2/2: "Säuberungen" sollen "endlich" möglich werden
Das Justizministerium, das von der Gesetzesnovelle am meisten profitiert, nimmt in einer Pressemitteilung Stellung: "Bisherige Praktiken beweisen, dass sich das Richtermilieu bei der Begutachtung von Kandidaten auf die Ämter des Präsidenten oder Vizepräsidenten der Gerichte öfter von freundschaftlichen Sympathien leiten ließ; (...) Kompetenzen hatte keine Bedeutung."
Weiterhin führten diese Missstände in zahlreichen Gerichten zur Entstehung "byzantinischer Verbindungssysteme" zwischen Richtern. Näher ausgeführt werden diese Vorwürfe nicht.
Jedenfalls steht fest, dass die "fetten Jahre" in der Richterschaft ein Ende gefunden haben: Faulheit, Korruption und weitverbreiteter Nepotismus seien nun ausgemerzt, so im Ergebnis die regierungsnahen Zeitschriften wSieci und Do Rzeczy.
Die Wochenzeitschrift Newsweek beruft sich auf anonyme Quellen aus internen Kreisen des Justizministeriums und berichtet über geplante "Säuberungen", die nun auf Grundlage des neuen Gesetzes "endlich" möglich seien. Genaueres ist noch nicht bekannt, jedoch scheinen die Worte der PiS-Pressesprecherin Beata Mazurek, die Richter bereits als eine "Bande von Kumpeln" bezeichnet hatte, die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen: Die verabschiedeten Gesetze seien erst "der Anfang einer Justizreform, über die wir in der [Wahl-]Kampagne gesprochen haben."
Gerichte sollen an "christliche Moral" gebunden werden
Dem Sitzungsprotokoll vom 12. Juli 2017 ist zu entnehmen, dass PiS-Abgeordnete nach der Abstimmung über die Gesetzesnovellen freudig "Demokratie" skandierten. Trotz Siegesstimmung im Regierungslager hat die PiS die Justiz noch nicht vollends ihrem Willen unterworfen. Dies soll sich jedoch bald ändern. Ebenfalls am 12. Juli 2017 ist ein Gesetzesentwurf zur Änderung der Vorschriften über das Oberste Gericht (SN) eingebracht worden. Neben der Auflösung der gegenwärtigen Zusammensetzung der Kammern und einer praktisch uneingeschränkten Kontrolle des Justizministers über Personalangelegenheiten soll der Vorrang der "sozialen Gerechtigkeit" in der Rechtsprechung gesetzlich verankert werden.
Das SN ist, analog zum BGH, die letzte Instanz des ordentlichen Rechtswegs, zudem besitzt es die alleinige Zuständigkeit für die Überprüfung von Wahlvorgängen zu beiden Kammern des polnischen Parlaments (Sejm und Senat). In der Begründung zum Entwurf wird ausgeführt, dass die Rechtsprechung des SN den "Dualismus" zwischen Rechtsnormen und einem "gesetzlich nichttypisierten Normen- und Wertesystem, das ebenso fundiert ist und das aus christlichen Moralvorstellungen herrührt" künftig berücksichtigen müsse. Gegenwärtig gäbe es nämlich "eine Vielzahl an Entscheidungen, die zwar formell mit dem Gesetz im Einklang stehen, allerdings von gerechten Entscheidungen weit entfernt sind."
Die Richterschaft wurde zu Beratungen über den Gesetzesentwurf nicht herangezogen. Die Amtierende Präsidentin des SN, Małgorzata Gersdorf, sprach am 12. Juli 2017 vom "schwarzen Mittwoch" und berief eine außerordentliche Versammlung aller Kammern. "Es ist das Ende des Obersten Gerichts wie es nach Vorgaben der Verfassung stattfinden soll", so Pressesprecher Michał Laskowski.
Der Autor Oscar Szerkus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische sowie Vergleichende Rechtsgeschichte der Freien Universität Berlin. Er promoviert über die Sondergerichtsbarkeit des Polnischen Untergrundstaates in der Zeit des Zweiten Weltkrieges.
Sejm verabschiedet Justizreformen: . In: Legal Tribune Online, 17.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23479 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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