Die Mondlandung ein Fake? Ob nun die USA oder andere Länder. Es kursieren viele Falschmeldungen über Staaten, auch in Presseartikeln. Ob die Staaten bei Unwahrheit auch dagegen vorgehen können, muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden.
Die Mondlandung? Gab es nie, alles eine groß angelegte Inszenierung der USA, um die Weltöffentlichkeit zu täuschen und so von innenpolitischen Unruhen abzulenken. Für diese Verschwörungserzählung gibt es nicht im Ansatz valide Beweise. Könnten also die Vereinigten Staaten gegen denjenigen presserechtlich vorgehen, der dies behauptet?
Der Tod von Prinzessin Diana war kein Autounfall, sondern Mord. Er geschah im Auftrag des britischen Geheimdienstes, um Dianas Beziehung zu einem Mann außerhalb der königlichen Familie zu beenden. Auch dieses Gerücht hielt sich in Kreisen von Verschwörungsgläubigen hartnäckig. Könnte Großbritannien dagegen klagen?
Die Antwort lautet jeweils nein, zumindest nicht nach der Rechtsprechung des Pressesenats des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg. Das Gericht hat im November 2023 in zwei Urteilen (Az. 7 U 37/22, 7 U 38/22) entschieden, dass ausländische Staaten generell keine Ansprüche gegen unliebsame Äußerungen geltend machen können.
Marokko klagt gegen SZ und ZEIT
Hintergrund ist eine Klage des Königreichs Marokko gegen die Süddeutsche Zeitung sowie ZEIT Online. Die beiden Medien hatten dem nordafrikanischen Staat vorgeworfen, mit der Überwachungssoftware "Pegasus" verschiedene Personen auszuspionieren. Darunter angeblich: Journalistinnen, Menschenrechtsanwälte und hochrangige Politiker wie Emmanuel Macron oder Charles Michel. Grundlage für die Berichterstattung waren vor allem geheime Telefon-Daten, die die Medien als Partner des Investigativ-Netzwerks Forbidden Stories einsehen konnten.
Der Staat Marokko meinte hingegen, dass es für diese Verdachtsberichterstattungen keine hinreichenden Beweise gab, und wollte die entsprechenden Passagen verbieten lassen. Auch das OLG Hamburg attestierte den Vorwürfen einen Mangel an "Indiztatsachen", was normalerweise die Rechtswidrigkeit der entsprechenden Berichterstattung zur Folge hat. Dann darf der Verdacht nicht weiter verbreitet werden, entsprechende Artikel müssen geändert oder sogar gelöscht werden.
Dennoch verneinte das Gericht wie schon die Vorinstanz Unterlassungsansprüche des Königreichs Marokko: Als ausländischer Staat habe Marokko keine Ansprüche gegen unliebsame Presseartikel.
Ausländische Staaten haben kein allgemeines Persönlichkeitsrecht
Zur Begründung hielt das OLG Hamburg fest, dass Staaten sich nicht auf ein grundrechtliches allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen können. Die Grundrechte schützen nämlich gerade Private, seien es einzelne Individuen, Unternehmen oder Gewerkschaften, vor staatlichen Eingriffen.
Doch auch über den grundrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutz hinaus konnte das OLG Hamburg in der gesamten Rechtsordnung nur eine einzige Gesetzesnorm ausmachen, die einen "persönlichkeitsrechtlichen Aspekt" ausländischer Staaten betrifft: § 104 StGB, der die Beschädigung bestimmter ausländischer Flaggen verbietet. Daraus lässt sich laut OLG Hamburg aber kein weitergehendes Persönlichkeitsrecht ableiten, das beispielsweise vor unliebsamen Äußerungen schützen würde. Auch das Völkerrecht gebiete einen Ehrschutz ausländischer Staaten nicht.
Ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, das unabhängig von einer konkreten Norm Schutz vor Äußerungen vermitteln kann, haben ausländische Staaten demnach also nicht.
Strafrechtliche Ehrdelikte: von der Fähigkeit, beleidigt zu werden
Neben diesem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gibt es aber noch Straftatbestände, die vor spezifischen Ehrverletzungen schützen: Sie sind in § 185 Strafgesetzbuch (StGB) und den folgenden Paragraphen geregelt und stellen beispielsweise unzulässige Verdachtsberichterstattungen als „Üble Nachrede“ (§ 186 StGB) unter Strafe. In Verbindung mit § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können aus einer Verletzung dieser eigentlich strafrechtlichen Ehrdelikte auch zivilrechtliche Ansprüche erwachsen.
Doch auch die spezifischen Ehrdelikte schützen ausländische Staaten nach Ansicht des Hamburger Pressesenats nicht. Als Grund nannte das Gericht zunächst § 194 Abs. 3 und 4 StGB. Diese Vorschriften regeln, wer den Strafantrag stellen muss, wenn inländische staatliche Behörden oder Gesetzgebungsorgane wie der Bundestag Opfer von Ehrverletzungen werden. Ausländische Staaten tauchen in dieser Regelung hingegen gerade nicht auf.
Zwar können juristische Personen auch unabhängig von § 194 Abs. 3 und 4 StGB nach sogenannten "allgemeinen Grundsätzen" durch die Ehrdelikte geschützt werden. Das gilt nach der Rechtsprechung zum Beispiel für Unternehmen wie Zeitungsverlage (BGH, Urt. v. 8.1.1954, Az. 1 StR 260/53), nach Ansicht des OLG Hamburg aber gerade nicht für ausländische Staaten – eben, weil sie kein Persönlichkeitsrecht haben. Damit fehlt es laut OLG Hamburg an der für den strafrechtlichen Ehrschutz benötigten „Beleidigungsfähigkeit“.
Mangelnde Pressefreiheit im Ausland macht Beweisführung schwierig
Schließlich sprechen für das Gericht pragmatische Gründe dagegen, ausländische Staaten in den Schutzbereich der strafrechtlichen Ehrdelikte einzubeziehen. Das Schutzniveau für die Presse sei im Ausland oftmals nicht ausreichend gesichert. Bei Vorgängen im Ausland sei es für Journalistinnen daher oft nur schwer möglich, Beweise für die Berichterstattung und die darin enthaltenen Äußerungen zu sichern und im Rechtsstreit vorzulegen. Auch die Recherchemöglichkeiten der Presse sind im Ausland laut OLG Hamburg wegen des mitunter schlechteren Schutzes eingeschränkt. Das ist deshalb problematisch, weil sich die Presse nur erfolgreich gegen den strafrechtlichen Vorwurf der üblen Nachrede wehren kann, indem sie entweder gemäß § 186 StGB die Wahrheit ihrer Äußerung, oder aber die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB nachweist.
Mit dem Urteil des OLG Hamburg, das eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg bestätigt hat, wurde nun nach Aussage des OLG erstmals gerichtlich geklärt, dass sich ausländische Staaten weder auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht noch auf die spezifischen Ehrdelikte des Strafrechts berufen können.
Auch Afghanistan verlor vor Gericht
In der Vergangenheit war die Frage, ob ausländische Staaten äußerungsrechtlichen Schutz genießen, unbeantwortet geblieben: So hatte die Republik Aserbaidschan im Jahr 2012 SPIEGEL Online wegen einer Berichterstattung verklagt, in der es um vermeintliche Kontakte Aserbaidschans zu einer Lobby-Agentur ging. Das Landgericht München I (Urteil v. 30.04.2014, Az. 9 O 23827/13) ließ die Frage nach dem Ehrschutz zwar offen, weil die Ansprüche aus anderen Gründen scheiterten. Es verwies aber auf die Verpflichtung, anderen Völkerrechtssubjekten effektiven inländischen Rechtsschutz zu gewähren, und konnte sich daher tendenziell vorstellen, auch ausländische Staaten in den Schutzbereich zumindest der strafrechtlichen Ehrdelikte einzubeziehen.
Zum damaligen Zeitpunkt hatten ausländische Staaten und ihre politischen Vertreter generell mehr Schutz gegen abträgliche Äußerungen: Der damals noch gültige § 103 StGB stellte die Beleidigung ausländischer Organe und Vertreter ausdrücklich unter Strafe. Der Bundestag hat § 103 StGB mittlerweile aufgehoben. Auf ihrer Grundlage ermittelte die Staatsanwaltschaft 2016 gegen Jan Böhmermann, nachdem dieser ein satirisches "Schmähgedicht" über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan vorgetragen hatte.
Bundesrepublik Deutschland: Funktions- statt Ehrschutz
Um den deutschen Staat ist es nach den Urteilen des OLG Hamburg zum Königreich Marokko in äußerungsrechtlicher Hinsicht besser bestellt: Auch er kann sich als Hoheitsträger zwar nicht auf ein grundrechtliches Persönlichkeitsrecht berufen. Einzelne innerstaatliche Institutionen wie Behörden sind aber wegen § 194 Abs. 3 und 4 StGB ausdrücklich durch die strafrechtlichen Ehrdelikte geschützt.
Der deutsche Staat selbst kann sich gegen "Verunglimpfungen" gemäß § 90a StGB zumindest strafrechtlich wehren. Außerdem hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass auch die Bundesrepublik als solche zivilrechtlich gegen Äußerungen vorgehen kann, allerdings nur sofern durch die Äußerung eine erhebliche Funktionsbeeinträchtigung droht. Im Fall vor dem BGH (Urteil v. 22.04.2008, Az. VI ZR 83/07) hatte der FOCUS dem Bundeskriminalamt "gezielte Desinformation" vorgeworfen, wogegen die Bundesrepublik als Klägerin erfolgreich vor die Zivilgerichte zog.
Eine solche Funktionsbeeinträchtigung des deutschen Staates hat in jüngerer Zeit auch das Kammergericht (KG) in Berlin angenommen. Julian Reichelt hatte getweetet, dass die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro an Entwicklungshilfe an die Taliban schicken würde. Das KG verbot diese Äußerung als unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, "das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Bundesrepublik bzw. des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), und deren Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen".
Damit stehen ausländische Staaten in zweierlei Hinsicht schlechter da als die Bundesrepublik. Einerseits geht aus dem Urteil des OLG Hamburg (nur) hervor, dass sich ausländische Staaten als solche nicht auf die Ehrdelikte berufen können. Andererseits deutet die Begründung des Pressesenats jedoch auch darauf hin, dass auch einzelne Behörden ausländischer Staaten nicht geschützt sind. Mit dem Anfangsbeispiel gesprochen: Auch die NASA als US-Bundesbehörde könnte sich wohl nicht gegen die Verschwörungserzählung von der Fake-Mondlandung wehren.
Staatschefs bleiben nicht schutzlos
Während ausländische Staaten also nach dem Urteil des OLG Hamburg keinen Schutz vor unliebsamen Äußerungen haben, zeigt die Causa Erdoğan gegen Böhmermann auch, dass zumindest einzelne Staatsoberhäupter und andere Repräsentanten ausländischer Staaten Schutz vor Ehrverletzungen haben und sich insoweit auf ihr Persönlichkeitsrecht berufen können. So konnte Erdoğan – ebenfalls zunächst vor den Hamburger Pressegerichten – erfolgreich ein Verbot großer Teile des besagten Schmähgedichts bewirken. Eine Verfassungsbeschwerde Böhmermanns hiergegen blieb erfolglos.
Und auch der Staat Marokko darf noch hoffen: Gegen die Urteile des OLG Hamburg hat er bereits Revision beim BGH eingelegt. Die Ehrenrettung des Königreichs?
Das Königreich Marokko wird in den Verfahren von Dr. Till Dunckel (Nesselhauf Rechtsanwälte) vertreten, die Süddeutsche Zeitung von Martin Schippan (Rechtsanwälte Lausen) und ZEIT Online von Julius Wieske (Rechtsanwälte Senfft, Kersten, Nabert, van Eendenburg).
Äußerungsrechtlicher Schutz von ausländischen Staaten: . In: Legal Tribune Online, 29.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53974 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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