Der Bundestag hat beschlossen, dass gerade dem Kindesalter entwachsene 15-Jährige künftig Mokicks, Quads und vierrädrige Leichtkraftfahrzeuge mit bis 45 km/h fahren dürfen. Prof. Dr. Dieter Müller über eine gewagte politische Entscheidung.
In der Sitzung am 8. Juli 2010 beschlossen die Abgeordneten der Regierungskoalition auf Empfehlung des Verkehrsausschusses, dass die Fahrerlaubnisklasse AM von bisher 16-jährige auf 15-jährige Jugendliche ausgeweitet wird. Dies soll nach der Mehrheit des Bundestages im Zuge der geplanten Umsetzung der 3. EU-Führerscheinrichtlinie in deutsches Recht erfolgen.
Gegen die Stimmen der Opposition forderten die Abgeordneten damit eine Regelung, mit der Jugendliche in Zukunft schon ein Jahr früher den Führerschein für Mopeds, Quads und vierrädrige Leichtkraftfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 45 km/h erwerben können.
Am 13. März 2010 hatte sich bereits der mecklenburgische Verkehrsminister Volker Schlotmann anlässlich einer Tagung des Fahrlehrerverbandes Mecklenburg-Vorpommern öffentlich dafür ausgesprochen, das Mindestalter für das Führen von bis zu 45 km/h schnellen "Mokicks" von 16 auf 15 Jahre abzusenken. Er begründete seinen Wunsch damit, dass die von jungen Leuten geforderte Mobilität in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern nicht anders gewährleistet werden könne. Außerdem sei der Geschwindigkeitssprung vom Fußgänger oder Radfahrer zum Pkw mit diesem Zwischenschritt besser zu überbrücken.
Argumente der Verkehrssicherheit scheinen in dieser gewagten Diskussion bislang keine Rolle zu spielen.
Geteiltes Echo auf den Beschluss
Neben den Befürwortern aus dem Bereich Verkehrspolitik gab es zum Beschluss des Bundestages auch zahlreiche Gegenstimmen, vornehmlich aus den Reihen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), der Automobilclubs sowie des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ e. V.). Die Gegner der geplanten Gesetzesänderung beriefen sich auf eine Studie aus Österreich, wo eine im Jahr 1997 vorgenommene Altersabsenkung seit dem Jahr 2002 zu einem deutlichen Anstieg der Unfallhäufigkeit geführt hatte.
Der Präsident des BVKJ, Dr. Wolfram Hartmann, wählte zu diesem Geschehen drastische Worte, denen in Schärfe und Inhalt nichts hinzuzufügen ist: "Wenn die Bundesregierung wie geplant den Moped-Führerschein für 15-Jährige einführt, nimmt sie damit in Kauf, dass junge Menschen sterben oder schwer verletzt werden."
Die erst im Juli im österreichischen Bundesland Steiermark veröffentlichte Studie wies eine deutliche Zunahme der Unfallbeteiligung 15jähriger Mopedfahrer nach, deren Ursachen vornehmlich in den typischen Jugendlichkeitsrisiken Selbstüberschätzung und mangelnder Fahrpraxis zu finden sind. So sind die Mopedunfälle in der Steiermark bei der Gruppe der 15-jährigen Verunglückten von 35 jugendlichen Unfallopfern im Jahr 2002 auf 306 Verunglückte im Jahr 2009 deutlich angestiegen. In 35 Prozent aller Unfälle sind als Folgen schwere Verletzungen zu beklagen, etwa Frakturen, Gehirnverletzungen und verlorene Gliedmaßen. Die Ursachen liegen vor allem in der Selbstüberschätzung der eigenen Fahrfertigkeiten sowie einem aggressiven Fahrstil bei den männlichen Mopedfahrern.
Deutsche Politiker: Beratungsresistent
Vollkommen unklar ist, warum sich die Politiker des Bundestages entgegen den Stimmen zahlreicher Verkehrsexperten auf ein solches gesetzgeberisches Wagnis einlassen wollen. Selbst die im Ausschuss von der Opposition vorgetragenen Sicherheitsbedenken wurden in der politischen Diskussion aus nicht nachvollziehbaren Gründen entweder ignoriert oder verworfen. Dabei wird der Auftrag des Bundesgesetzgebers aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes, nämlich das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Bürger auch mit den Mitteln des Gesetzgebers zu schützen (staatliche Schutzpflicht) vollends in den Wind geschlagen.
Zudem besteht keinerlei Zeitnot. Die Umsetzung der am 19. Januar 2007 in Kraft getretenen 3. EU-Richtlinie hat Zeit bis zum Januar 2013. Die Abgeordneten hätten noch in Ruhe und unter Berücksichtigung der genannten Sicherheitserwägungen beraten können.
Doch noch ist nicht alles verloren. Der Bundestag kann aufgrund der neuen Erkenntnisse aus der vorliegenden Studie unseres Nachbarlandes Österreich erneut in den Beratungsprozess einsteigen und seinen vorschnell gefassten Beschluss korrigieren. Auch der Bundesrat hat noch ein gewichtiges Wort mitzureden und kann korrigierend eingreifen. Besonders die Eltern der potenziellen neuen Verkehrsopfer werden es dem Gesetzgeber danken.
Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachbereichsleiter für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.
Dieter Müller, Mopedführerschein für Jugendliche: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1665 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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