TV-Experiment Newtopia: Menschenwürde im Niemandsland

2/2: Image-Streit zwischen "Sternchen" auf der Burg

Anders bei der Sendung "Die Burg" von Pro Sieben: Hier blieb aber der Sender unbehelligt, stattdessen gingen zwei der "Promi-Kandidaten" juristisch gegeneinander vor. Ein Boulevardsternchen beklagte sich unter anderem über einen angeblichen Imageschaden, weil ein anderer Teilnehmer der Sendung ihr ins Badewasser uriniert hatte. Vor laufenden Kameras hatte sie dann einen Arm ins Wasser gehalten.

Das Landgericht (LG) Berlin stellte fest, dass "das ganze Sendeformat erkennbar darauf angelegt war, dass sich die Teilnehmer zur Belustigung des Publikums bloßstellen und zum Teil entwürdigen, wohl um ihre Bekanntheit zu steigern."

Obwohl sich das Verfahren nicht gegen das Format als solches richtete, ließ das Gericht durchblicken, dass es durch das Format keine Persönlichkeitsrechtsverletzung oder gar eine Verletzung der Menschenwürde sah (AZ 27 0 348/08).

Frauentausch: Ziel, die Kandidatin lächerlich zu machen

Dass sich in den meisten Fällen die Kandidaten sehr bewusst auf die Formate einlassen, zeigt schon, dass es kaum Klagen von (Ex-)Teilnehmern von Reality-Formaten gibt.

Eine Ausnahme betrifft eine Folge der Sendung "Frauentausch", die ebenfalls bei RTL2 lief. Durch die Nachbearbeitung und Off-Kommentare fühlte sich eine Kandidatin herabgewürdigt und ließ weitere Wiederholungen erfolgreich untersagen.

Hier bejahte das LG Berlin, anders als bei der Burg-Entscheidung, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin. Es begründete seine Entscheidung insbesondere mit der intellektuellen Überforderung der Frau und ihrer Unerfahrenheit im Umgang mit Medien. Die vorab unterzeichnete Mitwirkungsvereinbarung betrachtete es als unwirksam.

Einen Eingriff in die Menschenwürde nahm das Gericht aber auch hier nicht an. Die unzulässige Bearbeitung mit dem Ziel, die Klägerin lächerlich zu machen und auch das etwaige Inszenieren von Szenen sah es bloß als "überschießendes Moment", welches nicht die hohe Hürde einer Menschenwürdeverletzung erreichte (AZ 27 O 14/12).

Beleidigende Juryäußerungen bei DSDS desorientieren Kinder

Die Aufsichtsbehörden können aber auch eingreifen, lange bevor die Menschenwürde in Gefahr ist. Bei TV-Formaten sind dabei insbesondere Fragen des Jugendschutzes zu beachten.

So dürfen entwicklungsbeeinträchtigende Angebote nach § 5 JMStV in Deutschland grundsätzlich nur zu bestimmten Uhrzeiten ausgestrahlt werden. Darunter fallen insbesondere Sendungen, welche die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten beeinträchtigen, indem sie bloßstellende, herabwürdigende oder gesundheitsschädigende Verhaltensweisen verharmlosen oder als nachahmenswert darstellen.

Verstöße gegen den Jugendschutz können Sender teuer zu stehen kommen. Ein Bußgeld von 100.000 Euro musste beispielsweise RTL zahlen, weil der Sender vier Folgen der Casting-Sendung "Deutschland sucht den Superstar" im Nachmittagsprogramm wiederholte. Die beleidigenden Juryäußerungen empfanden die Jugendschützer als desorientierend für Kinder unter zwölf Jahren. Die Folgen hätten somit erst ab 20 Uhr ausgestrahlt werden dürfen.

Piercings erst ab 12, zugenähte Lippen ab 16 Jahren

Ebenfalls nicht für Kinder unter zwölf geeignet empfanden Jugendschützer eine Folge Big Brother aus dem Jahr 2004, bei der eine Kandidatin ein Brustwarzenpiercing erhielt. Das Piercen zu zeigen ohne auf die Risiken einzugehen, könnte junge Zuschauerinnen sozialethisch desorientierten.

Die Vorgaben des Jugendschutzes bekamen vergangenes Jahr auch die ProSieben-Moderatoren Joko und Klaas zu spüren. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) beanstandete im vergangenen Jahr ihre Spielshow "Das Duell um die Welt", weil sich Moderator Joko Winterscheidt in der Sendung die Lippen zunähen ließ. Obwohl künstlich in zwei Sendeteile aufgeteilt, hätte nach Auffassung der Jugendschützer die ganze Sendung erst nach 22 Uhr laufen dürfen: Ab dann sind Sendungen für Zuschauer ab 16 Jahren zulässig.

Sat.1 strahlt die Sendung bereits um 19 Uhr aus, das Format wird also für alle Altersgruppen geeignet sein müssen. Dennoch: In der ersten Folge erzählte ein Kandidat bereits von seiner Liebe zur Polygamie, eine Kandidatin packte unter Beobachtung der Kameras Kondome ein. Die Regie wird darauf achten müssen, dass auch die Livestreams im Internet keine entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte zeigen oder durch geeignete technische Mittel den Zugriff von Kindern verhindern.

Die Praxis zeigt also, dass ein Menschenwürdeverstoß, der zum Sendeverbot führt, nur in besonders krassen Fällen angenommen werden kann. Zwar bietet auch Newtopia eine Reihe schillernder Charaktere - anders als in dem entschiedenen Fall der "Super Nanny" ist eine Zurschaustellung von besonders schutzbedürftigen Teilnehmern aber kaum zu erwarten.

Felix Hilgert ist als Rechtsanwalt bei Osborne Clarke in Köln tätig. Er berät hauptsächlich Unternehmen aus der Gamesbranche mit einem Schwerpunkt im Jugendschutzrecht. Philipp Sümmermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Osborne Clarke.

Zitiervorschlag

Philipp Sümmermann und Felix Hilgert, TV-Experiment Newtopia: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14775 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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