Nur unter strengen Voraussetzungen darf eine Eizelle nach der künstlichen Befruchtung überhaupt genetisch untersucht werden. Das BVerwG hat Kriterien aufgestellt, wann dies erlaubt sein soll, um schweren Erbkrankheiten vorzubeugen.
Genetisch vorbelastete Eltern dürfen eine Eizelle nach der künstlichen Befruchtung auf Erbkrankheiten untersuchen lassen, wenn das hohe Risiko besteht, dass das Kind an der klassischen Form der Muskelerkrankung Myotonen Dystrophie Typ 1 erkranken könnte. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mahnte in seiner Entscheidung vom Donnerstag aber die Einzelfallprüfung an und stellte Bewertungskriterien auf (Urt. v. 05.11.2020, Az. 3 C 12.19).
Nur unter besonderen Umständen darf ein Embryo vor dem Einpflanzen überhaupt genetisch untersucht werden. Damit eine solche Präimplantationsdiagnostik (PID) vorgenommen werden darf, muss nach § 3a Abs. 2 Embryonenschutzgesetz (ESchG) grundsätzlich das hohe Risiko schwerer Erbkrankheiten bestehen. Über das Vorliegen dieser Voraussetzung entscheidet eine Ethikkommission, ohne dessen Zustimmung ein solcher Eingriff strafbar ist.
Ethikkommission hat keinen Beurteilungsspielraum
Einen solchen Antrag lehnte die Bayerische Ethikkommission ab. Die jetzige Klägerin befürchtete für ihre Nachkommen schwere Erbkrankheiten, weil ihr Partner an einer Muskelerkrankung leide. Charakteristische Symptome für die sogenannte Myotone Dystrophie Typ 1 seien Muskelsteifheit und eine langsam fortschreitende Muskelschwäche. Weil sich die Erkrankung nach der Begründung der Ethikkommission aber bei vielen Patienten erst im höheren Alter zeige und eine schwere kindliche Form meistens nur entstehe, wenn sie über die Mutter vererbt werde, konnte sich die Frau nicht durchsetzen.
Auch ihre Klagen vor dem Verwaltungsgericht (VG) München und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hatten keinen Erfolg. Letzterer nahm an, dass für eine schwere Erbkrankheit mindestens der Schweregrad der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne (DMD) vorliegen müsse. Die DMD sei eine schwere und lebensbedrohende genetische Erkrankung, die zu einem Muskelschwund führe, der in den meisten Fällen im jungen Erwachsenenalter zum Tod führe. Den Maßstab, den die Erkrankung des Partners der Klägerin nicht erfülle, hatte die Vorinstanz der Strafvorschrift des § 3 ESchG entnommen, wonach bei diesem Schweregrad ausnahmsweise eine sonst verbotene Geschlechtswahl durchgeführt werden dürfte.
Das BVerwG hat die Ethikkommission nun aber verpflichtet, der genetischen Untersuchung zuzustimmen. Darauf habe die Frau einen Anspruch, weil für ihre Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit bestehe. Der Senat ist also davon ausgegangen, dass die Ethikkommission keinen Beurteilungsspielraum hat und ihre Entscheidung voll gerichtlich überprüfbar ist.
Myotone Dystrophie Typ 1 kann ausreichen
Anderes als es nämlich der BayVGH angenommen hat, sei für die Frage, wie schwerwiegend eine Krankheit für die Ausnahmeregelung i.S.d. § 3a Abs. 2 ESchG seien muss, nicht "der Schweregrad der DMD" maßgeblich. Dieser stamme aus einer Norm, die weder nach ihrem Wortlaut noch mit ihrem Regelungszweck vergleichbar sei.
Das BVerwG mahnte vielmehr eine Prüfung im Einzelfall an. Ob eine Erbkrankheit schwerwiegend sei, zeige sich in einem Vergleich der Krankheiten untereinander. Als Kriterien dienten nach der Gesetzesbegründung die geringe Lebenserwartung, die Schwere des Krankheitsbildes und die Behandelbarkeit. Als weitere Gesichtspunkte seien zu berücksichtigen, ob ein Elternteil bereits selbst an einer schweren Erbkrankheit leide oder schon ein Kind mit einer solchen zur Welt gebracht worden sei.
Anhand dieses Maßstabes hat der Senat ein hohes Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit angenommen. Dafür ließ das BVerwG eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ausreichen, dass die Kinder der Frau und ihres Partners an der klassischen Form der Myotonen Dystrophie Typ 1 erkranken. Die Betroffenen hätten mit einer erheblich beeinträchtigten Lebensgestaltung und geringen Lebenserwartung zu rechnen.
Die multisystemische Erkrankung könne nicht nur die Skelettmuskulatur, sondern auch Auge, Herz, Zentralnervensystem und den Hormonhaushalt betreffen. Die Symptome würden schon in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter beginnen. Im Fall des Paares kam noch hinzu, dass der Mann selbst deutliche Symptome der Erkrankung zeigt.
mgö/LTO-Redaktion
BVerwG zur Präimplantationsdiagnostik: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43333 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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