Am Mittwoch wird der Schweriner Landtag voraussichtlich das neue Polizeigesetz für Mecklenburg-Vorpommern verabschieden – trotz anhaltender Kritik vor allem an einer Verlängerung der Kfz-Kennzeichenerfassung und dem neu ermöglichten Einsatz von Elektroschockern. Was steckt hinter der Novelle und ist die Aufregung gerechtfertigt? Ein Kommentar von Frank Ebert.
In dem geänderten Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (SOG-MV) soll nach dem Willen der Landesregierung zum einen die automatisierte Erfassung von KfZ-Kennzeichen auch über den bisher fixierten Endpunkt Juli 2011 hinaus verankert werden.
Orientierung hierfür liefert eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): In einem Urteil vom 11. März 2008 hatten die Karlsruher Richter die automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen zwecks Abgleichs mit dem Fahndungsbestand als Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewertet, "wenn der Abgleich nicht unverzüglich erfolgt und das Kennzeichen nicht ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht wird" (Az. 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07).
Das BVerfG stellt dabei entscheidend auf eine strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ab. So dürfe eine automatisierte Kfz-Kennzeichenerfassung "nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden". Die damals vorliegenden Regelungen der Polizeigesetze Hessens und Schleswig-Holsteins erfüllten diese Voraussetzungen nach Ansicht der Verfassungsrichter nicht.
Kennzeichenerfassung: Klare Vorgaben, aber fragwürdige Praxis
Die Vorgaben des BVerfG dürften dem Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern damit eine gewisse Sicherheit geben, zumal im Nachgang der Entscheidung einzelne vergleichbare Regelungen anderer Länder wie etwa Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Thüringen justizieller Überprüfung bereits standgehalten haben (vgl. Verwaltungsgericht München, Urt. v. 23.09.2009, Az. M 7 K 08.3052 zu Art. 33 Abs. 2 Satz 5 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes).
Ob die Gerichte allerdings auch die mecklenburgische Praxis zur Kfz-Kennzeichenerfassung billigen werden, scheint fraglich. Erst im August 2009 hatte wiederum das BVerfG kritisiert, dass Geschwindigkeitsverstöße in Mecklenburg-Vorpommern nur auf der Grundlage einer Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums und nicht auf gesetzlicher Grundlage verfolgt wurden.
Zwar sind die Voraussetzungen zur Verfolgung und Ahndung solcher Verstöße durch die Rechtsprechung weitgehend geklärt – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Verfassungsrechtsprechung (vgl. Oberlandesgericht Rostock, Beschl. v. 24.2.2010, Az. 2 Ss (OWi) 6/10 I 19/10 und Thüringisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 29.10.2010, Az. 1 Ss Bs 45/10). Doch ist der Umgang mit dem allein der Gefahrenabwehr dienenden § 43a SOG-MV in die Kritik geraten; nicht wegen der Maßnahme als solcher, sondern wegen ihres großräumigen Umfangs.
Polizisten sollen nicht nur schnell, sondern auch rechtlich einwandfrei reagieren
Aufsehen erregen zum anderen Pläne, wonach der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern künftig der Einsatz von Elektroschockern gestattet werden soll. Das geltende SOG-MV enthält hierzu bisher keine ausdrückliche Aussage. Andere Polizeigesetze hingegen erlauben der Polizei die Anwendung von Zwangsmitteln, die eine geringere Wirkung als Schusswaffen haben, vor allem keine tödliche.
Polizeibeamte stehen immer wieder vor der Entscheidung, mit welchem Mittel sie schnellstmöglich etwas gegen andere Personen unternehmen können. Man denke nur an Amokläufer, gewalttätige Randalierer, aggressive psychisch Gestörte oder mit Messern, Beilen oder Macheten Bewaffnete.
In diesen Fällen kann und muss die Polizei unmittelbaren Zwang anwenden. Dieser bezeichnet die Einwirkung auf Personen oder Sachen (auch Tiere) durch körperliche Gewalt, polizeiliche Hilfsmittel oder Waffen (§ 102 Abs. 1 SOG-MV). In Mecklenburg-Vorpommern sind für die Polizei als Waffen "Schlagstöcke, Pistolen, Revolver, Gewehre und Maschinenpistolen zugelassen" (§ 102 Abs. 4 SOG-MV). Letztes und äußerstes Mittel in der Klaviatur polizeilicher Zwangsmittel ist der Einsatz von Schusswaffen gegen Menschen; er unterliegt nach allen Polizeigesetzen gesteigerten und besonders strengen Voraussetzungen.
In jedem Fall ist zu bedenken, dass vom Erfassen der Gefährlichkeit einer Lage oder ihrer Einschätzung als harmlos bis zur Reaktion oftmals nur wenige Sekunden oder Sekundenbruchteile verbleiben. Dabei wird vom Polizeibeamten eine rechtlich einwandfreie Würdigung der Situation ebenso verlangt wie deren wirksame tatsächliche Bewältigung. Nur im Nachhinein weiß der Beamte sicher, ob er richtig reagiert und was er gegebenenfalls falsch gemacht hat. Die Zeit (oftmals viele Jahre), die Juristen später für eine minutiöse Einschätzung der einzelnen Umstände haben, fehlt den Beamten in der konkreten Situation.
Restrisiken lassen sich nicht völlig ausschließen
Angesichts dieses Dilemmas wurde jahrzehntelang nach passenden Mitteln gesucht, die in kritischen Lagen nicht gleich das Ziehen der Dienstwaffe mit all seinen furchtbaren Konsequenzen erfordern. Es galt, einerseits vermeidbare Schäden bei potenziell Betroffenen gering zu halten, andererseits der Polizei situationsangemessene und rechtlich möglichst unbedenkliche neue Instrumente zur Verfügung zu stellen. Schutzwesten, Reizgas und Pfefferspray reichen jedenfalls nicht immer aus, um eine gefährliche Situation zu klären.
Inzwischen wurden mehrere Geräte entwickelt, die das Risiko der schweren Verletzung oder gar der Tötung eines Menschen im Vergleich zu den klassischen Polizeiwaffen erheblich vermindern: Etwa kann mit einem Destabilisierungsgerät, dem so genannten Advanced Taser das motorische Nervensystem eines Menschen derart beeinflusst werden, dass dieser schlagartig handlungsunfähig wird, ohne jedoch gleich schwer verletzt oder gar getötet zu werden. Eine ähnliche Wirkung haben Elektroschocker, wobei sich Polizeibeamte hier den anderen nicht wirklich vom Leib halten können, da diese Hilfmittel körperlichen Kontakt voraussetzen.
Freilich kann der Einsatz solcher Geräte auch den Tod eines Menschen nach sich ziehen, etwa aufgrund gesundheitlicher Vorbelastungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Restrisiken lassen sich indes nie völlig ausschließen, zumal Einsatzbeamte in den seltensten Fällen um solche Probleme ihres Gegenübers wissen. In jedem Fall handelt es sich dann nicht um eine gezielte Tötung, sondern um einen unbeabsichtigten Unfall, der die nach jedem unnatürlichen Todesfall erforderlichen Untersuchungen und strafprozessualen Ermittlungen nach sich ziehen muss (§ 159 Abs. 1 StPO).
Zweckentfremdungen sind und bleiben rechtsstaatswidrig
Wichtig ist: Für Einsätze in geschlossenen Einheiten, etwa zum Schutz von Demonstrationen oder zur Abwehr von "Gegendemonstranten", sind Taser oder Elektroschocker weder geeignet noch vorgesehen. Auch geht es nicht – wie von kritischen Stimmen regelmäßig behauptet - um die Gefährdung von Menschenrechten, der Ermöglichung von Folter oder einer Hintertür für die Todesstrafe, wenn Polizeigesetze der Entwicklung angepasst werden. Ähnliche Vorwürfe sind seit den Debatten um den so genannten finalen Rettungsschuss und der Wohnraum- und Videoüberwachung bekannt.
Selbstverständlich lässt sich jeder Gegenstand auch zweckentfremden. Und ebenso selbstverständlich ist es einer an zwingende rechtsstaatliche Grundsätze gebundenen Polizei verwehrt, Folterinstrumente einzusetzen. Der Gesetzgeber muss deshalb im Sinne eines umfangreichen Schutzes von Menschen- und Bürgerrechte für klar begrenzte Befugnisse seiner Polizei zu sorgen. Das letzte Wort hat im Rechtsstaat in jedem Fall die (Verfassungs-)Rechtsprechung.
Die bevorstehende Änderung des SOG-MV wird nicht die letzte sein. Die Europäische Union verlangt von der Bundesrepublik Deutschland noch die Umsetzung mehrerer Richtlinien. So sollen polizeiliche Datenübermittlungen auf den Schutz personenbezogener Daten eingestellt werden. Die nächsten Diskussionen über das Polizeirecht sind damit vorprogrammiert.
Der Autor Dr. Dr. Ebert ist Ministerialrat und Vertreter des öffentlichen Interesses beim Thüringer Innenministerium. Er war Lehrbeauftragter für Kriminologie an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und Leiter der Polizeiabteilung im Thüringer Innenministerium.
Mehr auf LTO.de:
Vermummte Polizisten: Schutzschild Anonymität
Videoüberwachung öffentlicher Räume: Sorgenkind der Kommunen
Juristen in der Polizei: Höchste Ämter stehen offen
Frank Ebert, Polizeiliche Befugnisse: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2762 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag