Deutschland diskutiert, nachdem Hochspringerin Ariane Friedrich auf ihrer Facebook-Seite eine sexuelle Belästigung öffentlich machte und den Mann, der ihr ein Foto seines Geschlechtsteils zusandte, mit Namen und Anschrift nannte. Nicht nur die Medienrechtler fragen sich, ob die 28-Jährige zu weit gegangen ist. Nein, meint Niko Härting und stützt sich dabei auf die höchsten deutschen Gerichte.
"Und Fernsehstar XY? Was mag sie gefühlt haben, als sie erfuhr, dass ihr neuer Freund Anton Mustermann noch vor wenigen Monaten als Pornodarsteller brillierte - ohne Kondom natürlich. Kann es nach einem solchen Vertrauensbruch eine andere Lösung als Trennung geben?"
Man stelle sich ein solches Posting auf einer Facebook-Fanseite vor: Der Lebensgefährte einer Prominenten wird gegen seinen Willen als Ex-Pornostar "geoutet". Unter voller Namensnennung. Für jeden Fan sichtbar.
Ein Sturm der Entrüstung bricht aus: Ein solches "Outing" könne die Zukunft des Herrn Mustermann zerstören. An Intimitäten bestehe keinerlei Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Und vielleicht liege ja sogar eine Verwechslung vor, es stehe doch gar nicht zweifelsfrei fest, dass Herr Mustermann kein Kondom benutzt habe. Außerdem gebe es ja noch gleichnamige Herren, die aufgrund des Postings versehentlich mit kondomfreien Pornos in Verbindung gebracht werden könnten Jede Wette: Unter den Berufskollegen und Medienrechtlern würde sich eine erdrückende Mehrheit für den Standpunkt finden, dass Herr Mustermann nicht an den "Internetpranger" gestellt werden darf und das "Outing" sogar ein Fall für die Strafjustiz ist.
BGH: Wahre Tatsachenbehauptungen nur ausnahmsweise verboten
Der Bundesgerichtshof (BGH) sieht dies anders: "Wenn Frauen zu sehr lieben". Unter dieser Überschrift hatte das Klatschblatt "Auf einen Blick" im Sommer 2007 über den neuen Lebensgefährten einer bekannten Schauspielerin berichtet. Ein Mann mit Vergangenheit, der an insgesamt acht Pornofilmen mitgewirkt hatte, wie die Zeitschrift freizügig und unter Namensnennung mitteilte.
Das Landgericht Berlin und das Kammergericht sahen hierin eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Der BGH widersprach den Berliner Gerichten und betonte in seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2011, dass ein Verbot wahrer Tatsachenbehauptungen nur im Ausnahmefall in Betracht kommt*. Dies ergebe sich unmittelbar aus Art. 5 Grundgesetz und Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (BGH, Urt. v. 25.10.2011, Az. VI ZR 332/09).
Nicht der "Fall Mustermann", sondern der Fall der Hochspringerin Ariane Friedrich bewegt derzeit die Gemüter. Sie hat eine Facebook-Fanseite mit rund 8.500 Fans und über das soziale Netzwerk eine Nachricht erhalten. Sie stammt von einem Herrn D. aus A und lautet: "Willst du mal einen schönen Schw*** sehen, Gerade geduscht und frisch rasiert."
Beigefügt eine Datei – mutmaßlich ein Foto des "Schw***". Ariane Friedrich wehrte sich. Den Wortlaut der Mail nebst Namen und Wohnort des Absenders kann man auf ihrer Fanseite nachlesen. In den Medien und im Netz wird der Fall Friedrich derzeit hitzig diskutiert. Die große Mehrheit der Berufskollegen und Medienrechtler äußert sich empört. Die Empörung gilt nicht Herrn D., sondern der Hochspringerin, die durch das "Outing" Persönlichkeitsrechte des Stalkers verletzt habe.
Was offline erlaubt ist, ist auch online erstmal legal
Der BGH würde dies anders sehen: Dass Herr D. aus A. eine Facebook-Nachricht mit anzüglichem Inhalt geschrieben hat, ist eine Tatsachenbehauptung. Ihre Verbreitung steht unter dem Schutz des Art. 5 GG. Dabei macht es grundsätzlich keinen Unterschied, in welcher Form die Behauptung aufgestellt wird.
Niemand würde bezweifeln, dass Ariane Friedrich Freunden, Verwandten und Bekannten den Namen des Stalkers nennen darf. Dass die Mitteilung an 8.500 Fans erfolgte und sich daraufhin – medial unterstützt – sehr weit verbreitete, stellt per se keinen Grund dar, der Meinungsfreiheit Grenzen zu setzen.
Der Sohn einer FDP-Politikerin, ein Rechtsanwalt und zwei Schauspielersöhne haben dies erfahren müssen, als sie beim Bundesverfassungsgericht vergeblich Verbote von Online-Veröffentlichungen erwirken wollten und dabei auf die "Prangerwirkung" der Netzkommunikation hinwiesen (BVerfG, Beschl. v. 18.02.2010, Az. 1 BvR 2477/08, Beschl. v. 09.03.2010, Az. 1 BvR 1891/05, Beschl. v. 25.01.2012, Az. 1 BvR 2499/09 und 1 BvR 2503/09).
Auch im Streit um das Lehrerbewertungsportal spickmich.de hatten Lehrer die "Prangerwirkung" des Netzes beklagt. Vergeblich, denn was offline erlaubt ist, ist auch online grundsätzlich legal (BGH, Urt. v. 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08 - spickmich.de).
Natürlich gibt es Grenzen Es bedarf auch bei einer wahren Tatsachenbehauptung einer Abwägung zwischen Kommunikationsfreiheit und Persönlichkeitsrechten. Diese Abwägung aber ist gegenüber dem "Wahrheitsbeweis" nachrangig. Denn wenn die Aussage unwahr (oder jedenfalls nicht erweislich wahr) ist, gibt es nichts abzuwägen. War Herr D. aus A. jedoch tatsächlich der Stalker, wird die Abwägung zu seinen Lasten ausfallen. Denn dann wird man ihm die "Bloßstellung" zumuten können und müssen.
Der Autor Professor Niko Härting ist Partner bei Härting Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftrager und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen vor allem zum IT- und IP-Recht.
*Anm. d. Red.: Fälschlich enthielt der Beitrag zunächst das BGH-Zitat, ein Verbot unwahrer Tatsachenbehauptungen komme nur im Ausnahmefall in Betracht. Tatsächlich gilt dies selbstverständlich nur für wahre Tatsachenbehauptungen. Die entsprechende redaktionelle Korrektur erfolgte knapp 30 Minuten nach der Veröffentlichung des Beitrags noch am selben Tag.
Niko Härting, Ariane Friedrich outet Stalker auf Facebook: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6065 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag