Das Europäische Patentamt verhandelt über die Patentierbarkeit eines Züchtungsverfahren von Brokkoli, das vorbeugend gegen Krebs wirken soll. Kritiker befürchten die Monopolisierung von Leben. Dr. Anna Wolters zeigt, dass die zu entscheidende Frage nicht moralischer Natur ist – und lebendes Material längst patentierbar.
Am Dienstag und Mittwoch verhandelt die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) über die Patentierbarkeit von Pflanzenzüchtungsverfahren (Az. G2/07). Gegenstand der angegriffenen Patente ist unter anderem ein Verfahren zur Züchtung von Brokkoli. Das patentierte Züchtungsverfahren führt zu einer Erhöhung des Glucosinolatanteils des Brokkolis, womit eine krebsvorbeugende Wirkung erzielt werden soll.
Das Patent auf den Brokkoli, der nun fast schon berühmt wird, war von Beginn an umstritten. Die EPA-Einspruchsabteilung hielt das Patent nach seiner Erteilung trotz Einsprüchen zweier Parteien in einem geänderten Umfang aufrecht. Hiergegen legten die Einsprechenden Beschwerde ein.
Die EPA Technische Beschwerdekammer bestätigte die Entscheidung der Einspruchsabteilung im Hinblick auf die Erfüllung der Patentierungsvoraussetzungen. Um patentierbar zu sein, muss die Lehre neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar sein. Diese Voraussetzungen können durch Verfahren zur Züchtung von Brokkoli mit besonderen Eigenschaften erfüllt sein, entschieden die EPA Instanzen.
Der Streitpunkt: Patente auf lebendes Material?
Die Technische Beschwerdekammer legte aber der Großen Beschwerdekammer Fragen vor, die den Patentierungsausschluss für "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" gemäß Art. 53b) Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) betreffen.
Die Große Beschwerdekammer wird daher nicht die grundsätzliche Patentierbarkeit von Pflanzen etwa unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten in Frage stellen. Sie wird vielmehr darüber zu entscheiden haben, wann ein "im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" vorliegt, das vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
Die Züchtung neuer Pflanzenarten ist nicht nur zeitintensiv, sondern erfordert auch hohe Forschungs- und Investitionskosten. Neu entwickeltes Saatgut kann dabei ohne weiteres von Dritten reproduziert werden, so dass sich die hohen Entwicklungskosten nur dann rechnen, wenn Schutzrechte darauf erhältlich sind.
Der Patentanmelder tritt insoweit in Vorleistung, als er sein Verfahren in der Patentanmeldung veröffentlicht und damit der Allgemeinheit zugänglich macht, ohne zu wissen, ob das Patent tatsächlich erteilt wird.
Die Patentierbarkeit von lebendem Material ruft zum Teil heftigen Protest bestimmter Nichtregierungsorganisationen, Bauernverbände und Initiativen hervor, die die Auffassung vertreten, damit gehe eine Monopolisierung von "Leben" einher.
Mikroorganismen, Pflanzen und selbst Tiere sind längst als Erfindungen patentierbar
Dabei ist patentrechtlich anerkannt, dass nicht nur Mikroorganismen, Pflanzen, biologisches Material einschließlich Genen, sondern selbst Tiere unter bestimmten Voraussetzungen als Erfindungen patentierbar sein können. Im Hinblick auf Pflanzen oder Tiere wird dies ausdrücklich in Erwägungsgrund 29 der EU Biopatentrichtlinie 98/44/EG bestimmt. Darüber hinaus können Pflanzensorten über das Sortenschutzgesetz zugunsten des Züchters geschützt werden.
Für die Frage des Vorliegens einer Erfindung kommt es allein darauf an, dass der Allgemeinheit eine technische Lehre offenbart wird, die für den Fachmann reproduzierbar ist. Dies hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bereits im Jahre 1969 in seiner "Rote Taube"-Entscheidung festgestellt, bei der es um die Patentierbarkeit von Züchtungsverfahren für Tauben mit rotem Gefieder ging.
Dabei ist festzuhalten, dass biologische Verfahren technischer Natur sein können und damit grundsätzlich auch Patentschutz genießen. Sie sind beispielsweise häufig Gegenstand von Arzneimittelpatenten. Im Pflanzenbereich ist anerkannt, dass insbesondere gentechnische Verfahren patentierbar sind. Auch mikrobiologische Verfahren sind gemäß Art. 53b) Satz 2 EPÜ schutzfähig.
Die wahre Frage: Was ist Technik – und was nur Biologie?
Das Brokkoli-Patent hat jedoch weder ein mikrobiologisches noch ein gentechnisches Verfahren zum Gegenstand. Es ist vielmehr auf ein Züchtungsverfahren gerichtet, das durch Kreuzung und Selektion erfolgt. Das Verfahren enthält zudem einen rein technischen Schritt, der die menschliche Intervention erfordert, nämlich eine in vitro Analyse von entnommenem Pflanzengewebe mit so genannten Molekularmarkern. Dies wird als übliches Analyseverfahren moderner Pflanzenzüchtung angesehen.
Die Große Beschwerdekammer wird mithin feststellen müssen, welche Art von Verfahren als "im Wesentlichen biologisch" in Abgrenzung zu technischen Verfahren nicht patentierbar sind. Regel 26 Abs. 5 der EPÜ Ausführungsverordnung bestimmt, dass ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren im Wesentlichen biologisch ist, wenn es vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion beruht. Die Vorschrift ist aufgrund der EU Biopatentrichtlinie in die Ausführungsverordnung des EPÜ aufgenommen worden.
Somit wird es darauf ankommen, wie viele rein technische, nicht-biologische Schritte für die Patentierbarkeit erforderlich sind und welche Bedeutung diese Schritte für das Züchtungsverfahren und deren Ergebnis insgesamt haben müssen.
Zwischen 1963 und 2010: Wie zeitgemäß ist die Differenzierung zwischen Technik und Biologie?
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Biologie heute weitgehend zum Bereich der Technik gehört. Begriffe wie "Technik" und "Biologie" schließen einander schon längst nicht mehr aus.
In der "Rote Taube"-Entscheidung von 1969 hatte der BGH dieser Tatsache bereits Rechnung getragen. Er definierte den Erfindungsbegriff als eine Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines bestimmten, vorhersehbaren Erfolges.
Heutige Züchtungsverfahren sind komplexe Vorgänge, die stets menschliche Handlungen erfordern.
Der Patentierungsausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren geht demgegenüber auf das Straßburger Übereinkommen von 1963 zurück, als etwa gentechnologische Verfahren noch nahezu unbekannt und Züchtungsergebnisse bei Pflanzen und Tieren mangels Wiederholbarkeit grundsätzlich nicht als patentfähig angesehen wurden. Dies war auch der Grund, weshalb der BGH die Patentierung des Züchtungsverfahrens für rote Tauben zurückgewiesen hatte.
Auswirkungen: Exklusiver Brokkoli oder zukünftig geheime Verfahren?
Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer hat erhebliche wirtschaftliche Bedeutung: Sollten die Verfahrensansprüche aufgrund ihrer technischen Natur als rechtsbeständig angesehen werden, erstrecken sie sich nach Art. 62 Abs. 2 EPÜ auf die unmittelbar daraus entstehenden Erzeugnisse. Der Patentinhaber kann damit den Import und Vertrieb des entsprechend hergestellten Brokkolis verbieten. Ein Konkurrent könnte das Patent also nicht umgehen, indem er im patentfreien Ausland das Verfahren anwendet, um den so hergestellten Brokkoli in Länder zu exportieren, in denen Patentschutz besteht.
Für die Forschung mit der patentierten Lehre besteht in Deutschland hingegen, wie in vielen anderen Ländern auch, ein Versuchsprivileg, so dass der Patentinhaber diese Dritten nicht verbieten kann. Dasselbe gilt für Handlungen zu privaten Zwecken. Zudem haben die EU-Mitgliedstaaten aufgrund der Biopatentrichtlinie ein Landwirteprivileg vorgesehen. Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor, dass ein Landwirt sein Erntegut für die Vermehrung im eigenen Betrieb verwenden kann, wenn er das pflanzliche Vermehrungsmaterial mit Zustimmung des Patentinhabers zum landwirtschaftlichen Anbau erworben hat.
Entscheidet die Große Beschwerdekammer sich gegen die Patentierbarkeit des Züchtungsverfahrens, bleibt abzuwarten, inwieweit Züchter vermehrt auf gentechnische Verfahren zurückgreifen werden, deren Patentierbarkeit anerkannt ist oder ihre Verfahren künftig geheim halten.
Das Verfahren über das Brokkoli-Patent ist von der Großen Beschwerdekammer übrigens mit einer weiteren Sache (Az. G1/08) verbunden worden. Diese befasst sich mit der Patentierbarkeit eines Verfahrens zur Züchtung einer Tomate mit niedrigem Wassergehalt, die auch als "Schrumpeltomate" bekannt geworden ist (EP 1 211 926).
Ob Brokkoli und Schrumpeltomate tatsächlich die patentrechtliche Welt verändern werden, wird voraussichtlich erst Ende des Jahres feststehen.
Die Autorin Dr. Anna Wolters ist Rechtsanwältin im Bereich Gewerblicher Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht mit Schwerpunkt Patent- und Pharmarecht in einer internationalen Sozietät am Standort Düsseldorf.
Anna Wolters, Pflanzenzüchtungsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1022 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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