Neue Aufgaben für das Betäubungsmittelgesetz: Sch­merzen lin­dern, Selbst­tö­tung regeln, Rausch gestatten

Gastbeitrag von Prof. Dr. Oliver Tolmein

07.02.2022

Während das Betäubungsmittelgesetz früher vor allem den Schutz der „Volksgesundheit“ bezweckte, wird es in Zukunft mehrere sich teils widersprechende Zwecke erfüllen müssen. Eine heikle Arbeit für den Gesetzgeber, analysiert Oliver Tolmein.

Zwei Jahre ist es nun her, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Recht auf selbstbestimmtes Sterben anerkannte. Am 26. Februar 2020 erklärte der 2. Senat des BVerfG das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig. Seitdem ist in der Gesellschaft einiges in Bewegung gekommen. Mehrere Sterbehilfevereine bieten geschäftsmäßig ihre Hilfe beim Suizid an. Die verfasste Ärzteschaft sieht Suizidassistenz zwar noch immer nicht als ärztliche Aufgabe. Auf dem 124. Deutschen Ärztetag wurde aber das Verbot gestrichen, das Ärzten die Hilfe zur Selbsttötung untersagt. Auch die Justiz hat sich erneut mit Fragen der Suizidbeihilfe befasst. Das BVerfG hat der Beschwerde eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Strafgefangenen stattgegeben und die Entscheidung zweier Strafvollstreckungskammern aufgehoben, die ihm keinen Zugang zu den für einen Suizid erforderlichen, nicht näher bezeichneten Medikamenten zubilligen wollten (BVerfG Beschluss vom 3. November 2021, 2 BvR 828/21).

In zwei weiteren Beschlüssen hat sich das BVerfG mit dem Verlangen nach Freigabe von Natriumpentobarbital durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Zweck der Selbsttötung befasst. Zudem haben in diesem Zusammenhang das Verwaltungsgerichte Köln und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mittlerweile ein halbes Dutzend Entscheidungen in Eilverfahren und Urteile in Hauptsacheverfahren verkündet.

Im Ergebnis stimmten die Fachgerichte und das BVerfG dabei mit Blick auf die Forderung nach Freigabe des Betäubungsmittels Natriumpentobarbital überein: Die Anträge wurden unter Verweis auf den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 5 BtMG zurückgewiesen. Diese Vorschrift sieht eine Versagung der erforderlichen Erlaubnis für den Verkehr mit Betäubungsmitteln nach § 3 BtMG zwingend vor. Die Gerichte argumentieren, dass, nachdem das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt worden ist, nunmehr Aufgabe des Gesetzgebers sei, tätig zu werden. Dafür könne er noch Zeit beanspruchen, zumal Beihilfe zum Suizid zwischenzeitlich sowohl von Sterbehilfeorganisationen als auch von Ärzten geleistet werde. "Ob ein Zugang zu Natriumpentobarbital zur Selbsttötung ermöglicht werden soll, muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber entscheiden, der dann auch ein diesbezügliches Schutzkonzept entwickeln müsste", so die Vorsitzende des 9. Senats OVG NRW, Gudrun Dahme bei der Urteilsverkündung Anfang Februar

Rechtsgut "Volksgesundheit" hat Legitimationsprobleme

Tatsächlich sehen die vorliegenden Gesetzentwürfe aus der 19. und aus der aktuellen 20. Legislaturperiode, die Rahmenbedingungen für Suizidassistenz schaffen wollen, auch jeweils Änderungen des BtMG vor. Doch der grundsätzlichen Problematik, wie die Freigabe von hochgefährlichen Betäubungsmitteln zum Zweck der Selbsttötung legalisiert werden soll, widmen sich die Entwürfe eher pflichtschuldig und lustlos. Auch eher pragmatische Fragen, vor allem wie die Überwachung der einmal an Sterbewillige herausgegebenen, immerhin tödlich wirkenden Menge von Betäubungsmitteln gewährleistet werden soll, bleiben ungelöst oder werden durch einen schlichten Verweis auf eine erst noch zu schaffende Verordnung delegiert. Das ist überraschend, weil die derzeit gerade mal 41 Paragraphen des BtMG sonst eher durch hohe Regelungsdichte und, im Zusammenspiel mit der Rechtsprechung, ein beachtliches Maß an Detailreichtum ausgezeichnet sind. Es ist auch deswegen überraschend, weil das BtMG, als dessen Rechtsgut immer noch die "Volksgesundheit" gilt, insoweit zunehmend mit Legitimationsproblemen zu kämpfen hat. Die Entscheidung des BVerfG in engem Zusammenhang mit dem "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" auch die Freiheit hervorzuheben, sich das Leben zu nehmen, ist ohne einen Zugang zu tödlich wirksamen Betäubungsmitteln kaum in der geforderten Weise umzusetzen.

Wenn der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern aber durch eine Reform des BtMG grundsätzlich den Weg ebnet, sich mit Hilfe von Betäubungsmitteln zu töten, wird der Schutzzweck des BtMG in beachtlicher Weise verändert: Der Schutz des Rechts selbstbestimmt zu sterben ist mit dem Schutz des Rechtsguts "Volksgesundheit" nicht gleichzusetzen und noch nicht einmal zwingend kompatibel. Warum der Staat durch das BtMG aber ermöglich soll, sich mit Natriumpentobarbital einen gefährlichen Wirkstoff in tödlicher Dosierung zum Zweck der Selbsttötung zu verschaffen, nicht aber eine vergleichsweise harmlose Droge wie Cannabis, um sich zu berauschen, erscheint nicht nur in sozialethischer Hinsicht begründungsbedürftig.

"Recht auf selbstbestimmtes Sterben" aber kein "Recht auf Rausch"?

Das BVerfG sieht das Recht, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig und bewusst und gewollt zu beenden und dabei auf Hilfe Dritter zurückzugreifen, als im allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit der Menschenwürde verankert. Der Mensch solle über sich nach eigenen Maßstäben verfügen können. Auch wenn das in Zusammenhang vor allem mit Cannabis als Wahrnehmung eines "Rechts auf Rausch" bezeichnete Verhalten nicht die existentielle Dimension des Sterbewunsches hat, erscheint es doch als relevante Ausprägung einer Lebensweise des eigenverantwortlichen Individuums. Dass sie zudem das Leben nicht beenden soll, sondern gedacht ist, ein eigenes Lebenskonzept zu verwirklichen, könnte es dem Gesetzgeber erleichtern, den Zugang hier zur Nutzung von Betäubungsmitteln, insbesondere zu Cannabis, zu erleichtern und damit eine nicht erforderliche Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes aufzuheben.  

Verstärkt wird die bedenkliche Inkonsistenz des Rechtsgüterschutzes auch dadurch, dass der Gesetzgeber 2017 mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften das BtMG nur zaghaft, nämlich in den Paragraphen 19 Abs 2 und 24a BtMG modifiziert hat, nicht aber in den Strafvorschriften. Damit ist die Situation entstanden, dass schwerkranke Patientinnen und Patienten, denen Cannabis als Medizin verordnet wird, weil es keine zumutbare Therapiealternative gibt, sich gelegentlich mit einer Anklage wegen Verstoßes gegen den Verbrechenstatbestand des § 29a BtMG konfrontiert sehen.

Eigenanbau eines Medikaments als Verbrechen?

Wenn die Krankenkasse die kassenärztliche Verordnung von Cannabis nicht genehmigt, die Patientinnen und Patienten aber nicht genug Geld haben, um die erheblichen Behandlungskosten selbst zu zahlen oder auch nur vorzustrecken, bleibt ihnen nur der Weg ohne zumutbare Behandlung zu bleiben oder sich erforderliche Medikation illegal zu verschaffen. Ob sie ihren Medikamentenbedarf selbst anbauen oder auf dem Schwarzmarkt erwerben macht dabei wenig Unterschied. Der Bedarf, den sie so decken müssen, liegt regelmäßig deutlich über der nicht geringen Menge (nach der Rechtsprechung des BGH Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm THC).

Da der § 29a StGB, der 1992 als Strafschärfung zur wirksameren Bekämpfung organisierter Drogenkriminalität ins BtMG eingeführt wurde, keine Einstellung des Verfahrens zulässt, sondern allenfalls ein geringeres Strafmaß für minderschwere Fälle oder die Zuerkennung eines Notstandes, ist nicht nur die Verurteilung in hohem Maße wahrscheinlich, sondern auch jede Bewährungsstrafe gefährdet. Nur eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse, die wenn überhaupt auf den langen Wegen der Sozialgerichtsbarkeit bisweilen erst nach Jahren erstritten werden kann, verhindert eine Wiederholung der Straftat zuverlässig.

Ein neues BtMG im Dienst der Grundrechte?

Auch Patienten, die sich nicht mit Natriumpentobarbital selbst töten wollen, haben aber ein Anspruch auf den Schutz ihrer Grundrechte. Art 2 Absatz 2 GG sichert die körperliche Unversehrtheit – auch und gerade für die Patienten, die nach Auffassung der sie behandelnden Ärztinnen und Ärzte nur mit Cannabis zumutbar behandelt werden können, denen die Krankenversicherung aber nicht hilft.

Wenn sich der Gesetzgeber also daran setzt, das BtMG zu reformieren, sollte er das Gesetz insgesamt in den Blick nehmen und sich damit befassen, dass es seinen Charakter in den letzten Jahren gewandelt hat: Das traditionelle Rechtsgut "Volksgesundheit" wird dabei gegen die neuen, grundrechtsbasierten Rechtsgüter auf selbstbestimmtes Sterben, auf selbstbestimmten Konsum und auf körperliche Unversehrtheit ein Stück zurücktreten müssen. Aus dem kriminalpolitisch motivierten Gesetzeswerk könnte ein Gesetz werden, das im Dienst freiheitlicher Grundrechte und gesellschaftlicher Schutzpflichten steht. Für eine Koalition, die sich zu Beginn ihrer Regierungszeit als das "Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" verstanden hat, könnte das eigentlich ein reizvolles Unterfangen sein.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Oliver Tolmein hat die Kanzlei Menschen und Rechte mitbegründet. Er ist Fachanwalt für Medizinrecht und Honorarprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen und  vertritt auch Patienten, denen Cannabis verordnet wird vor Sozialgerichten und in Strafverfahren.

Zitiervorschlag

Neue Aufgaben für das Betäubungsmittelgesetz: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47443 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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