Der Verkehrssicherheitsrat will Alkohol am Steuer komplett verbieten, auch andere Verbände schließen sich der Forderung an. Was bislang nur für Fahranfänger gilt, soll bald alle Autofahrer treffen. Doch so einfach ist es nicht. Die Grenzwertbestimmung ist eine extrem schwierige Materie, meint Kay Nehm und fordert Aufklärung und Kontrolle statt gut gemeinter Reformen.
Ende Oktober propagierte der Vorstand des Deutschen Verkehrssicherheitsrates e.V. (DVR) ein absolutes Alkoholverbot am Steuer. Mit dieser Forderung ist der Verein keineswegs allein. Namhafte Verbände haben sich – angeblich in Übereinstimmung mit der Auffassung von 59 Prozent der befragten Bürger – zu einem derartigen Verbot bekannt. Warum nur knapp mehr als die Hälfte, wenn von den zwischen 2000 und 2009 im Straßenverkehr Getöteten rund 7.000 ihr Leben bei Alkoholunfällen verloren haben? Gilt nicht der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit aller Verkehrsteilnehmer zweifelsfrei mehr, als eingeschliffene Unsitten einer Minderheit?
So einfach ist es jedoch nicht. Die Bestimmung von Grenzwerten berauschender Mittel und deren Handhabung zählt zu den schwierigsten Materien des Verkehrsrechts. Es überrascht deshalb nicht, dass die Forderung nicht nur im Umfeld notorische Trinker auf Ablehnung stößt.
Das geltende Recht ist kompliziert, indessen einfach beschrieben: 1,1 Promille lautet der strafrechtliche, 0,5 Promille der Grenzwert im Recht der Ordnungswidrigkeiten. Kompliziert wird es, weil nach der Rechtsprechung Bestrafung auch droht, wenn ein Fehlverhalten auf alkoholische Beeinflussung ab 0,3 Promille zurückzuführen ist. Ob dieses Ineinandergreifen von Richter- und Gesetzesrecht, von Strafe und Bußgeld dem durchschnittlichen Autofahrer einleuchtet, darf bezweifelt werden. Hier genügt die Feststellung, dass die Rechtsordnung bereits heute das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss ab 0,3 Promille missbilligt und mit Strafe, Bußgeld, Fahrverbot oder Fahrerlaubnisentzug sanktioniert.
Gut gemeint: Der Schutz vor sich selbst
Gewiss darf das Bewusstsein, nur trocken ans Steuer zu dürfen, in seiner Wirkung nicht unterschätzt werden. Unbestreitbar auch der Nebeneffekt, dass die bei geringeren Promillewerten einsetzende Versuchung, sich an den Grenzwert heranzutrinken, verringert wird. Reicht das aus, den Alkohol aus Teilen des gesellschaftlichen Lebens zu eliminieren?
Holen wir die Auseinandersetzung von der Warte der Gutmeinenden in die Niederungen harter Fakten herunter, stellen sich zwei Fragen: Erstens, gibt es Belege, dass ein Alkoholverbot in signifikanter Weise die Verkehrssicherheit erhöht? Zweitens, darf die Handlungsfreiheit aller Verkehrsteilnehmer um einer Signalwirkung willen und mit dem Ziel eingeschränkt werden, die wenigen zur Trunkenheitsfahrt Neigenden davor zu bewahren, sich in den Bereich absoluter Fahruntüchtigkeit hineinzutrinken und dabei die Kontrolle über sich und ihr Fahrzeug zu verlieren? Beides Nein!
Der Schutz vor sich selbst ist gut gemeint. Das Alkoholverbot soll aber die Allgemeinheit vor alkoholisierten Fahrzeugführern schützen. Die meisten Unfälle, bei denen Alkohol im Spiel war, sind allerdings auf eine Alkoholkonzentration von mehr als 1,1 Promille zurückzuführen. Laut statistischem Bundesamt erreichten 71 Prozent diesen Wert, über ein Fünftel hatten sogar mehr als 2,0 Promille Alkohol im Blut. Auch das relativiert die Verhältnismäßigkeit eines absoluten Alkoholverbots.
Ein Alkoholverbot beschränkt die allgemeine Handlungsfreiheit
Dass bereits geringere Mengen des Rauschmittels körperliche Reaktionen wie Müdigkeit oder Schwitzen auslösen, ist allein kein Eingriffskriterium. Die Rechtsordnung akzeptiert generell den durchschnittlichen Autofahrer mit seinen aktuellen und dauerhaften Schwächen. Sie geht davon aus, dass geringere Fähigkeiten unter anderem durch Routine kompensiert werden. Entscheidend ist daher die Frage, ob niedrige Promillewerte generell nennenswerte Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit haben.
Nach gesicherter Erkenntnis bewirkt eine Alkoholkonzentration zwischen 0,5 und 1,0 Promille Enthemmung und erhöhte Risikobereitschaft. Dass Werte deutlich unter 0,5 Promille bei erfahrenen Fahrzeugführern nennenswerte Verkehrsgefahren hervorrufen, ist dagegen bislang nicht belegt. Dies deckt sich mit den Erfahrungen der strafgerichtlichen Praxis: Verurteilungen wegen relativer Fahruntüchtigkeit ab 0,3 Promille spielen keine signifikante Rolle.
Somit beschränkt ein absolutes Alkoholverbot die überwiegende Zahl der Kraftfahrer in ihrer Handlungsfreiheit, um einer Minderheit ein Signal zu setzen und sie von rechtswidrigem Tun abzuhalten. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt, die Gefahr, dass sich bestimmte Personen in rechtswidriger Weise verhalten, ist regelmäßig und vorrangig diesen Personen zuzurechnen (BVerfG, Beschl. v. 22.07.2010, Az. 2 BvR 1528/10 – Sicherungsmaßnahmen zum Schutz vor Mitgefangenen; Beschl. v. 14.05.1985, Az. 1 BvR 233, 341/81 - Brokdorf) Die Gefahren sind nach Möglichkeit durch ihnen gegenüber zu ergreifende Maßnahmen abzuwehren, bevor Dritte ohne Weiteres zum Objekt eingreifender Maßnahmen der Gefahrenabwehr gemacht werden.
Null-Promille-Grenze bei Fahranfängern sinnvoll
Zweifellos hat sich das 2007 eingeführte Alkoholverbot für Fahranfänger und junge Verkehrsteilnehmer bewährt. Trunkenheitsfahrten und damit die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten sind in dieser Altersgruppe um 17 Prozent zurückgegangen. Hier treffen jedoch Anfänger-, Unfall- und Jugendlichkeitsrisiko in besonderem Maße aufeinander. Zudem sind bei dieser Gruppe die Wahrnehmungsstrategien und Automatismen der Fahrzeugbeherrschung kaum eingeübt. Das absolute Alkoholverbot erscheint daher in diesen Fällen angemessen, zumal mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und die Sanktionen im unteren Bereich angesiedelt sind.
Tatsächlich läuft das propagierte absolute Alkoholverbot auf einen neuen Grenzwert von 0,2 Promille hinaus. Einer gesetzlichen Null-Promille-Grenze wäre nach der Entscheidung des BVerfG zum „Nullwert“ für Drogen das entsprechende Verdikt sicher. Da Alkohol im Blut aufgrund natürlicher Prozesse auch ohne Alkoholgenuss auftreten kann und negative Einflüsse auf die Fahrtüchtigkeit erst ab 0,2 Promille nachgewiesen sind, schlägt der DVR vor, in der Begründung klarzustellen, dass mit der Formulierung „unter der Wirkung alkoholischer Getränke“ ein Wert oberhalb von 0,19 Promille verstanden wird. Damit reduziert sich das Anliegen des DVR auf ein fragwürdiges Unter-Strafe-Stellen von 0,1 Promille unterhalb der 0,3 Promille-Grenze. Dies ginge auf Kosten einer erheblichen Verunsicherung. Wer ist schon in der Lage, vor spontanen oder geplanten Fahrten exakt die Grenze von 0,19 Promille zu bestimmen? Schließlich würde dem Alkoholverbot die erstrebte Wirkung genommen, weil Bußgeld, Fahrverbot oder Punkte angesichts des Bagatellcharakters deutlich unterhalb des heutigen Sanktionsrahmens anzusiedeln wären.
Alkohol und Autofahren müssen getrennt, Auto fahrende Trinker müssen entdeckt und aus dem Verkehr gezogen werden. Dazu bedarf es keines wohlgemeinten Herumdokterns an der Gesetzes- und Rechtslage. Erforderlich sind gesteigerte Aufklärung und vermehrte Kontrollen. Überfällige Reformen sollten nicht ohne eingehende Diskussion und nicht ohne europäische Harmonisierung in Angriff genommen werden.
Kay Nehm ist ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und Generalbundesanwalt a.D. Er ist zudem Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages e.V.
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Null-Promille-Grenze im Straßenverkehr: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4709 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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