2/2: Gab es eine Weisung oder nicht?
Und der Justizminister? Während Range, als er nicht mehr gewinnen konnte, womöglich hoffte, Heiko Maas mit der Kritik an dessen angeblichem "unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz" im freien Fall noch mitzunehmen, scheint es, als überstehe jener die Affäre in seinem Verantwortungsbereich nicht nur unbeschadet, sondern könnte sogar gestärkt aus ihr hervor gehen.
Dabei hat er über Monate nicht verhindert, dass der Generalbundesanwalt wegen eines schweren Verbrechens gegen Journalisten ermittelte – in einem Ausmaß, das bis heute nicht sicher bekannt ist. Er hat erst eingegriffen, als die Empörung der Öffentlichkeit und der in eigener Sache besonders sensiblen Medien sich auch gegen ihn zu richten drohte.
Schließlich hat Maas, jedenfalls, wenn man dem zukünftigen Ex-Generalbundesanwalt Glauben schenken mag, per Weisung untersagt, dass ein juristisches Gutachten fertiggestellt wird, dessen Ergebnis ihm politisch unerwünscht war. Laut Heiko Maas war das anders, gab es keine Weisung, sondern ein gemeinsam und in Unkenntnis irgendwelcher Ergebnisse des Gutachtens besprochenes Vorgehen, an das Range sich nicht gehalten hat. Deshalb, so der SPD-Mann, war das Vertrauensverhältnis zerrüttet, Range nicht mehr tragbar. Wer die Unwahrheit sagt, ist unklar. Gründe dafür hätte derjenige, der ohnehin aus dem Amt scheidet, eigentlich nicht.
Juristisch völlig sauber
Noch einmal: Nach geltendem Recht hätte Maas dem Grunde nach auch das tun dürfen, was er getan zu haben bestreitet. Es ist das Recht des Bundesjustizministers, dem obersten Anwalt des Staates eine Weisung zu erteilen. Er darf dabei nur keine Strafverfolgung vereiteln. Auch wenn aber die Staatsanwaltschaft Berlin nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Medien seit Dienstag das Vorliegen eines diesbezüglichen Anfangsverdachts prüft, darf man bezweifeln, dass daraus jemals auch nur ein Ermittlungsverfahren werden wird. . Das weiß auch der Spitzenjurist Harald Range, so ungeschickt der Glücklose sich in der Affäre einmal mehr verhalten haben mag.
Das wissen auch die Juristen, denen der Skandal um einen hohen Amtsträger einen publikumswirksamen Anlass bietet, ihre Forderung nach der Abschaffung des Weisungsrechts bei der Staatsanwaltschaft zu erneuern. Mehrere Juristenverbände kämpfen seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik. Sie scheitern. An der Politik.
Auch Heiko Maas weiß, dass er eine Weisung hätte erteilen dürfen. Er hätte die Ermittlungen verhindern können und müssen, bereits Monate zuvor. Er tat es nicht. Die Einmischung der Politik in die im Volksmund "unabhängige" Justiz klingt für die Vox Populi stets unschön und endet in der Regel im Skandal.
Der Schuss, der nach hinten los ging
Man darf nach seinem erzürnten Auftritt vom Dienstagmorgen vermuten, dass der Generalbundesanwalt, von dem sich längst alle abgewandt hatten, beabsichtigte, zum Amtsende noch einmal einen ebensolchen Skandal auszulösen.
Tatsächlich aber half mit diesem Frontalangriff ein Zauderer dem anderen. Range gab dem Minister aus dem Saarland, der trotz enorm vieler Projekte und scharfer Positionen in Sachen Kinderpornografie und Vorratsdatenspeicherung auf Bundesebene bislang als eher blass und zurückhaltend wahrgenommen wird, die perfekte Vorlage.
Maas handelt, und das schnell. Er kehrt aus dem Urlaub zurück und stellt sich noch am Abend des Affronts ans Rednerpult. Als er seinen obersten Ankläger feuert und gleichzeitig beteuert, nicht in dessen Arbeit eingreifen zu wollen, wirkt er energisch. Es ist der Auftritt eines Machers. Der Mann, der über Monate wissentlich duldete, dass Ermittlungen wegen eines schweren Verbrechens gegen Journalisten geführt wurden, entschied nun binnen Stunden, dass der Mann, der das zu verantworten habe, nicht länger tragbar sei. Die Pressefreiheit ist schließlich ein hohes Gut.
* Rechtliche Klarstellung am 10.08.2015, 15.05 Uhr: Der GBA untersteht der Dienstaufsicht des Bundesjustizministers, der innerhalb der Bundesregierung und gegenüber dem Parlament die politische Verantwortung für die Tätigkeit der Behörde des GBA beim Bundesgerichtshof trägt.
Pia Lorenz, Die Affäre Netzpolitik.org: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16512 (abgerufen am: 05.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag