In Hamburg, Berlin und Brandenburg haben die großen Ferien bereits begonnen. Während sich tausende Schüler freuen, blicken viele ihrer Lehrer der Zeit mit Sorge entgegen: sie werden arbeitslos. Die Länder stellen nämlich viele ihrer Lehrer Jahr für Jahr nur befristet ein. Diese Kettenbefristungen könnte das BAG bald aufheben, meint Sandra Urban-Crell.
Viele nicht verbeamtete Lehrer hangeln sich seit Jahren von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Mit Beginn der Sommerferien endet ihr Arbeitsverhältnis. Erst zum neuen Schuljahr erhalten sie in aller Regel einen neuen Vertrag. Natürlich wiederum nur befristet.
Den meisten von ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich für die Dauer der Sommerferien arbeitslos zu melden und Arbeitslosengeld zu beziehen. Referendare und Berufsanfänger habe diese Möglichkeit zumeist nicht, da ihnen noch die erforderlichen Beitragsjahre in der Arbeitslosenversicherung fehlen. Wollen sie in den Sommermonaten nicht gänzlich ohne Geld und Krankenversicherung dastehen, müssen sie einen noch schwereren Gang gehen: Sie müssen Hartz IV beantragen.
Diese unsichere berufliche und finanzielle Zukunft ist für die betroffenen Lehrer eine große Belastung. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält die Befristungspraxis der Bundesländer deshalb für einen Skandal. Auch die Bundesagentur für Arbeit geht auf die Barrikaden, entlastet sie dadurch doch seit Jahren mit den Mitteln der Beitragzahler die klammen Staatskassen der Länder.
Nach Angaben der Behörde meldeten sich in den Sommerferien des Jahres 2012 bundesweit 5.400 angestellte Lehrer zusätzlich arbeitslos. Die Dunkelziffer ist nach Einschätzung der GEW noch deutlich höher. Dieser "sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit" bei nicht verbeamteten Lehrern fällt bereits seit Jahren auf, so die Analyse der Arbeitsagentur. Spitzenreiter 2012 war Baden-Württemberg mit einem Anstieg der um unglaubliche 1.400 Prozent, gefolgt von den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Bayern und Hessen.
Befristungsketten arbeitsrechtlich auf wackeligen Füßen
Die Kritik an diesem umstrittenen Kostensparmodell der Länder wird von Jahr zu Jahr lauter. Reagiert haben die meisten Bundesländer bisher nicht. Dies mag sich nach einem aktuellen Urteil des Arbeitsgerichts Gießen womöglich ändern. Im Anschluss an die jüngste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Kettenbefristungen gaben die Gießener Richter der Entfristungsklage einer 40 Jahre alten Grundschullehrerein statt. Die Frau war seit mehr als zehn Jahren auf Grundlage von insgesamt 14 befristeten Arbeitsverträgen beim Land Hessen beschäftigt. Man hatte sie an mehreren Schulen als Vertretungskraft für insgesamt 13 Kollegen eingesetzt. Die Arbeitsrichter ließen dies als Rechtfertigung für die Befristung nicht gelten. Wegen der Gesamtdauer der Beschäftigung und der Anzahl der Befristungen hielten sie die Personalpolitik des Landes für rechtsmissbräuchlich und die Befristung des Arbeitsvertrags für unwirksam. Der dauerhafte Vertretungsbedarf könne und müsse durch fest angestellte Lehrer gedeckt werden (Urt. v. 08.03.2013, Az. 10 Ca 538/12).
Ob sich die Klägerin darüber lange freuen wird, hängt sicher davon ab, ob die nachfolgenden Instanzen das Urteil bestätigen werden. Dafür sprechen aber gute Gründe. Denn das Arbeitsgericht Gießen bewegt sich mit seiner Entscheidung ganz auf der aktuellen Linie des BAG zu Kettenbefristungen. In zwei Grundsatzurteilen aus Juli 2012 entschieden die Erfurter Richter, dass diese zwar grundsätzlich zulässig seien; es gebe aber Grenzen. Das Aneinanderreihen mehrerer befristeter Arbeitsverträge dürfe nicht rechtsmissbräuchlich sein. Anhaltspunkte dafür sieht das BAG in einer überlangen Gesamtdauer der befristeten Beschäftigung und einer Vielzahl aneinandergereihter Befristungen. Die Grenzen zieht es – wie so oft – abhängig vom Einzelfall.
Im Falle einer Justizangestellten am Amtsgericht Köln, die insgesamt elf Jahre in einer Kette von 13 befristeten Arbeitsverträgen beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigt war, hielten die höchsten deutschen Arbeitsrichter die Grenze des Rechtsmissbrauchs für überschritten (Urt. v. 18.07.2012, Az. 7 AZR 443/09). Entwarnung gaben sie demgegenüber in dem anderen Fall: Vier befristete Verträge in knapp acht Jahren seien nicht unangemessen (Urt. v. 18.07.2012, Az. 7 AZR 783/10).
Hessen will Praxis ändern, Baden-Württemberg nicht
Kettenbefristungen sind gerade im öffentlichen Dienst ein Phänomen. Die praktischen Konsequenzen der geänderten Rechtsprechung des BAG sind deshalb dort besonders gefürchtet. Je häufiger und länger ein Mitarbeiter aufgrund mehrerer befristeter Verträge angestellt ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass er unbefristet übernommen werden muss.
Hessen hat – Presseberichten zufolge – deshalb bereits angekündigt, seine bisherige Befristungspraxis zu ändern. Angestellte, die zehn Jahre oder länger befristet beschäftigt sind oder auf mindestens 13 befristete Arbeitsverträge verweisen können, sollen einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten.
Baden-Württemberg beabsichtigt demgegenüber, an seiner kritisierten Praxis festzuhalten. Die angespannte Haushaltslage lasse eine Umwandlung der Verträge in unbefristete Arbeitsverträge nicht zu. Dies kann ein teurer Bumerang werden. Denn ermutigt durch die jüngsten arbeitsgerichtlichen Urteile, werden in Zukunft sicherlich deutlich mehr Angestellte des öffentlichen Dienstes den Weg zu den Arbeitsgerichten wagen.
Die Autorin Dr. Sandra Urban-Crell ist Partnerin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP am Standort Düsseldorf. Sie ist Lehrbeauftragte für Arbeitsrecht an der FH Köln und Verfasserin mehrerer arbeitsrechtlicher Fachbücher und -beiträge.
Sandra Urban-Crell, Kettenbefristung von Lehrern: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8993 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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