Die Forderung von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nach kurzem Prozess für mutmaßliche Gewalttäter, stößt immer mehr auf Kritik. Juristische Verbände und Fachpolitiker halten den Vorstoß für Aktionismus.
Nach wiederholten Massenschlägereien in Berliner Schwimmbädern hatte der neue CDU-Genralssekretär Carsten Linnemann am Sonntag Blitzurteile für die Täter gefordert. Eine konsequente Bestrafung von Gewalttätern müsse noch am Tattag erfolgen. Gesetzlicher Änderungen bedarf es seiner Meinung hierfür offenbar nicht: Er erwarte "ganz einfach" die "Durchsetzung unserer Gesetze", sagte der Politiker auf eine entsprechende Frage der Bild am Sonntag. "Der starke Rechtsstaat funktioniert nur mit Abschreckung, wenn die Täter damit rechnen müssen, dass sie noch am gleichen Tag verurteilt werden und die Konsequenzen tragen." Das Justizsystem solle entsprechend organisiert werden, so Linnemann, der selbst kein Jurist ist.
Bisher kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 417 Strafprozessordnung (StPO) dann einen Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren stellen, wenn die Sache zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Voraussetzung ist, dass der Sachverhalt einfach ist oder die Beweislage klar. Eine solche klare Beweislage wird angenommen, wenn der Beschuldigte entweder geständig ist oder andere Beweismittel zur Verfügung stehen, mit denen der Beschuldigte sicher überführt werden kann. Der Beschuldigt darf in dieser Verfahrensart dann zu maximal einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt werden. In der Vergangenheit wurden Schnellverfahren eher selten geführt. In Berlin gibt es in den letzten Monaten aber eine Tendenz, das beschleunigte Verfahren bei Klimaaktivisten anzuwenden.
Schnelles Verfahren, weniger Rechtsstaat ?
Im unter Strafrechtlern grundsätzlich umstrittenen beschleunigten Verfahren gibt es diverse Vereinfachungen im Vergleich zum üblichen Strafprozess. Unter anderem ist kein Eröffnungsbeschluss des Gerichts erforderlich. In einem solchen Beschluss prüft das Gericht normalerweise, ob der Beschuldige hinreichend verdächtig ist, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Auch eine Anklageschrift ist im beschleunigten Prozess nicht zwingend. Der größte Unterschied besteht aber bei der Beweisaufnahme: Zeugen müssen nicht vernommen werden, das Gericht kann stattdessen schriftliche Äußerungen oder Protokolle verlesen. Eines der Grundprinzipien der Strafprozessordnung – das Mündlichkeitsprinzip – wird eingeschränkt.
Kritiker sehen in diesen Vereinfachungen eine rechtsstaatlich bedenkliche Beschneidung der gebotenen Wahrheitsfindung. Zudem würden Rechte des Beschuldigten eingeschränkt. Auch vor dem Hintergrund, dass bei Bagatelldelikten seit Einführung der Annahmeberufung nur noch eine eingeschränkte Rechtsmittelkontrolle besteht, sei der "kurze Prozess" problematisch.
"Unschluldsvermutung nicht über Bord werfen"
Auf diese Defizite des Schnellverfahrens weist z.B. Rechtsanwalt Kai Kempgens, Mitglied des Ausschusses Strafrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) hin: "Eine pauschalisierende und von Aktionismus getriebene Rechtsprechung kann unseren rechtstaatlichen Ansprüchen nicht gerecht werden." Das Verfahren sei mit einer "deutlichen Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten" verbunden, mahnt er.
Ähnliche Bedenken formulierte am Dienstag auch der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP): Man dürfe die Unschuldsvermutung nicht über Bord werfen. Es gebe keine Notwendigkeit die gesetzlichen Bestimmungen für das beschleunigte Verfahren zu ändern. Er bezweifelt außerdem, dass die Durchführung von beschleunigten Verfahren gegen die Gewalt in den Freibädern etwas ausrichten würde. "Der Vorschlag Linnemanns vernachlässigt, dass das beschleunigte Verfahren nur unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen zur Anwendung kommen kann - nämlich bei einem einfachen Sachverhalt beziehungsweise einer klaren Beweislage", sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. Bei jugendlichen Straftätern sei die Anwendung des beschleunigten Verfahrens insgesamt unzulässig.
Die Berliner parteilose Justizsenatorin Felor Badenberg, die auf Vorschlag der CDU in ihr Amt gekommen war, betonte, dass die Staatsanwaltschaft in Berlin im Einzelfall prüfe, ob die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren vorlägen. "Am Ende entscheiden aber allein die Gerichte über die Durchführung beschleunigter Verfahren", so Badenberg.
DRB: "Beschleunigte Verfahren verstärken Personalproblem in der Justiz"
Kritik an Linnemanns Vorschlag übte auch der Deutsche Richterbund (DRB). Er verwies auf den anhaltenden Personalmangel in der Justiz: "Es ist wenig überzeugend, wenn Politiker am Sonntag mit entschlossener Pose nach dem starken Rechtsstaat rufen, Montag bis Samstag aber zu wenig dafür tun. So haben Bund und Länder bis heute keine Einigung auf einen zweiten Rechtsstaatspakt hinbekommen, durch den die Strafjustiz für ihre stetig wachsenden Aufgaben personell gestärkt werden sollte“, sagte der DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. "Bundesweit fehlen nach den Länderzahlen zum Personalbedarf der Justiz allein in der Strafjustiz rund 1.500 Staatsanwälte und Strafrichter." Rebehn zufolge würden beschleunigte Verfahren das Personalproblem eher verstärken, weil diese Verfahrensform sehr personalaufwändig sei. Die Gerichte müssten flexibel und kurzfristig reagieren.
In der Praxis ergeben sich für die von der Staatsanwaltschaft beantragten Schnellverfahren immer wieder Hürden. Wirklich "beschleunigt" geht es dabei nicht immer zu: So entschied kürzlich das Amtsgericht (AG) Tiergarten in Berlin Richterin nach dreistündiger Verhandlung in einem Verfahren gegen eine Klimaktivistin der "Letzten Generation", dass Zeugen befragt werden müssen. Der Prozess wird nun zu einem späteren Zeitpunkt im "normalen" Verfahren neu beginnen.
In einem weiteren Vefahren gegen einen Klimaaktivisten, der bereits Mitte April die FDP-Parteizentrale mit Farbe beschmiert haben soll, vergaß das Amtsgericht Tiergarten den Verteidiger förmlich zu laden. Das Gericht musste den für diesen Dienstag anberaumten Termin aufheben.
Debatte um beschleunigte Strafverfahren: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52274 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag