Personenbeförderungsrecht: Fluggäste dürfen Teilstrecken verfallen lassen

von Guido Aßhoff, LL.M.

30.04.2010

Der BGH hat die Rechte von Fluggästen gestärkt: Einem aktuellen Urteil zufolge sind Beförderungsbedingungen unwirksam, die ein Ticket bei Abweichung von der gebuchten Flugreihenfolge für ungültig erklären. Passagiere können künftig Leistungen auch nur teilweise in Anspruch nehmen. Airlines müssen ihre Bedingungen nun anpassen.

Im Ergebnis gab der für das Personenbeförderungsrecht zuständige Xa-Zivilsenat mit seinen Urteilen den Anträgen des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (VZBV) gegenüber British Airways und Lufthansa statt. Die VZBV hatte sich dagegen gewandt, dass die Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Fluggesellschaften Passagieren untersagten, Leistungen nur teilweise in Anspruch zu nehmen und Flugstrecken zu Lasten der Airlines verfallen zu lassen.

Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen von British Airways sehen vor, dass der Flugschein seine Gültigkeit verliert, wenn nicht alle "Flight Coupons" in der angegebenen Reihenfolge genutzt werden.

Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Lufthansa enthalten den Passus, dass das Ticket seine Gültigkeit verliert und nicht zur Beförderung angenommen wird, wenn nicht alle Flugcoupons vollständig und in der im Flugschein vorgesehenen Reihenfolge genutzt werden. Die Inanspruchnahme der gesamten Beförderungsleistung ist demnach wesentlicher Bestandteil des mit Lufthansa geschlossenen Beförderungsvertrages und die Kündigung einzelner Teilstrecken (Coupons) ist vertraglich ausgeschlossen.

Hintergrund dieser Regelungen sind die komplexen Tarifstrukturen der Fluggesellschaften, die unter bestimmten Bedingungen besonders günstige Preise ermöglichen. So sind Flüge insbesondere dann relativ günstig, wenn zwischen Hin- und Rückflug mehrere Tage oder ein Wochenende liegen oder ein günstigerer Preis bei Zwischenlandungen vorgesehen wird.

Aufgrund dieser Praxis sind sowohl Reisevermittler als auch Kunden dazu übergegangen, so genannte Überkreuzbuchungen durchzuführen, also zwei Hin- und Rückflüge unter Berücksichtigung eines Wochenendes zu buchen, aber nur die jeweiligen Hinflüge in Anspruch zu nehmen und die Rückflüge verfallen zu lassen.

Schutz vor Überkreuzbuchungen durch gewiefte Fluggäste

Die beschriebenen Klauseln in den Beförderungsbedingungen der Luftverkehrsunternehmen, mit denen ebendiese Vorgehensweise unterbunden werden sollte, dienen folglich dem Schutz des eigenen Tarifsystems vor Beförderungen auf Teilstrecken zu günstigeren Konditionen, als dies nach dem Tarifsystem vorgesehen ist.

Der Bundesgerichtshof hat nach divergierenden Entscheidungen des Oberlandesgerichtes (OLG) Köln und des OLG Frankfurt am Main nun entschieden, dass der Fluggast entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird, wenn ihm das Recht, die Beförderungsleistung nur teilweise in Anspruch zu nehmen, generell genommen wird (Urt. V. 29.04.2010, (Az. Xa ZR 5/09).

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht nach Ansicht des Senats vor, dass der Gläubiger grundsätzlich berechtigt ist, nur einen Teil der ihm vertraglich zustehenden Gesamtleistung vom Schuldner zu beanspruchen, sofern nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht. Der Anspruch auf die Teilleistung kann für den Fluggast ausgeschlossen sein, wenn dieser schon bei Vertragsschluss lediglich in der Absicht gebucht hat, entgegen dem Tarifsystem der Fluggesellschaft zu einem Preisvorteil zu gelangen.

Aber nicht jeder Teilstreckenflug ist treuwidrig

Jedoch erfassen die beanstandeten Klauseln auch Fälle, in denen dem Fluggast keine sachfremde Ausnutzung des Tarifsystems vorzuwerfen ist, so zum Beispiel, wenn sich ein Fluggast wegen einer veränderten Terminplanung bereits am Abflughafen für den Fernflug oder in dessen Nähe befindet oder wenn er den Zubringerflug verpasst, den Fernflug aber noch auf anderem Wege erreichen kann.

Im Hinblick auf die letzteren Konstellationen kann das legitime Interesse der Luftverkehrsunternehmen, eine Umgehung ihres jeweiligen Tarifsystems zu verhindern, den generellen Ausschluss des Anspruchs auf Teilleistungen nicht rechtfertigen. Nach Ansicht des Senats könnten die Interessen der Fluggesellschaften durch andere, mildere Regelungen ebenso gewahrt werden.

Eine solche mildere und damit wirksame Regelung könnte beispielsweise sein, dass der Fluggast gegebenenfalls zur Zahlung eines höheren Entgeltes verpflichtet würde, wenn die Beförderung auf einer vorangehenden Teilstrecke nicht angetreten wurde. Es wäre demnach nach Ansicht des Senats zulässig, in die Beförderungsbedingungen eine Regelung aufzunehmen, die vorsähe, dass bei Nichtantritt eines Flugs für den verbleibenden Flug derjenige Preis zu zahlen ist, der zum Zeitpunkt der Buchung für die isolierte Buchung nur dieses Flugs verlangt worden wäre.

Aus den Entscheidungen des BGH ergibt sich Anpassungsbedarf für die Fluggesellschaften. Vor allem aber stärkt der Senat die Passagierrechte, wenn Teilleistungen nicht aus sachfremden Gründen in Anspruch genommen werden. Dies ist insbesondere für Konstellationen zu begrüßen, in denen ein Zubringerflug verpasst wurde, aber die weitergehende Flugstrecke ohne weiteres angetreten werden kann.

Der Autor Guido Aßhoff, LL.M. (gewerblicher Rechtsschutz) ist Rechtsanwalt im Bereich Gewerblicher Rechtsschutz in einer überörtlichen Rechtsanwalts-Boutique in Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Guido Aßhoff, Personenbeförderungsrecht: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/454 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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