Gegen sexuellen Missbrauch von Kindern: GroKo plant wei­tere Straf­ver­schär­fungen

von Hasso Suliak

23.03.2021

Höhere Strafrahmen, Ausweitung der Tatbestände: Im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern hat die GroKo noch mal nachgelegt. Die Änderungen sollen Donnerstag im Bundestag beschlossen werden. Bedenken von Juristen wurden ignoriert.

Von der Bundestagsanhörung im Dezember zum "Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder" blieb für die Koalition und ihre Pläne eine schallende Ohrfeige übrig. Nahezu alle der eingeladenen Jurist:innen äußerten fundamentale Kritik an den Plänen zu den Strafverschärfungen im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs und der Kinderpornografie. 

Wer allerdings dachte, dass sich die Rechtspoltiker:innen von Union und SPD die geballte Kritik von Richter:innen, Ermittler:innen, Anwält:innen und Hochschullehrer:innen an den Gesetzesplänen groß zu Herzen nehmen, sieht sich nun getäuscht: In dem Änderungsantrag, auf den sich beide Fraktionen im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf nun verständigt haben, finden sich diverse bedeutsame Anregungen der Sachverständigen nicht wieder. Wenn am Donnerstag im Deutschen Bundestag die Änderungen final in 2. und 3.Lesung beschlossen werden, dürfte bei den meisten von ihnen daher die Enttäuschung groß sein.

Ignoriert hat die Koalition etwa die nahezu einhellige Kritik der Expert:innen an den geplanten Verschärfungen der Strafrahmen im Strafgesetzbuch (StGB) bei Missbrauch (§ 176 StGB) und Kinderpornografie (§ 184b StGB). Es bleibt bei den ursprünglichen Vorschlägen: So wird bei § 176 StGB, der sexuelle Handlungen an Kindern mit Körperkontakt unter Strafe stellt, die Mindeststrafe auf ein Jahr angehoben und der Tatbestand damit zum Verbrechen hochgestuft. Damit ist u.a. auch die Einstellung entsprechender Strafverfahren nach den §§ 153, 153a der Strafprozessordnung (StPO) ausgeschlossen. 

Rechtspolitiker der Union: "Kein Pardon bei Kindesmissbrauch"  

Ein Unding, wie die Sachverständigen immer wieder betonten, und selbst für die Ermittler:innen alles andere als ein Gewinn: In Grenzfällen, bei denen die Erheblichkeitsschwelle nur unwesentlich überschritten werde, könne das Unrecht nicht mehr angemessen abgebildet werden, kritisierte etwa die Frankfurter Staatsanwältin Dr. Julia Bussweiler in der Anhörung. 

Um hier wenigsten ein bisschen Flexibiltät zu ermöglichen, hatten die Sachverständigen fast unisono zumindest für die Einführung eines minder schweren Falles plädiert. Doch auch hier blieb die Koalition jetzt unbeeindruckt. "Sexueller Missbrauch von Kindern wird nun endlich als das bestraft, was er ist, als Verbrechen. Die Seele von Kindern wird durch diese Taten auf das Schwerste verletzt. Viele Opfer bleiben oftmals ihr Leben lang traumatisiert. Hier darf es kein Pardon geben", stellte der rechtspolitische Sprecher der Union, Jan-Marco Luczak, in einer Pressemitteilung klar.

Kritik an der Unnachgiebigkeit der Koalition hinsichtlich der Strafrahmen-Anhebung äußerten sodann auch diverse Strafrechtler, die bei der Anhörung noch auf Änderungen gehofft hatten - wie etwa der Tübinger Strafrechtler Prof. Dr. Jörg Eisele: "Der Verzicht auf einen minder schweren Fall bei § 176 StGB kann künftig angesichts des Verbrechenscharakters der Tat die Praxis bei leichten Fällen, die die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB nur knapp überschreiten, vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten stellen", bekräftigte er gegenüber LTO. Weiter kritisierte Eisele "dass im Bereich der Kinderpornografie leider darauf verzichtet wurde, die Strafrahmen nach der Schwere der abgebildeten Missbrauchshandlungen abzustufen, so dass etwa zwischen einem einzigen Posingfoto und Videoaufnahmen mit schweren Vergewaltigungshandlungen von kleinen Kindern nicht hinreichend differenziert wird."

Sachverständige von Änderungen enttäuscht

Ähnlich enttäuscht reagierte auch Eiseles Kollege, Prof. Dr. Jörg Kinzig: Für ihn entspreche der Gesetzentwurf auch nach den erfolgten Änderungen "in weiten Bereichen nicht den Anforderungen an eine 'evidenzbasierte Kriminalpolitik', zu der sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode bekannt hätten. "Die ausnahmslose Heraufstufung von Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Körperkontakt und dem Besitz kinderpornographischer Schriften zu Verbrechen verkennt, dass es auch in diesem Bereich Fälle minder schweren Unrechts gibt", so Kinzig.  Die durch "undifferenzierte Mindeststrafandrohungen" hervorgerufenen Kollateralschäden seien dem Hochschullehrer zufolge geeignet, den vom Gesetzgeber propagierten Schutz der Kinder zu verhindern. "Möglichkeiten, im Einzelfall ein Verfahren einzustellen, es ohne Hauptverhandlung im Strafbefehlsverfahren zu erledigen oder die Tat (nur) mit einer Geldstrafe zu ahnden, können, wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, durchaus im wohlerwogenen Interesse der betroffenen Kinder liegen." 

Auch die Vorsitzende der Kommission Strafrecht im Deutschen Juristinnenbund (djb), Dr. Leonie Steinl, kritisierte gegenüber LTO "die vorgesehenen Strafrahmenverschärfungen bzw. das Fehlen von minder schweren Fällen". Im Vordergrund der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch von Kindern müsse eine "effektive Prävention" stehen. Dazu müsste die Thematik u.a. in der pädagogischen, medizinischen als auch juristischen Ausbildung verankert werden.  Steinl bedauerte außerdem, dass der Gesetzentwurf insoweit keine Qualifikationsanforderungen an Ermittlungsrichter:innen sowie die Aufnahme einer Fortbildungsverpflichtung in das Richtergesetz des Bundes enthalte. "Das ist gerade angesichts der Tatsache, dass verpflichtende Fortbildungen für Richter*innen ein zentraler Bestandteil einer geschlechtergerechten menschenrechtsbewussten Justiz sind, sehr zu bedauern."

Absage ans BMJV: Keine neue Begrifflichkeit im StGB

Unisono begrüßt wurde von den Sachverständigen dagegen eine Änderung im Vergleich zum Vorentwurf, die vor allem eine herbe Enttäuschung für die Bundesjustizministerin bedeutet. Diese wollte im StGB an allen Stellen den Begriff des "Sexuellen Missbrauchs von Kindern " durch den Begriff der "Sexualisierten Gewalt gegen Kinder" ersetzen: Mit dieser begrifflichen Neufassung sollte das Unrecht dieser Straftaten klarer umschrieben werden und eine Bagatellisierung entgegengewirkt werden: "Jede sexuelle Handlung mit einem Kind ist als sexualisierte Gewalt zu brandmarken", hieß es daher noch im ursprünglichen Entwurf. Nachdem allerdings auch in diesem Punkt die Kritik der Sachverständigen eindeutig war, weil sie befürchteten, dass in Fällen ohne direkte Gewaltanwendung künftig der strafrechtliche Schutz von Kindern lückenhaft werden könne, vollzog die GroKo an dieser Stelle jetzt eine Kehrtwende: 

"Den einschränkenden und irreführenden vom Justizministerium neu eingeführten Begriff der 'sexualisierten Gewalt' haben wir aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Sexuelle Handlungen an Kindern müssen immer strafbar sein, auch wenn der Täter keine körperliche Gewalt einsetzt, sondern das Kind beispielsweise manipuliert, um es zu sexuellen Handlungen zu bewegen", bestätigte CDU-Rechtspolitiker Luczak. Auch sein Koalitionspartner SPD hatte ein Einsehen: So verwies Fraktions-Vize Dirk Wiese gegenüber LTO auf "klare Definitionen", auf die Justiz und Rechtsprechung bei ihrer Arbeit angewiesen seien. "Daher haben sich die Koalitionsfraktionen, im engen Austausch mit der Praxis, Wissenschaft und BMJV, darauf geeinigt, dass es im Strafgesetzbuch bei der bisherigen Begrifflichkeit des sexuellen Missbrauches bleibt", so der SPD-Politiker.

Weitere Strafverschärfungen 

Unterdessen hat die GroKo an diversen Stellen des ursprünglichen Gesetzestextes weitere Strafverschärfungen vorgenommen. So wird der neue § 176a StGB, der den sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt mit dem Kind unter Strafe stellt, um die Tatvariante ergänzt, in der der Täter die sexuelle Handlung vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt. Gegenwärtig könnte die Person, die vor einem Kind sexuelle Handlungen durch einen Dritten an sich vornehmen lässt, nur als Teilnehmer der Tat des Dritten bestraft werden. 

Auch der schwere sexuelle Missbrauch nach § 176c StGB wird erweitert: Als Täter macht sich auch strafbar, wer über 18 Jahre alt ist und das Kind zum Beischlaf mit einer Person unter 18 Jahren bestimmt. Wenn das Kind zum Beischlaf mit einer jugendlichen Person gezwungen werde, bestehe schließlich - so die Begründung - das gleiche Strafbedürfnis, wie in Fällen, in denen das Kind mit einem Erwachsenen zum Geschlechtsverkehr gezwungen werde. 

Missbrauch von Schutzbefohlenen  

Weitere Änderungen im Vergleich zum Vorentwurf betreffen den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, der in § 174 StGB geregelt ist.  Hier soll u.a. in § 174 Absatz 1 Nummer 1 die Altersschutzgrenze von 16 auf 18 Jahre angehoben werden. Zur Begründung heißt es im Änderungsantrag: "Auch Personen, die bereits 16 Jahre alt, aber noch nicht 18 Jahre alt sind, stehen im Rahmen von Erziehungs- oder Betreuungsverhältnissen in einem nahen Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnis zur erziehenden oder betreuenden Person und befinden sich aufgrund dieser Abhängigkeit in einer vergleichbaren schutzwürdigen Situation wie unter 16-jährige Personen." 

Auch die Tatvarianten in § 174 Abs. 3 StGB werden fortan ausgeweitet. Entfallen soll hier das einschränkende Tatbestandsmerkmal der Erregungsabsicht. Zur Begründung heißt es: "Wird der Schutzbefohlene dazu bestimmt, sexuelle Handlungen vor dem Täter vorzunehmen, wird die sexuelle Selbstbestimmung unter den Voraussetzungen des § 174 Absatz 1 StGB unabhängig davon verletzt, ob der Täter in der Absicht handelt, sich oder den Schutzbefohlenen dadurch sexuell zu erregen." 

Beide Änderungen beruhen auf der Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht aus dem Jahr 2017. Der djb zeigte sich hinsichtlich dieser Änderungen gegenüber LTO erfreut: "Der djb begrüßt nachdrücklich, dass die bestehenden Schutzlücken im Rahmen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen endlich geschlossen werden. Das war eine der zentralen Forderungen unserer Stellungnahme im Rechtsausschuss," so djb-Juristin Steinl.

Besitz von kindlichen Sexpuppen künftig verboten 

Unverändert kommen wird schließlich mit § 184l StGB ein neuer Straftatbestand, der das Inverkehrbringen und den Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild unter Strafe stellt. "Diese Eintrittspforte in die widerliche Welt des sexuellen Missbrauchs von Kindern haben wir ein für alle Mal geschlossen. Denn oftmals haben Täter hier den Missbrauch von Kindern eingeübt, Hemmschwellen wurden gesenkt und am Ende gab es Übergriffe in der realen Welt", so Luczak.

Dr. Jenny Lederer, Fachanwältin für Strafrecht und Mitglied des Strafrechtsausschusses im Deutschen Anwaltverein (DAV)*, kann darüber nur den Kopf schütteln: "Der Besitz von Kindersexpuppen wird kriminalisiert, ohne dass eine Gefährdung von Kindern ersichtlich wäre oder droht, so Lederer gegenüber LTO. Überhaupt ist die DAV-Juristin von den strafrechtlichen Änderungen des Vorhabens wenig überzeugt. Ihre Prognose ist düster:  "In der Praxis wird sich zeigen, welche Folgeprobleme - Wertungswidersprüche und systematische Probleme, praktische Schwierigkeiten, die etwa mit der zwingenden Durchführung von Hauptverhandlungen (auch für Geschädigte) verbunden sind - einhergehen und welche Probleme sicherlich nicht gelöst werden: Nämlich die "Verhinderung von Straftaten und der bessere Schutz von Kindern".

*Anm.d.Redaktion: Funktion von Frau Lederer am 23.03.2021, 20.29 Uhr, präzisiert.

Zitiervorschlag

Gegen sexuellen Missbrauch von Kindern: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44568 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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