Der NDR hat den Podcast "Rammstein – Row Zero" gelöscht. Über das "warum" wurde viel spekuliert. LTO kennt die juristischen Hintergründe: Ein Gerichtsverfahren von Rammstein und ein Hinweisbeschluss der Urheberrechtskammer des LG Hamburg.
Vor nunmehr über einem Jahr gab die Irin Shelby Lynn an, auf einem Rammstein-Konzert unter Drogen gesetzt worden zu sein ("I was spiked"). Ihr Instagram-Post löste den "Lindemann-Skandal" und ein breites Echo in klassischen und Sozialen Medien aus.
Auch NDR und Süddeutsche Zeitung recherchierten zusammen, nahmen Kontakt zu Betroffenen auf und berichteten in Artikeln von deren Aussagen über das System der Zuführung von Frauen auf Rammstein-Konzerten. Es folgten juristische Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Berichterstattung, die weiterhin nicht abgeschlossen sind.
Ganz im Sinne einer allumfassenden multimedialen Auswertung der Rechercheergebnisse erschienen inzwischen auch ein Buch und vom NDR und von der SZ jeweils ein Podcast über die Recherche, in denen den aufgeworfenen Fragen vertieft nachgegangen wird.
Der NDR-Podcast mit dem Titel "Rammstein – Row Zero" wurde medienwirksam und breitflächig angekündigt. Der Podcast stieg in den Charts auf Platz eins ein. Doch seit Ende Juni ist er auf keiner Podcastplattform mehr aufzufinden. Der NDR hat alle vier Folgen gelöscht.
Der NDR erklärt dazu auf seiner Website zunächst kursorisch, dies geschehe vorsorglich, um die ordnungsgemäße Nutzung der darin verwendeten Musik zu klären. Nach LTO-Informationen ist der Grund für das Offlinestellen ein gerichtlicher Unterlassungsantrag aller sechs Bandmitglieder und ein Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Hamburg.
Rammstein zieht wegen Musikverwendung vor Gericht
Die Rammstein-Bandmitglieder (Richard Kruspe, Paul Landers, Till Lindemann, Christian "Flake" Lorenz, Oliver Riedel und Christoph Schneider) sehen durch den Podcast ihre Urheberrechte verletzt. Denn dort werden Ausschnitte von neun Liedern der Band eingespielt, etwa die Lieder "Pussy", "Du hast", "Deutschland", und zwar auch als Hintergrundmusik. Konkret wird an mehreren Stellen zunächst ein Musikausschnitt im Vordergrund eingeblendet, dann wird die Lautstärke reduziert – die Podcast-Hosts oder Gäste sprechen über die Musik – die Lautstärke des Liedes wird wieder erhöht und das Lied ist allein zu hören usw.
Diese Verwendung der Musiken hält Rammstein für urheberrechtswidrig. Daher mahnte jedes einzelne Bandmitglied den NDR ab. Doch vorgerichtlich wollte der NDR nicht einlenken und gab die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung zunächst nicht ab. Vertreten durch Sebastian Ott und Peer Boris Schade (Lichte Rechtsanwälte) beantragten die Bandmitglieder daraufhin den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung vor der Urheberrechtskammer des LG Hamburg.
In einem gerichtlichen Hinweisbeschluss vom 4. Juni 2024, der LTO vorliegt (Az. 310 O 142/24), ließen die drei Richter unter dem Vorsitz von Claus-Hinrich Hartmann ihre vorläufige Rechtsansicht erkennen. Danach verletzt der NDR-Podcast die Urheberrechte der Musiker.
GEMA-Vertrag erlaubt keine "Bearbeitung"
Üblicherweise sorgen Verträge mit der GEMA dafür, dass Medien Musik rechtlich meist bedenkenlos abspielen können, sei es im Radio, Fernsehen, bei YouTube oder eben auch in einem Podcast. So lassen die allermeisten Künstler und Bands, auch Rammstein, die GEMA als Verwertungsgesellschaft in Deutschland ihre Rechte verwalten und wahrnehmen. Dies bedeutet, dass die GEMA die Lizenzgebühren einkassiert und dann an die Künstler und Bands ausschüttet. Solche Wahrnehmungsverträge bringen für Künstler und Medien den Vorteil einer leichten Vertragsabwicklung. Radiosender müssen beispielsweise nicht von jedem einzelnen Künstler die Rechte einholen und Künstler müssen umgekehrt nicht selbst prüfen, ob ihre Musik rechtswidrig verwendet wird, alles wird über die GEMA abgewickelt.
Doch die GEMA-Verträge berechtigen die Medien grundsätzlich nur dazu, die Musik abzuspielen oder öffentlich zugänglich zu machen, nicht aber bearbeitete Fassungen herzustellen und zu verbreiten. Derartige Bearbeitungsrechte verbleiben vielfach bei den Künstlern oder ihren Musikverlagen. Dies machen auch die GEMA-Regeln zu Podcasts deutlich. So heißt es in III.2.b) des Tarif VR-OD 14, dass sich die Rechteeinräumung nicht auf andere Rechte, insbesondere nicht auf Bearbeitungen, erstreckt. Auch unter Hinweis auf diese Regel kommt das LG zu dem Schluss, dass § 23 Abs. 1 des Urhebergesetzes (UrhG) einschlägig ist, wonach Bearbeitungen von Werken nur mit Zustimmung des Rechteinhabers zulässig sind. Der NDR habe die Musik daher nicht nutzen dürfen, so das LG.
Für Voice-over braucht es Bearbeitungsrechte
Doch warum liegt in der Verwendung der Musiken im Podcast eine "Bearbeitung"? Für das LG ist "die spezifische Art und Weise, wie die Musik innerhalb des Podcasts eingesetzt worden ist", entscheidend. Gemeint ist die enge Verknüpfung zwischen den Podcastinhalten und den Rammstein-Songs. Wegen der einerseits nur ausschnittsweisen und andererseits akustisch mit Moderations- und Interviewtexten überlagerten Wiedergabe der Musikwerke handele sich um eine "akustische Illustration der Moderations- und Interviewtexte", die als Bearbeitung der Musiken im Sinne des § 23 UrhG einzustufen sei.
Derartige Überlagerungen im NDR-Podcast "Row Zero", in denen die Songs als Hintergrundmusik für Gespräche verwendet werden, übersteigen nach Ansicht des Gerichts auch das branchenübliche Ein- und Ausblenden bei moderierten Radiomusiksendungen deutlich. Die GEMA-Rechte würden also nicht reichen, vielmehr hätte der Sender auch das sogenannte Synchronisationsrecht benötigt, um über die Musiken Texte sprechen zu dürfen (sog. Voice-Over).
Ausnahmen vom Urheberrecht greifen für LG nicht
Der NDR habe auch keine Nutzungsrechte nachvollziehbar dargelegt. Auch urheberrechtliche Ausnahmeregeln, nach denen ausnahmsweise Nutzungsrechte entbehrlich sind (sog. Schrankenregelungen), ließen sich nicht feststellen:
So liege keine zulässige Nutzung der Werke als Zitate nach § 51 UrhG vor. Nach dem Zitatrecht kann urheberrechtlich geschütztes Material auch ohne Zustimmung des Rechteinhabers verwendet werden, wenn dies zu Zitatzwecken erfolgt. Das LG prüfte etwa eine Passage, in der ein weiblicher Fan erläutert, warum ein bestimmtes Lied für sie früher eine besondere Bedeutung hatte, während das Lied im Hintergrund gespielt wird. Es kommt – nach erster Prüfung – zu dem Schluss, dass es hier und an anderen Stellen zwar einen inhaltlichen Bezug zwischen den Texten und den eingeblendeten und dann im Hintergrund weiterlaufenden jeweiligen Kompositionen gäbe, dies reiche aber nicht aus. Denn es fehle an einer "Auseinandersetzung mit dem Werk als solchem". Mit dem Kriterium legte das LG einen strengen Maßstab an das Zitatrecht an (siehe dazu sogleich).
Das Gericht weist auch darauf hin, dass selbst bei Einschlägigkeit des Zitatrechts ein Werk nicht geändert werden dürfte (§ 62 Abs. 1 S. 2 UrhG) und stuft das Voice-Over als eine solche unzulässige Änderung ein. Auch habe der NDR die Vorschrift zur korrekten Quellangabe nicht beachtet (§ 63 Abs. 1 S. 1 UrhG).
Keine Erwähnung von Rammstein in den "Credits"
Die 10. Kammer des Landgerichts Hamburg hält es auch für zweifelhaft, ob theoretisch die urheberrechtlichen Ausnahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) greifen könnten. Dies könne aber dahinstehen, da auch insoweit das Änderungsverbot gelte.
Zudem sei auch das Urheberbenennungsrecht nach § 13 UrhG verletzt, weil die Bandmitglieder nicht als Komponisten und Textdichter genannt würden. Es reiche nicht aus, dass erwähnt werde, dass es sich um Rammstein-Songs handele, da insoweit nur auf die Eigenschaft als „ausübende Künstler“ hingewiesen werde. Über die Urhebereigenschaft als Komponist und Textdichter sei damit nichts gesagt.
Zwar sei es bei Radiosendungen üblich, dass diese nicht genannt werden. Dies liege aber an der Beschränkung der Sendezeit im Radio. In einem Podcast sei hingegen genügend Platz für die erforderlichen Urheberbenennungen, was auch der Podcast des NDR selbst zeige. Dort würden am Ende die Credits verlesen, dabei aber die Rammstein-Bandmitglieder nicht genannt.
NDR lenkt nach Hinweisbeschluss ein
Den eindeutigen Hinweisbeschluss des Landgerichts nahm der NDR zum Anlass, gegenüber den Rammstein-Bandmitgliedern die vorgerichtlich geforderten Unterlassungserklärungen durch ihren Prozessvertreter Michael Fricke (CMS Rechtsanwälte) abzugeben. Das heißt, der NDR darf die Podcast-Fassung nicht erneut hochladen. Würde er dies trotzdem tun, müsste er eine Vertragsstrafe an die Bandmitglieder zahlen. Durch die abgegebenen Unterlassungserklärungen entfällt die "Wiederholungsgefahr", eine Voraussetzung für den Unterlassungsanspruch. Damit hat sich das Gerichtsverfahren nun erledigt.
Doch warum gab der NDR die Unterlassungserklärung ab, statt nach voraussichtlicher juristischer Niederlage auf die zweite Instanz zu setzen? Der Sender erklärte gegenüber LTO die zugrundeliegende investigative Recherche sei ihm "wichtiger als ein jahrelanger Rechtsstreit über urheberrechtliche Fragen". Der NDR habe daher nach Prüfung entschieden, in der Sache nicht zu streiten und den Podcast – mit gleichem Inhalt, nur überarbeitet an den entsprechenden musikalischen Passagen – schnellstmöglich wieder verfügbar zu machen.
Verneinung des Zitatrechts durch Landgericht fragwürdig
Allerdings hätte der NDR durchaus beide Wege gleichzeitig bestreiten können, eine geänderte Fassung des Podcasts verbreiten und gleichzeitig die rechtlichen Fragen zur Zulässigkeit der Musikuntermalung prozessual klären lassen. Insbesondere der strenge Maßstab des Landgerichts für die Einschlägigkeit des Zitatrechts hätte den NDR zum juristischen Kampf motivieren können. Anders als das LG stellt der Bundesgerichtshof (BGH) nicht mehr entscheidend auf die Frage ab, ob eine "Auseinandersetzung mit dem Werk als solchem", wie z.B. einer Musikkritik stattfindet, sondern lässt es ausreichen, dass der Zitierende eine innere Verbindung mit dem Werken, hier also den Rammstein-Liedern, herstellt und diese als Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen verwendet werden.
Dies könnte an einigen Stellen im Podcast womöglich zu bejahen sein, etwa wenn ein ehemaliger Rammstein-Fan schildert, warum ein bestimmter in Ausschnitten abgespielter Song für ihr Leben von Bedeutung war. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hält es sogar für möglich, dass der Einsatz von Musikausschnitten in anderen Tracks (sog. Sampling) vom Zitatrecht gedeckt ist. Die höchstrichterliche Klärung der Frage, ob diese Rechtsprechung auch eine Interaktion mit Musiken in einem journalistischen Podcast ermöglicht, wäre ebenfalls durchaus interessant und offen gewesen.
Klar ist hingegen, dass mindestens die fehlende Urheberbenennung der Bandmitglieder gegen das Urheberrecht verstößt und auch eine Verletzung des Änderungsverbots und Verpflichtung zu Quellangaben liegt nahe. Warum hat der juristisch eigentlich bestens beratende NDR den Podcast in dieser Fassung veröffentlicht? Auf LTO-Anfrage erklärt der Sender, es habe durchaus eine urheberrechtliche Prüfung stattgefunden, doch wurde "das Risiko als gering eingeschätzt".
Weitere Gerichtsverfahren zum Podcast laufen
Die vom NDR erhoffte rechtliche Ruhe wird aber auch dann nicht einkehren, wenn der Sender den Podcast demnächst ohne die Rammstein-Musik wieder hochlädt. Zum einen wäre es nach einem erfolgreiche Unterlassungsantrag üblich, dass die Rammstein-Bandmitglieder mit ihrer Anwaltskanzlei Lichte auch Schadensersatzansprüche gegenüber dem NDR geltend machen. Nach LTO-Informationen geht zudem Frontmann Till Lindemann, vertreten durch seinen Anwalt Simon Bergmann, auch aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen gegen den Podcast vor. Gegenüber LTO bestätigte der NDR, es gäbe mehrere laufende Gerichtsverfahren zu dem Podcast.
Und was ist mit dem Rammstein-Podcast der Süddeutschen Zeitung (SZ) unter dem Titel "Feuerzone – Das System Rammstein und der Machtmissbrauch in der Musik"? Auch in diesem Podcast wird vielfach Musik von Rammstein eingesetzt. Allerdings liegt hier die Einschlägigkeit des Zitatrechts und damit die Möglichkeit der Nutzung ohne Rechteeinräumung näher, da Lieder auch musikhistorisch kommentiert werden. Zudem benennt der SZ-Podcast die Bandmitglieder auch als Urheber. Die Kanzlei Lichte wollte auf LTO-Anfrage keine Stellung dazu nehmen, ob die Rammstein-Bandmitglieder auch gegen den SZ-Podcast vorgehen.
Deswegen löschte der NDR seinen Rammstein-Podcast "Row Zero": . In: Legal Tribune Online, 04.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54927 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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