Gescheiterte NRW-Regierung: Die meisten Unfälle passieren im Haushalt

Dr. Henning Tappe

15.03.2012

Wieder einmal hat ein Haushalt ein politisches Erdbeben ausgelöst, die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ist am Ende. Am Mittwoch lehnte der Düsseldorfer Landtag in der zweiten Lesung den Einzelplan für das Innenministerium ab, am Ende der Sitzung wurde das Parlament aufgelöst. Diese Konsequenz aber war eine rein politische und rechtlich keineswegs zwingend, erklärt Henning Tappe.

Das bevölkerungsreichste Bundesland hat inzwischen leidvolle Erfahrung mit Haushaltsproblemen. In den letzten Jahren hat der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof immerhin dreimal einen Haushalt für verfassungswidrig erklärt: 2003 (VerfGH 6/02), 2007 (VerfGH 9/06) und 2011 (VerfGH 20/10). Diesmal ist der Haushalt gar nicht erst zustande gekommen, nun stehen Neuwahlen an.

Während des so genannten preußischen Budgetkonflikts konnte die Staatsregierung unter Otto von Bismarck immerhin vier Jahre lang auch ohne einen gesetzlich festgestellten Haushaltsplan weiterregieren – auf der Grundlage der zwischen 1862 und 1866 immer wieder vom Abgeordnetenhaus abgelehnten Haushaltsgesetzentwürfe. Aber seinerzeit gab es ja auch noch einen preußischen König, den späteren Kaiser Wilhelm I., und der Anlass für die Weigerung des preußischen Abgeordnetenhauses war die preußische Heeresreform. In Hannelore Krafts Bundesland war es der Einzelplan 03, das Budget für das Ressort Inneres und Kommunales.

Dabei war es für alle beteiligten Fraktionen überraschend, dass der Haushalt an diesem Einzelplan in zweiter Lesung scheiterte. Bis einen Tag vorher war man allgemein davon ausgegangen, dass die rot-grüne Minderheitsregierung nach der zweiten noch bis zur dritten Lesung des Haushalts, die Ende März stattfinden sollte, Zeit haben würde, um eine Mehrheit für den Haushalt zu organisieren. Am Dienstag aber gab die Landtagsverwaltung ihre Rechtsauffassung bekannt: Mit der Ablehnung von Einzelplänen in zweiter Lesung werde die dritte Lesung über den Gesamthaushalt "eine leere Hülle".

Kein Haushalt, wenn alle Einzelpläne scheitern

Diese Lösung ist aber rechtlich keineswegs zwingend. Ein Haushalt ist nach der Geschäftsordnung in drei Lesungen zu behandeln. Traditionell werden Haushalte – wie alle Gesetzentwürfe – in der ersten Lesung begründet und in ihren Grundsätzen beraten. In der zweiten Lesung geht es um die Details, also die Einzelpläne, die sich an den Ressorts orientieren, während in der dritten Lesung dann der Haushalt abschließend beraten und verabschiedet wird. Dass schon eine zweite Lesung als Einzelberatung und Einzelabstimmung durchgeführt wird, also vor der abschließenden Lesung nur Teile eines Gesetzes abgestimmt und eventuell abgelehnt werden, kommt auch außerhalb der Haushaltsberatungen bei "normalen" Gesetzen vor.

Allerdings bilden die jährlichen Haushalte grundsätzlich eine Einheit. Die Regierungen haben deshalb ein alleiniges Initiativrecht für die Haushaltsgesetze, das andererseits wegen dieses Monopols auch ihre Initiativpflicht ist. Allein die Regierung verfügt über den administrativen Apparat zur Aufstellung des Haushaltsentwurfs.

Dieses Initiativrecht bricht aber nicht das Recht des Parlaments zur Beratung. Wie jedes andere Gesetz wird ein von der Regierung vorgeschlagenes Haushaltsgesetz vom Parlament verhandelt. Dabei hat der Landtag auch das Recht zur abweichenden Beurteilung und zur Änderung eingebrachter Gesetzesentwürfe. Tatsächlich gibt es keinen Haushalt mehr, wenn alle Einzelpläne eines Haushalts von der Mehrheit abgelehnt werden, wie es vorliegend die mit einer Mehrheit ausgestattete Opposition wohl geplant hatte. Das Argument: Der mit dem Haushaltsgesetz festgestellte Gesamtplan fasst nur die Einzelpläne zusammen, wenn sie alle scheitern, gibt es auch keinen Haushalt.

Ein Teilhaushalt ist besser als gar kein Haushalt

In NRW aber ist zunächst nur der Entwurf für den Haushalt des Innenministeriums, also nur ein Einzelplan abgelehnt worden. Die Verabschiedung der übrigen Teile des Haushalts in dritter Lesung wäre noch möglich gewesen, das vollständige Haushaltsgesetz mit dem zunächst gescheiterten Einzelplan hätte man nachschieben können. Einer Auflösung des Parlaments hätte es nicht bedurft.

Ein Teilhaushalt ist kein Vollhaushalt. Würde der Haushalt ohne einen für ein bestimmtes Ressort streitigen Einzelplan verabschiedet, ist das nicht "der" Haushalt, von dem die Verfassungen ausgehen. Denn "der" Haushalt muss vollständig sein und das gesamte Haushaltsjahr beplanen.

Dennoch ist der Teil eines Haushaltes besser als gar kein Haushalt. Die Verfassungen enthalten zwar vorläufige Ermächtigungen, damit die Regierung bestimmte notwendige Ausgaben auch ohne einen gültigen Haushaltsplan leisten darf (Art. 82 Nordrhein-westfälische Landesverfassung, für den Bund: Art. 111 Grundgesetz, GG).

Trotzdem kann man gesetzliche Regelungen für Teilbereiche des Haushalts treffen und auf diese zurückgreifen. In den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde auf Bundesebene nicht Art. 111 GG angewandt, sondern es wurden "vorläufige Haushaltsführungsgesetze" verabschiedet. Sie bildeten die Grundlage der Finanzwirtschaft, bis das eigentliche Haushaltsgesetz wirksam wurde.

Rechtlich kein Problem: Das Haushaltsgesetz als Teilhaushalt verabschieden

In neuerer Zeit sind auf Landesebene verschiedentlich entsprechende Haushaltsvorschaltgesetze ergangen. Solche vorläufigen Haushaltsgesetze sind für die Überbrückung zwar in der Regel nicht erforderlich, aber grundsätzlich zulässig (BVerfG, Urteil v. 25.5.1977, 2 BvE 1/74, BVerfGE 45, 1 [34]). Sie können zu solchen Ausgaben ermächtigen, die von den verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen nicht gedeckt sind. Bei den vorläufigen Gesetzen handelt es sich um "Teilhaushaltspläne", für die weder die Jährlichkeit noch die Gebote der Vollständigkeit und des Haushaltsausgleichs gelten.

Warum also sollte das Parlament nicht das Recht haben, einen eingebrachten "Vollhaushalt" während der Beratungen um den strittigen Teil zu bereinigen und stattdessen das Haushaltsgesetz als "Teilhaushalt" zu verabschieden?

Das Scheitern der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW schon nach der zweiten Lesung und dem nicht mehrheitsfähigen Haushalt für das Innenministerium war also keineswegs zwingend. Im Bundesland von Rhein und Ruhr ging es nicht um inhaltliche Fragen zu einem bestimmten Einzelplan. Es ging – fast wie in Preußen in den Jahren 1862 bis 1866 – um die Macht zwischen Parlament und Regierung. Neuwahlen, die zu klaren Mehrheitsverhältnissen führen können, sind wahrscheinlich nicht die schlechteste Lösung. Der Haushalt eignet sich zwar gut zum Streit über Sachfragen, aber auch hier gilt: Wenn man sich noch abstimmen muss, sollte man noch nicht abstimmen.

Der Autor Dr. Henning Tappe ist Akademischer Rat und Habilitand am Institut für Steuerrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Zitiervorschlag

Gescheiterte NRW-Regierung: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5791 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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