Gesetzliche Beschränkung der Berichterstattung über Mordanschläge: Kein Podium für ruhmsüchtige Attentäter

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller

30.07.2012

Nach dem Anschlag auf Besucher der Premieren-Vorstellung des Batman-Films in den USA flammen die üblichen Diskussionen wieder auf. Dabei wird ein Zusammenhang leicht übersehen: Vor allem die Berichterstattung trägt dazu bei, den Wunsch der Täter nach medialer Aufmerksamkeit zu erfüllen –  und die derzeit geltenden Empfehlungen des Presserats fördern dies auch noch, meint Henning Ernst Müller.

Eine kriminologische Analyse so genannter Amokläufe und Massaker an Schulen scheitert meist an deren Seltenheit. Es ist deshalb aus methodischen Gründen fast unmöglich, Risikofaktoren zu isolieren oder Persönlichkeitsprofile darzustellen, um ähnliche Taten vorherzusagen und zu verhindern. Der Zugang zu Waffen und die Beschäftigung mit Computerspielen sind in der relevanten Altersgruppe viel zu verbreitet, um einen auch nur statistisch signifikanten Zusammenhang mit den glücklicherweise sehr seltenen Anschlägen festzustellen.

Nicht erst seit "Winnenden" besteht weltweit unter Kriminologen und Kriminalpsychologen aber beinahe übereinstimmend die Annahme, dass solche Anschläge verknüpft sind mit dem Bestreben der Täter, von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Anzeichen dafür sind vor allem die Orientierung an Vorbildern aus Filmen und vorherigen Taten, etwa bei der Auswahl der Kleidung und der Waffen sowie der Tatorte. Dies gilt auch, soweit eine schwere Persönlichkeitsstörung oder gar Psychose die Tat maßgeblich mitbestimmt.

Die Täter werden in ihrem Streben nach Prominenz bislang regelmäßig zufrieden gestellt: Nationale wie internationale Medien verbreiten meist schon kurz nach einem Anschlag Namen und Bild des Tatverdächtigen. Nicht etwa eine Goldmedaille bei den olympischen Spielen, sondern ein Anschlag mit möglichst vielen Toten scheint die effektivste Methode zu sein, weltweiten Ruhm zu erlangen, sei er auch noch so negativ besetzt. Und ruhmsüchtige Nachahmer müssen es durchaus für rational halten, ebenso auf die Titelbilder und in die Nachrichtensendungen zu gelangen.

Identifizierende Berichterstattung strafrechtlich verbieten

Vor gut drei Jahren hatte ich nach dem Schulmassaker in Winnenden unter dem Stichwort "Schulamokveröffentlichungsgesetz" eine strafrechtliche Lösung zur Diskussion gestellt: Sollten nicht Redakteure und Verlagsverantwortliche per Strafandrohung daran gehindert werden, Namen, Bilder und identifizierende Informationen über Tatverdächtige von Tötungsdelikten solcher Art zu verbreiten?

Dabei geht es kriminologisch nicht um "Amokläufe", sondern um Phänomene von willkürlichen Mehrfachtötungen, wie sie seit ca. 30 Jahren an Bildungseinrichtungen, aber auch an anderen öffentlichen Lokalitäten vor allem in den USA und Westeuropa vorkommen. Wenn unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen kein Medium identifizierend über den Täter berichten dürfte, bestünde auch kein wirtschaftlicher Anreiz, das Verbot zu verletzen. Eine nur unverbindliche Absprache dürfte dagegen ebenso wenig abschrecken wie eine bloße Rüge des Presserats.

Derzeit wird auch in den USA über ähnliche Vorschläge diskutiert: Der Gouverneur von Colorado nennt den Beschuldigten nur noch "Verdächtiger A", ein Kommentator stellt zur Debatte, bei der Berichterstattung und Abbildung immer hinzuzufügen, es handele sich um einen "Loser". Allerdings könnte das Etikett Loser über kurz oder lang positiv umgewertet werden.

Natürlich wäre es zu begrüßen, wenn all dies schon auf freiwilliger Basis funktionieren würde. Bei einem – nicht tödlichen – Anschlag auf eine Schule im bayerischen Ansbach ein halbes Jahr nach "Winnenden" verzichteten die meisten Zeitungen darauf, den Familiennamen des Täters zu nennen. Das "übersteigerte Bedürfnis nach Anerkennung", das der psychiatrische Gutachter dem Täter später als Tatmotiv attestierte, erfüllten die Boulevardmedien dennoch. Sogar Polizei und Staatsanwaltschaft verbreiteten in einer Pressekonferenz kurz nach der Tat persönliche Informationen von der Computerfestplatte des Tatverdächtigen.

Presserat: Je schlimmer die Tat, desto eher darf der Täter genannt werden

Der Presserat empfiehlt bislang nicht, die Identifizierung des Täters oder die Verbreitung seines Fotos zu unterlassen. Im Gegenteil vermittelt der geltende Pressekodex auf der Basis des Persönlichkeitsrechts die geradezu perfide Botschaft: Je gravierender und öffentlicher die Tat, desto eher dürfe die Presse den Täter identifizieren und auch auf den Titelbildern wie einen Prominenten präsentieren. So lautet jedenfalls die Schlussfolgerung des "Praxisleitfadens zur Amokberichterstattung für Redaktionen", der in diesem Punkt der Empfehlung des baden-württembergischen "Expertenkreis Amok" glatt widerspricht. Lediglich eine übertrieben sensationelle oder heroisierende Darstellung rügt der Presserat.

Damit sind Printmedien von "Bild" über "Stern" und "Spiegel" bis hin zu Tageszeitungen, aber auch Fernsehnachrichten und Internet-News-Portale weiterhin mit dafür verantwortlich, dass der Wunsch der Täter nach medialer Aufmerksamkeit erfüllt wird und potentielle Nachahmer ermutigt werden.

Selbstverständlich ist ein solches strafbewehrtes Verbot, über dessen genaue Ausgestaltung noch zu diskutieren wäre, ein Eingriff in die Pressefreiheit. Im Verhältnis zu dem Ziel, weitere Anschläge zu verhindern, ist die Strafandrohung aber angemessen.

Der Autor Henning Ernst Müller ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg. Er bloggt regelmäßig im Beck-Blog über strafrechtliche und kriminologische Themen.

Zitiervorschlag

Gesetzliche Beschränkung der Berichterstattung über Mordanschläge: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6728 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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