Das Prinzip der Verbandsklage: Umweltschützer sollen umweltrechtswidriges Verhalten rügen können, ohne selbst in eigenen Rechten verletzt sein zu müssen. Wo derzeit Probleme liegen und was das neue UmwRG bringt, erklärt Sabine Schlacke.
Der Schutz der Umwelt wird von zahlreichen Gesetzen gewährleistet, zum Beispiel durch das Bundesnaturschutzgesetz, das Bundes-Immissionsschutzgesetz oder das Wasserhaushaltsgesetz. Während umweltbeeinträchtigendes Verhalten, wie etwa der Bau von Industrieanlagen, regelmäßig durch subjektive Rechte wie Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz geschützt und gerichtlich durchsetzbar ist, fehlt es an entsprechenden Rechten der Natur. Zudem werden große Infrastrukturprojekte wie Flughäfen oder Straßen durch die öffentliche Hand geplant, während die Beachtung der Umweltgesetze ebenfalls von der Verwaltung kontrolliert wird. Dies geschieht oftmals in nicht ausreichendem Maße: Es ist allgemein anerkannt, dass im Umweltbereich ein Vollzugsdefizit besteht.
Um dieses zu beseitigen, haben zunächst die Länder (ab 1979) und später der Bund (2002) sogenannte Verbandsklagen im Naturschutzrecht eingeführt (§ 64 BNatSchG). Sie erlauben behördlich anerkannten Naturschutzverbänden, in gesetzlich festgelegten Fällen – sozusagen als Anwälte der Natur – Rechtsbehelfe zu erheben, um naturschutzrechtswidriges Verhalten zu rügen, ohne aber eine Verletzung in eigenen, subjektiven Rechten geltend machen zu müssen. Bei diesen Verbandsklagen handelt es sich um gesetzlich zugewiesene, überindividuelle Klagebefugnisse i.S.v. § 42 Abs. 2, 1. Hs. Verwaltungsgerichtsordnung. Danach kann ein Verband zum Beispiel die Planfeststellung einer Bundesautobahn, die negative Auswirkungen auf ein Naturschutzgebiet hat, gerichtlich überprüfen lassen.
Völker- und Unionsrecht verpflichteten Deutschland, die naturschutzbeschränkten deutschen Eigengewächse der Verbandsklage erheblich auszuweiten. Die EU ratifzierte das sogenannte UN-ECE-Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention (AK)), die in Art. 9 das Recht zum Zugang zu Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Umwelt-verbände vorsieht. Die EU setzte Art. 9 AK im Wesentlichen durch die Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie 2003/35/EG um. 2006 erließ Deutschland das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG), um die Anforderungen des EU-Rechts und der AK in nationales Recht zu transformieren.
Deutschland zu langsam mit der Umsetzung
Dem deutschen Gesetzgeber attestierte der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az. C-115/09, C-72/12, C-137/14) und nach Stellungnahme des Aarhus Compliance Committees die Vertragsstaatenkonferenz der AK (Beschl. V/9 2014), dass die Rechtsbehelfsmöglichkeiten für Umweltverbände nicht vollständig den europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben entsprechen. Ferner gab die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.9.2013 (Az. 7 C 21.12) Anlass, den Anwendungsbereich des UmwRG erheblich zu erweitern.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf ist nach zwei Novellen der dritte Versuch, den Umweltrechtsschutz völker- und unionsrechtskonform auszugestalten. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll er Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK umsetzen.
Der Entwurf ist insgesamt zu begrüßen, denn er bezweckt eine völker- und unionsrechtskonforme Ausgestaltung des UmwRG.
2/2: Verbände werden weitreichender prüfen lassen können
§ 1 UmwRG-E wird erheblich erweitert: Danach können nach § 3 UmwRG aner-kannte Umweltverbände nunmehr etwa auch Pläne und Programme, wie etwa Luftreinhaltepläne der Kommunen, gerichtlich überprüfen lassen. Allerdings werden andere umweltrelevante Pläne – nach wie vor völkerrechtswidrig – aus dem Katalog ausgenommen, so etwa die Bundesfachplanung nach § 15 Abs. 3 S. 2 Netzausbaubeschleunigungsgesetz, der Bundesfachplan Offshore oder die Verkehrswegeplanung auf Bundesebene (vgl. Änderung des § 19b UVPG, BR-Drs. 422/16, S. 8). Auch sind umweltbezogene Verordnungen wie Flugrouten-festlegungen oder Naturschutzgebietsverordnungen nach der Entwurfsfassung nicht umweltrechtsbehelfsfähig.
Der Gesetzentwurf streicht außerdem materielle Präklusionsvorschriften, derzeit noch in § 2 Abs. 3 UmwRG, § 73 Abs. 4 S. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zu finden. Eine derartige Verwirkung der Einwendungsbefugnis im gerichtlichen Verfahren erkannte der EuGH in der Rechtssache C-137/14 zu Recht als unionsrechtswidrig. § 5 UmwRG-E enthält indes eine Ausnahme, die auch der EuGH zuließ: Ein Rechtsbehelfsführer verliert seine Einwendungsbefugnis im gerichtlichen Verfahren, wenn er sich vorprozessual missbräuchlich oder unredlich verhalten hat. Was genau "missbräuchliches" oder "unredliches" vorprozessuales Verhalten ist, hat zukünftig die Rechtsprechung zu klären. Dies birgt erneut die Gefahr, dass eine zu enge Auslegung zu unions- und völkerrechtswidrigen Judikaten führt.
Heilungsmöglichkeiten bei materiellen Rechtsverstößen ausgeweitet
§ 7 Abs. 5 UmwRG-E sieht eine Heilung von Verletzungen materieller Rechts-vorschriften durch Entscheidungsergänzung oder durch ein ergänzendes Ver-fahren vor. Bislang findet die Möglichkeit der Heilung von materiellen Rechts-verletzungen im umweltbezogenen Fachrecht Anwendung, nämlich bei Planfeststellungen, die mit einer Abwägungsentscheidung, dem Planfeststellungsbeschluss, enden (vgl. § 75 Abs. 1a VwVfG). Nach dem Gesetzentwurf werden nunmehr neuartig auch gebundene Entscheidungen, wie die immissionsschutz-rechtliche Genehmigung, von dieser Heilungsmöglichkeit erfasst. Die Vorschrift stellt einen Systembruch für das deutsche Verwaltungsrecht dar und sollte aufgegeben werden.
Insgesamt wird mit der Novelle des UmwRG der Umfang sonderverfahrens- und -prozessrechtlicher Vorschriften erheblich erweitert. Die Verortung dieser Anpassung im sektoralen Umweltrecht dürfte der Bedeutung dieser Vorschriften in der Praxis aber nicht gerecht werden.
Das nur schrittweise Vorgehen des Gesetzgebers eröffnet überdies zu wenig Spielraum für völker- und europarechtskonforme Interpretation. Wie angedeutet werden weitere Anpassungen an das Völker- und Unionsrecht erforderlich sein.
Die Autorin Prof. Dr. Sabine Schlacke ist Direktorin des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.
Prof. Dr. Sabine Schlacke, Ausgeweitete Verbandsklagen: Novelle des UmwRG: Ein besseres Werkzeug für die Anwälte der Natur? . In: Legal Tribune Online, 17.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20845/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag