänden eine Garantenstellung für die Gewährleistung eines sicheren Stadionerlebnisses zu. Ein wichtiges Instrument zur Erreichung dieses Ziels ist die Verhängung von örtlichen und bundesweiten Stadionverboten. Es verwundert daher nicht, dass im Jahr 2016 nach Mitteilung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gegen 2.351 Fußballfans in Deutschland bundesweite Stadionverbote bestanden.
Unter welchen materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen insbesondere Fußballvereinen als Inhabern des privaten Hausrechts eine Verhängung von Stadionverboten gestattet ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kürzlich am 11.04.2018 in einem richtungsweisenden Beschluss dargelegt (Urt.v 11.04.2018, Az. 1 BvR 3080/09). An dieser Stelle soll nicht der Versuch unternommen werden, die Entscheidung der Karlsruher Richter nachzuzeichnen und zu bewerten. Der vorliegende Beitrag stellt unter Bezugnahme auf aktuelle Praxisbeispiele die Frage in den Mittelpunkt, wie sich in der Praxis das Bemühen der Fußballvereine um eine rechtskonforme Aussprache von Stadionverboten und die Interessen des Verbotsempfängers an einem fortgesetzten Stadionbesuch in Einklang bringen lassen.
Fußballvereine als selbständige Ermittlungs- und Kontrollinstanz
Ausgangspunkt für die Aussprache eines Stadionverbots ist stets das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Ein solcher wird stets dann anerkannt, wenn von einer Person die nachweisbare Gefahr einer künftigen Störung ausgeht. Anders als in der Vergangenheit häufig zu beobachten, dürfen sich die Festsetzungsberechtigten (Fußballvereine, DFB und DFL) die ihnen überlassenen Ermittlungsergebnisse der Polizeibehörden nicht ohne vorgelagerte Prüfungen uneingeschränkt zu eigen machen.
Insbesondere die Vereine nehmen mittlerweile die Rolle einer selbständigen Ermittlungs- und Kontrollinstanz ein. Die ihnen von dritter Seite vorgelegten Informationen müssen sie stets kritisch hinterfragen. Dies geht so weit, dass selbst die Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns einer Prüfung zu unterziehen ist. An eine natürliche Grenze stoßen die Bemühungen der Fußballvereine, wenn man sich deren begrenzten Handlungsinstrumente vor Augen führt. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen das für ein Stadionverbot herangezogene Fehlverhalten außerhalb des befriedeten Bereichs der Platz- oder Hallenanlage stattgefunden hat. Im Gegensatz zu ihrem staatlichen Gegenüber können vor allem Vereine in den Amateurligen nicht auf ein entsprechendes Know-How zurückgreifen. Erschwerend kommt das Fehlen eines Arsenals an gesetzlichen Ermittlungsbefugnissen hinzu.
Ungeachtet dieser Strukturdefizite müssen Fußballvereine ihrer Verantwortung zur Vermeidung vorschneller Stadionverbote gleichwohl gerecht werden. Mit Blick auf die tatsächlichen Möglichkeiten ist die inhaltliche Rückkoppelung zu den Untersuchungsergebnissen der Polizeibehörden stets sorgfältig schriftlich zu dokumentieren. Dies kann beispielsweise durch Gesprächsprotokolle oder Fragebogentechniken geschehen. Beweismaterialien sollten mit Hilfe der verfügbaren Erkenntnisquellen umfassend gesammelt werden und Eingang in einen Abschlussbericht finden. Welche Folgen ein zu undifferenzierter Umgang mit den Ermittlungen der Polizeibehörden haben kann, belegt eine im August 2018 unter Bezugnahme auf die Vorgaben des BVerfG ergangene Entscheidung des AG Frankfurt. Dort hat das Gericht das gegen einen Anhänger von Hannover 96 erlassene Stadionverbot aufgehoben. Im Mittelpunkt des Urteils stand der von gerichtlicher Seite beanstandete Mangel einer anforderungsgerechten Plausibilitätskontrolle der polizeilichen Ermittlungsergebnisse durch den für das Stadionverbot verantwortlichen DFB.
Einhaltung verfahrensrechtlicher Mindeststandards
Die Stadionverbots-Richtlinie des DFB greift den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs auf. Vor der Festsetzung eines Stadionverbots soll dem Betroffenen eine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Alternativ reicht es auch aus, wenn das Stadionverbot ohne Stellungnahme ergangen ist und der Betroffene diese nachträglich abgeben kann. Auf diese Möglichkeit ist der Betroffene hinzuweisen.
Das in der Stadionverbots-Richtlinie vorgeschlagene Procedere erweist sich nur als bedingt praxistauglich. Der Verhängung eines Stadionverbots sollte eine schriftliche Anhörung stets zwingend vorauszugehen. Dem Anhörungsschreiben seinerseits ist die Entscheidung über das Stadionverbot in einer Entwurfsfassung beizufügen. Der von dem Stadionverbot Betroffene kann bei einer solchen Vorgehensweise nicht nur zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen umfassend Stellung nehmen.
Der Verbotsadressat kann zugleich prüfen, ob das Stadionverbot auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Der hier vorgeschlagene Modus Operandi schafft ein Höchstmaß an Transparenz. Er findet seinen Ursprung im Wirtschaftsverwaltungsrecht. Dort hat es sich bewährt, belastende Verwaltungsakte in einer Entwurfsfassung zu veröffentlichen und die tragenden Inhalte im Bedarfsfall unter Berücksichtigung der eingegangenen inhaltlichen Rückkoppelungen anzupassen.
Stadionverbote aufgrund politischer Gesinnung zulässig
Im Gegensatz zu anderen gewerblichen Anbietern im Freizeitbereich dürfen Fußballvereine angesichts des Massencharakters der von ihnen angehaltenen Veranstaltungen die Zusammensetzung des Publikums nicht nach Belieben steuern. Gleichwohl haben zahlreiche Vereine (u.a. Eintracht Braunschweig, Energie Cottbus, Werder Bremen, Borussia Dortmund) in den vergangenen Jahren die politische Gesinnung einzelner Stadionbesucher als sachlichen Grund für ein Stadionverbot herangezogen.
Da Fußballvereine und ihre Verbände über einen weiten Spielraum bei der Bewertung verfügen, dürften derartige Initiativen auch zukünftig möglich sein. Sie erfordern aber ein hohes Begründungserfordernis. Ein wichtiges Argument dürfte die Beurteilung der Frage sein, welchen Einfluss die betreffende politische Szene auf die Stadionsicherheit in der jüngeren Vergangenheit hatte und welche Stellung der Adressat des Stadionverbots innerhalb der Gruppe einnimmt. In die erforderliche Güterabwägung kann ferner das Ausmaß der politischen Aktivitäten des Verbotsempfängers einen Eingang finden.
Nicht unberücksichtigt bleiben darf zudem die Vorbildfunktion eines Fußballvereins für die zahlreichen Stadionbesucher. Den zuletzt angesprochenen Gesichtspunkt hat der Strafsenat des OLG Dresden als zulässiges Abwägungselement anerkannt. In einem Urteil aus dem Jahr 2016 haben die sächsischen Richter ein Stadionverbot gegen einen rechtsextremen Anhänger des 1. FC Lokomotive Leipzig auch deshalb für zulässig erachtet, weil das "stadionbezogene Hausverbot als ansehensfördernde Maßnahme des Vereinsvorstandes sachlich begründet war".
Der Autor Dr. Andreas Graef, MBA, ist Partner der Sozietät BDO Legal Rechtsanwaltsgesellschaft in Düsseldorf. Zu seinen Spezial-Gebieten zählt die Beratung von Fußballvereinen und Verbänden in regulatorischen Fragen.
Stadionverbote in der Bundesliga: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32589 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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