Der Frauenanteil im Deutschen Bundestag ist mit 30,9 Prozent auf den Stand der 1990er Jahre zurückgefallen. Ohne gesetzliche Regelungen wird sich wenig ändern, meint die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes Maria Wersig.
Knapp 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts ist der Anteil von Frauen im 19. Deutschen Bundestag mit 30,9 Prozent auf den Stand der 1990er Jahre zurückgefallen. Zu Recht sprechen sich deshalb mit der CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Katarina Barley führende Politikerinnen aus CDU und SPD für ein Nachdenken über Reformen im Wahlrecht aus.
Derzeit ist es dem Gutdünken der politischen Parteien überlassen, ob und wie viele Frauen auf aussichtsreichen Listenplätzen oder in Wahlkreisen kandidieren dürfen. Die der Geschlechtergerechtigkeit Hohn sprechende Zusammensetzung des derzeitigen Bundestages ist die Folge. Fest steht, dass die Parteien, die sich selbst qua Satzungsrecht Quotenregelungen gegeben haben, ein erfolgreiches Instrument für einen höheren Frauenanteil vorweisen können.
Es sind die Parteien ohne Quoten, die offenbar nicht wissen, wie sie qualifizierten Frauen adäquate Betätigungsmöglichkeiten eröffnen können. Bei CDU/CSU ist der Frauenanteil auf unter 20 Prozent gesunken. Den höchsten Männeranteil haben die Neuzugänge im Bundestag AfD (88,3 Prozent) und FDP (77,5 Prozent) vorzuweisen.
Vorbild Frankreich?
Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass gesetzliche Regelungen durchaus Wirkung zeigen. Das französische Modell verpflichtet bereits in der Verfassung die politischen Parteien auf das Ziel des gleichen Zugangs von Frauen und Männern zu Wahlmandaten. Mit dem sogenannten Parité-Gesetz wird dieser Ansatz dann für die unterschiedlichen Formen der Wahlen nach Verhältniswahlrecht und Mehrheitswahlrecht mit verschiedenen Instrumenten durchgesetzt.
Bei Wahlen, zu denen die Parteien eine Liste aufstellen, wie es beispielsweise für das Europäische Parlament der Fall ist, ist in Frankreich das "Reißverschlussverfahren" vorgesehen, also ein zwingender Wechsel zwischen einer weiblichen Kandidatin und einem männlichen Kandidaten auf der Liste. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung wird nach direkter Wahl nach dem Mehrheitsprinzip in zwei Wahlgängen gewählt – Parteien, die in mindestens 50 Wahlkreisen antreten, sind dabei zur Herstellung der Parität verpflichtet, wobei pro Wahlkreis nur eine Person kandidieren darf.
Mögliche Sanktionen bei Verstößen gegen die Quote sind die Nichtzulassung zur Wahl von Listen ebenso wie die Kürzung der Parteienfinanzierung. Der aktuelle Frauenanteil in Frankreichs Nationalversammlung beträgt 38,7 Prozent. Dabei erreichten auch in Frankreich bei der letzten Wahl nicht alle politischen Parteien das vorgegebene Ziel der Parität.
Sind Frauen selbst schuld?
Ein immer wieder formuliertes Argument zur Verteidigung des Status Quo lautet, dass der Maßstab für politische Repräsentation der Frauenanteil in den politischen Parteien in den Parlamenten und nicht der Frauenanteil in der Bevölkerung zu sein habe. Letztlich wird damit behauptet, Frauen tragen selbst mangels politischen Engagements die Verantwortung für ihre geringe Repräsentation.
Dabei wird vergessen, dass Frauen immer noch nahezu mehr als doppelt so viel der unbezahlten Familienarbeit wie Männer leisten müssen. Dieses geringere Zeitbudget verlangt schon nach manifesten Anreizen, um eine parteipolitische Tätigkeit zu erwägen. Angesichts der Männerdominanz in den Parteien und den auch dadurch nur eingeschränkten Chancen auf echte Einflussnahme und Gestaltungsmöglichkeiten in politischen Ämtern fehlen solche Anreize aber. Die tragende Rolle der Parteien in unserer Demokratie bedeutet aber auch, dass sie die Verpflichtung haben, nicht nur um Wählerinnen zu werben, sondern auch um Kandidatinnen.
Zum Teil wird der Status Quo auch damit gerechtfertigt, dass die Wahl dem Willen der Wählerinnen und Wähler entsprechen müsse, das Parlament das Volk also nicht zwingend in seiner Zusammensetzung zu repräsentieren habe. Diese Haltung ist reichlich bequem, zumindest dann, wenn man die eigene Gruppe hinreichend repräsentiert findet. Schließlich gilt es nicht zuletzt auch der Demokratiemüdigkeit entgegen zu wirken, die immer wieder konstatiert wird und die sich auch in der Wahlbeteiligung abbildet. Selbstverständlich kommt es auch darauf an, wer am Gesetzgebungs- und öffentlichen Meinungsbildungsprozess beteiligt ist und wie Zugangschancen gesellschaftlich verteilt werden.
Verfassungsrechtliche Debatte in Deutschland
Die Feststellung, es müsse nun angesichts der jüngsten Erfahrungen auch in Deutschland über Wahlrechtsänderungen zur Herstellung von Parität nachgedacht werden, verdient uneingeschränkten Beifall. 100 Jahre nach Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts gab es noch nie ein paritätisch oder gar überwiegend weiblich besetztes deutsches Parlament auf Landes- oder Bundesebene. Welche Instrumente auf dem Weg zu diesem Ziel gesetzlich vorgegeben werden können, ist indes umstritten.
Eine nach französischem Vorbild formulierte gesetzliche Verpflichtung zu paritätisch aufgestellten Wahllisten und paritätisch zu verteilenden Wahlvorschlägen für Direktkandidaturen inklusive der Sanktion, bei Abweichung davon nicht zur Bundestagswahl zugelassen zu werden, wird nach einem aktuellen diskussionswürdigen Vorschlag mit Art. 3 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) gerechtfertigt. Die Verpflichtung des Staates, die Gleichstellung von Frauen und Männern voranzutreiben und bestehende Nachteile zu beseitigen, kann eine solche Regelung angesichts des jahrzehntelangen Versagens der politischen Parteien bei der Herstellung von Parität durchaus rechtfertigen.
Da es in etablierten Parteienstrukturen zum Teil an der Chancengleichheit von Frauen und damit ihrer Einflussnahme in der Demokratie fehlt, könnte eine gesetzliche Vorgabe für alle Parteien notwendig und im Ergebnis auch verhältnismäßig sein. In der universitären Staatsrechtslehre trifft diese Auffassung allerdings auf wenig Zuspruch. Mit Verweis auf die stark formalisierten Wahlrechtsgrundsätze der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit wird in einer Pflicht zur quotierten Listenaufstellung oder Quoten bei den Wahlvorschlägen für Direktmandate häufig ein Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG und auch gegen die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) gesehen.
Mehr bzw. weniger Geld aus der Parteienfinanzierung als Anreiz
Fest steht: Wir benötigen eine breite politische Debatte über gesetzliche Instrumente für mehr Parität. Diese muss sich natürlich mit den verfassungsrechtlichen Bedenken auseinandersetzen und genau ausloten, welche Maßnahmen auch ohne eine Grundgesetzänderung erfolgversprechend sind. Wenn Frauen nicht in aussichtsreichen Wahlkreisen kandidieren (können), ist die beste Listenquotierung wenig erfolgreich. Weil das Thema in der Staatsrechtslehre in den letzten Jahren vergleichsweise geringe Beachtung gefunden hat, kann die politische Diskussion über mögliche Regelungen die Auseinandersetzung mit dem Thema in wissenschaftlichen Fachkreisen nur befördern.
Neben den zu diskutierenden Änderungen im Wahlrecht gibt es noch die Möglichkeit, Anreize über das System der Parteienfinanzierung zu schaffen. Durch solche könnten die Parteien mehr als bisher dazu gebracht werden, wirksame Instrumente für eine angemessene Beteiligung von Frauen zu installieren, wie beispielsweise eine Quotenregelung in der eigenen Satzung. Davon mag man sich einiges versprechen. Dass aber auch dies kein Allheilmittel sein kann, sehen wir in Frankreich: Dort verzichteten Parteien lieber auf Geld als auf männliche Dominanz.
Die Autorin Prof. Dr. Maria Wersig ist seit September 2017 die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes und befasst sich beruflich mit Geschlechterverhältnissen im Zusammenspiel von Recht und Gesellschaft.
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Die LTO-Redaktion
Politische Partizipation von Frauen: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27679 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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