Amtshaftungsklage gegen Thüringen nach NSU-Bericht: Kölner Opfer will Entschädigung für Nagelbombenanschlag

von Anne-Christine Herr

10.09.2014

Die Ermittlungen im Fall NSU waren ein Fiasko. Die Behörden hätten versagt, heißt es im Bericht des Thüringer Untersuchungsausschusses. Ein Geschädigter fordert nun Schadensersatz, weil er beim Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße traumatisiert worden sei. Seine Anwälte Khubaib Ali Mohammed und Andreas Schulz wollen mit der Klage aber noch etwas ganz anderes erreichen.

Ismail P. hielt sich am 9. Juni 2004 in seinem Dönerladen auf der Kölner Keupstraße auf – eine sehr belebte Meile im Stadtteil Mülheim, die durch ihr orientalisches Flair und die vielen türkischen Einzelhandelsgeschäfte geprägt ist. Vermutlich waren es die Mitgründer der rechtsradikalen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die an diesem Tag das Fahrrad auf die Straße vor dem Laden schoben, auf dem später eine Nagelbombe explodierte.

Bei dem Anschlag wurden 22 Menschen teils lebensgefährlich verletzt und der türkische Imbiss verwüstet. Ismail P. wurde zwar nicht direkt von den Nägeln getroffen. Er erlitt jedoch ein Knalltrauma und einen lange Zeit andauernden Tinnitus. Noch heute leidet er an den Folgen eines posttraumatischen Belastungssyndroms und meidet größere Menschenmengen.

Während vor dem Oberlandesgericht (OLG) München dem überlebenden NSU-Mitglied Beate Zschäpe  der Prozess gemacht wird (Az. 6 St 3/12), setzten sich Untersuchungsausschüsse des Bundes und des Landes Thüringen mit den Fehlern des Staates im Ermittlungsverfahren auseinander. In einem über 1.800 Seiten langen Abschlussbericht, den er in über zwei Jahren erarbeitet hat und der am 21. August 2014 veröffentlicht wurde, wirft der Ausschuss des Thüringer Landtags den Landesbehörden vor, viele Anschläge nicht verhindert zu haben, obwohl es ihnen möglich gewesen wäre.

Erfahrene Opfer-Anwälte

Diesen Vorwurf erhebt nun auch Ismail P. Sein Anwalt Khubaib Ali Mohammed reichte am 18. August beim Landgericht (LG) Erfurt (Az. 10 O 1083/14) eine Amtshaftungsklage gegen das Land Thüringen ein. In der 44-seitigen Klageschrift begründet er, der Anschlag auf den Kölner Dönerladen habe nur passieren können, weil die Thüringer Landesbehörden die mutmaßlichen Täter nicht vorher gefasst hatten, obwohl ihnen das möglich gewesen wäre. Er sieht zwar auch Bundesbehörden als weitere Verantwortliche an – im Fall einer Verurteilung aber müsse Thüringen den Schadensausgleich mit dem Bund im Sinne der gesamtschuldnerischen Haftung intern regeln.

Vor Gericht verlangt Mohammed nun für seinen Mandanten, der auch im Münchner Strafverfahren als Nebenkläger auftritt, Schmerzensgeld wegen dessen Traumatisierung sowie Schadensersatz für die materiellen Schäden und die Umsatzeinbußen, welche dieser zu verzeichnen hatte. Aus Angst vor weiteren Anschlägen hätten Kunden den Laden über Monate gemieden.

Mohammed arbeitet mit einem Team erfahrener Schadensersatz-Anwälte zusammen. Sein Kollege Andreas Schulz hat langjährige Erfahrung bei der Vertretung von Opferinteressen. Er vertrat Angehörige der Mauerschützen-Opfer, die Überlebenden des Anschlags auf die Diskothek "La-Belle", Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001, von Djerba und des Bombenangriffs der deutschen Bundeswehr auf das afghanische Dorf Kunduz.

Politische Dimensionen eines rechtlichen Verfahrens

Das Anwalts-Team weiß um die politische Brisanz des Vorgehens – gerade dahinter steckt das Kalkül. Denn das wirklich erstrebte Ziel sei eine zeitnahe "ex-gratia"-Entschädigung seitens des Staates, sagt Schulz. Politisch motivierte Kompensationszahlungen dieser Art würden meist freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gezahlt. Sie zeigten aber, dass der Staat den Rechtsfrieden wiederherstellen möchte und aus humanitären Gründen Hilfe für die Opfer leisten will. Diese Zahlungen könnten viel höher ausfallen, als es mit juristischen Mitteln in Deutschland möglich wäre – in der Vergangenheit seien in Einzelfällen siebenstellige Summen geleistet worden.

Die Strategie, zunächst aus Amtshaftung zu klagen, um letztendlich nicht nur die gerichtliche, sondern auch eine politische Entscheidung zu erwirken, beruhe auf bewährten – primär psychologischen - "Mechanismen" und einer "Eigendynamik", die der Schadensersatzanwalt in vergangenen Fällen bewiesen habe.

Trotz Gewaltenteilung führe die öffentlich politisch ausgetragene Diskussion zu einem anderen Bewusstsein der Entscheidungsträger.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Amtshaftungsklage gegen Thüringen nach NSU-Bericht: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13131 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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