Erster Prozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch: Macht­wort statt Urteils­spruch

von Dr. Jan Bockemühl

28.09.2015

2/2: Verteidigung ohne Mittel

Der Senatsvorsitzende Hettich sagte, ein Prozess, wie er nach der "liberalsten Strafprozessordnung" zu gewährleisten ist,  sei in Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht durchführbar. Neben unüberwindbaren logistischen Problemen bei der Beweismittelbeschaffung stehe der "extreme Opferschutz der Aufklärungsverpflichtung diametral entgegen", so Hettich.

Die Verteidigung wird in solchen Verfahren rechtswidrig beschränkt. Eigene Erhebungen, wie sie Verteidigern in Verfahren vor dem IStGH zustehen, gewährte das OLG Stuttgart nicht.

Trotz Bekanntgabe, dass der Verteidigung über 40 Entlastungszeugen genannt wurden, sah der Senat keine Veranlassung, Kostenvorschüsse zu bewilligen, damit die Verteidigung, um Beweisanträge stellen zu können, mit diesen Zeugen in der DR Kongo vorab sprechen kann.

Entlastende Aktenteile und weitere Entlastungszeugen, die im Rahmen eines Parallelverfahrens vor dem IStGH vorlagen, wurden entweder nicht vorgelegt, nicht beigezogen oder ignoriert. Die Bundesanwaltschaft, die intensiv mit den Anklägern beim IStGH kommuniziert hatte, vermittelte dem Senat entlastende Aktenteile nicht, auch nachdem die Anklage in dem Parallelverfahren vor dem IStGh rechtskräftig nicht zugelassen worden war und der dortige Angeschuldigte auf freien Fuß war.

Keine Waffengleichheit

Das Verfahren hat auch vor Augen geführt, dass es keine Waffengleichheit zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigung gab. Der Bundesanwaltschaft haben die Vereinten Nationen Einblick in dort geführt Archive gewährt. Diese Ermittlungsmaßnahmen wurden weder aktenkundig gemacht noch wurden die Archive für die Verteidigung geöffnet.

Gespräche mit Zeugen der Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen wurden seitens der Bundesanwaltschaft weder dokumentiert noch hat diese deren Inhalt bekannt gegeben. Wie der Generalbundesanwalt zu den angeblichen geschädigten Zeugen gekommen ist, blieb unaufgeklärt.

Auch der Senat war nicht in der Lage, seiner Sachaufklärungspflicht nachzukommen. Im Wesentlichen musste er sich mit Zeugen vom Hörensagen begnügen - was er auch tat.

Ein Urteil ohne Sachverhalt

Beweisanträge der Verteidigung, die auf Aufklärung der mutmaßlichen Anlasstaten gerichtet waren, wurden abgelehnt, ohne die Besonderheiten eines reinen Auslandsverfahrens zu berücksichtigen. Von wem die Belastungszeugen ihre Informationen erhalten haben wollten, konnte nicht aufgeklärt werden, da diese sich weigerten, ihre angeblichen Informationsquellen preis zu geben. Eine Verifizierung oder Falsifizierung konnte nicht stattfinden.

Eine Sachverhaltsaufklärung, wie sie nach der Strafprozessordnung erforderlich gewesen wäre, hat während der gesamten Hauptverhandlung nicht stattgefunden. So blieben Fragen nach den Tätern, der Anzahl und der Identität der angeblichen Geschädigten/Getöteten und deren Funktion bei den Kämpfen unbeantwortet.

Eine Verurteilung gab es dennoch. Ricarda Lang, die Verteidigerin des Hauptangeklagten Dr. Ignace M. hat bereits nach Urteilsverkündung mitgeteilt, gegen die Entscheidung Revision einzulegen: "Das erste Strafverfahren in Deutschland nach dem Völkerstrafgesetzbuch ist gescheitert, das Urteil ist sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht falsch". Besser kann man es nicht zusammenfassen.

Der Autor Dr. Jan Bockemühl ist Fachanwalt für Strafrecht in Regensburg, Lehrbeauftragter für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Regensburg und Mitglied im Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer. Er war bis März 2013 als Verteidiger von Straton M. in dem Verfahren vor dem OLG-Stuttgart tätig.

Zitiervorschlag

Erster Prozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch: . In: Legal Tribune Online, 28.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17025 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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