Strafanzeige gegen Polizei nach Rundschreiben: "Jeder Rumäne steht unter Gene­ral­ver­dacht"

von Maximilian Amos

27.08.2019

Hat die Leipziger Polizei Volksverhetzung betrieben? Kürzlich bat sie Hotels, während eines Festivals die Anwesenheit rumänischer Staatsbürger zu melden, weil man Diebesbanden in der Stadt vermute. Ein Rechtsanwalt erstattete Strafanzeige.

"Ich dachte zuerst, das sei ein Scherz", sagt der Essener Rechtsanwalt Oliver Allesch zu dem Moment, als er vom Schreiben der Leipziger Polizeidirektion erfuhr. Auf Facebook hatte er einen Post gesehen, in dem jemand das Schreiben abfotografiert hatte. Darin bat eine Kriminalkommissarin Hoteliers im Leipziger Raum um Meldung, falls im Zeitraum vom 15. bis zum 18. August in ihren Häusern rumänische Staatsbürger ein Zimmer bezögen. Hintergrund war ausweislich des Schreibens die Vermutung, dass in diesem Zeitraum rumänische Banden für Taschendiebstähle nach Leipzig reisen würden. Um die Ermittlungen zu unterstützen, möge man bitte Personendaten an die Polizei übermitteln.

Allesch habe danach sofort beim Kommissariat angerufen und schließlich aus der Presseabteilung die Auskunft erhalten, dass das Schreiben authentisch und völlig ernst gemeint sei, so der Anwalt. Auch gegenüber LTO hat die Polizeidirektion Leipzig die Authentizität des Schreibens bestätigt. Während das Papier auch in den sozialen Medien für jede Menge Kritik sorgte, beließ es Allesch nicht bei privater Aufregung, sondern beschloss, "ein Zeichen zu setzen", wie er es im LTO-Gespräch formulierte. Er verfasste eine Strafanzeige gegen die Polizeidirektion, namentlich gegen die für das Schreiben verantwortlichen Personen.

"Durch diese mehr als skurrile Aufforderung der Polizei rumänische Staatsbürger in den Hotels zu melden, wird jeder rumänische Staatsbürger unter den Generalverdacht gestellt, dass wenn er sich an den drei Tagen im August in Leipzig im Hotel einmietet als Taschendieb sein Brot 'verdient'", schreibt Allesch in seiner Anzeige, die LTO vorliegt. Er ist der Ansicht, dass darin eine Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) zu sehen ist: "Ich habe das subsumiert und bin der Meinung, dass der Tatbestand hier verwirklicht wurde."

Das Schreiben eine Aufforderung zur Willkürmaßnahme?

Während seine Strafanzeige nur auf § 130 StGB allgemein verweist und er darin die genaue Subsumtion auch gar nicht durchführen muss, wurde Allesch im Gespräch mit LTO etwas genauer. Abs. 2 b) der Vorschrift soll einschlägig sein, so der Jurist, der ausweislich seiner Fachanwaltstitel offenbar eher im Arbeits-, Familien- und Verkehrsrecht zuhause ist. Danach macht sich strafbar, wer eine Schrift verbreitet, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen die geschützten Personen oder Personengruppen auffordert. Darunter fallen Bevölkerungsgruppen, die sich konkret eingrenzen lassen, bspw. nach ihrer Religion, Ethnizität oder eben Nationalität.

Eine Aufforderung zur Gewalt, wie sie im Tatbestand verlangt wird, liegt ersichtlich nicht vor. Wann aber handelt es sich um eine Aufforderung zu einer Willkürmaßnahme? Reicht ein solches Schreiben aus, das um die Zusendung von Personendaten bittet? Die strafrechtliche Literatur bezeichnet Willkürmaßnahmen als "sonstige diskriminierende und im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehende Behandlungen aller Art", etwa ein Boykottaufruf a la "Kauft nicht bei Juden" (Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB Kommentar). Ferner müsste die Polizei die diskriminierende Wirkung ihres Schreibens jedenfalls in Kauf genommen und die Verbreitung beabsichtigt haben.

Dass seine Anzeige tatsächlich zu einer Verurteilung oder einem Strafbefehl führen könnte, glaubt Allesch selbst nicht: "Wahrscheinlich wird das ohnehin eingestellt", sagt er, dem der Glaube fehlt, dass die Strafverfolgungsbehörden ein großes Interesse daran hätten, die Beamten zur Verantwortung zu ziehen. Gleichwohl sei er von der Richtigkeit seiner Anzeige überzeugt.

Rechtsanwalt zum Schreiben: "Der Ton macht die Musik"

Rechtsanwalt Allesch berichtet von "wahnsinnig viel Zuspruch", den er erhalten habe, nachdem er seine Strafanzeige öffentlich gemacht hatte. Ihm sei auch ein weiterer Kollege bekannt, der Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt habe. Nur die mediale Aufmerksamkeit lässt in seinen Augen zu wünschen übrig. "Wenn auf einer Pegida-Demonstration jemand rufen würde: 'Alle Rumänen sind Taschendiebe', dann hätten wir doch wohl kein Problem, das zu verurteilen", meint er.

Dass die Polizei im Gegensatz zu Demonstranten eine Ermittlungsaufgabe hat und rumänische Staatsbürger auch häufig im Zusammenhang mit Taschendiebstählen auffällig werden, erkenne er natürlich an, so Allesch. "Die Intention der Polizei ist im Ansatz nachvollziehbar." Doch auch hier gelte: "Der Ton macht die Musik". Eine weitere Konkretisierung des zu meldenden Personenkreises hätte seiner Meinung nach geholfen, die Aufregung zu vermeiden. So hätte sich die Polizei Alleschs Meinung nach etwa auf osteuropäisch aussehende Personen, die sich konspirativ oder in anderer Weise verdächtig verhielten, beziehen können. So, wie das Schreiben jetzt aber formuliert ist, werde eine ganze Nationalität unter Generalverdacht gestellt. "Man kann ja auch nicht im Umkehrschluss sagen, dass jeder Muslim ein Terrorist sei, nur weil nahezu alle religiös motivierten Anschläge der letzten Zeit durch Menschen erfolgten, die dem Islam angehören."

Neben den strafrechtlichen Gesichtspunkten sei das Schreiben zudem eine Diensthandlung ohne Ermächtigungsgrundlage und somit rechtswidrig. "Wäre ich rumänischer Staatsbürger, könnte ich das verwaltungsgerichtlich sicherlich feststellen lassen", sagt Allesch.

Polizei weist Vorwürfe von sich

Die Leipziger Polizei indes sieht das anders und erkennt in dem Schreiben ihrer Mitarbeiterin keinerlei Skandalpotenzial. Man stütze sich bei der Maßnahme auf §§ 30 Abs. 4 i. V. m. 34 Abs. 4 Bundesmeldegesetz, erklärte Andreas Loepki, Leiter des Direktionsbüros der Polizei Leipzig, auf LTO-Anfrage. Danach sind Hoteliers verpflichtet, Daten ihrer Gäste wie Namen, Geburtsdatum und auch Staatsangehörigkeit zu erheben und auf Anforderung an die Polizei weiterzuleiten.

Auf die Nachfrage, ob solche Maßnahmen in der Ermittlungsarbeit üblich seien, erwiderte Loepki: "Das Nutzen rechtlicher Grundlagen ist üblich – auch im Bereich des Melderechts. Wenn das Schreiben dabei den subjektiven Eindruck des racial profiling ausgelöst haben sollte, ist das bedauerlich." Das Schreiben sei jedoch gegenüber der weitergehenden rechtlichen Befugnis¸ sämtliche Meldescheine zu sichten, als sog. Minusmaßnahme angelegt, die Polizei bleibe also gar hinter ihren Kompetenzen zurück.

Gleichwohl ist es hier genau diese Einschränkung, die die Aufregung ausgelöst hat. Die Behörde will ihr Vorgehen daher intern hinterfragen: "Wir werden das Vorgehen nochmals auswerten und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen, die den subjektiven Eindruck beseitigen", so Loepki. "Davon abgesehen war das Schreiben aber rechtlich zulässig und es fußte auf ganz konkreten Ermittlungserkenntnissen zu Diebesbanden junger rumänischer Männer aus dem Raum Galati, die sich vorzugsweise sehr kurzfristig für die Dauer des Festivals in relativ günstige Unterkünfte einmieten." Die Diebesbanden seien nach wie vor in Deutschland und Europa aktiv, so Loepki – "am Wochenende des Highfield-Festivals nachweislich auch im deutschen Raum, wenngleich nicht in Leipzig".

Zur Strafanzeige von Rechtsanwalt Allesch kommentierte der Direktionsbüroleiter: "Anzeigen kann jeder wegen allem erstatten. Die letztliche Entscheidung trifft die Staatsanwaltschaft, aber ich kann mir als juristischer Laie nicht vorstellen, dass ein Straftatbestand erfüllt wurde." Er wisse nichts über Alleschs Motivation, habe aber "ein etwas komisches Bauchgefühl, wenn Anzeigenerstatter öffentlich machen, Anzeige erstattet zu haben – insbesondere bei Rechtsanwälten. Da geht es oftmals weniger um die Sache, als vielmehr um Aufmerksamkeit."

Zitiervorschlag

Strafanzeige gegen Polizei nach Rundschreiben: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37267 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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