Am 1. August 2013 tritt das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz in Kraft. Für Rechtsanwälte bringt es vor allem die seit langem geforderte Anpassung der Gebührentabelle. Der Weg zu dieser Gebührenerhöhung war wieder mühsam und steinig. Es ist daher an der Zeit, über die Mechanismen der Anpassung der Kostengesetze grundsätzlicher nachzudenken, meint Matthias Kilian.
Das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ist ein Mammutwerk: Es ändert rund 40 Gesetze und schafft mit dem Gerichts- und Notarkostengesetz ein gänzlich neues Gesetz.
Das besondere Augenmerk der Anwaltschaft gilt allerdings weniger den umfangreichen Neuregelungen zu den Kosten der Gerichte, Notare und Sachverständigen. Die mehr als 160.000 Rechtsanwälte interessiert vor allem Art. 8 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes – denn dieser ändert das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
Nachbesserungen für Sozialrechtler und Strafverteidiger
Da umfassende konzeptionelle Änderungen der Tarifierung der anwaltlichen Vergütung bereits Gegenstand der Kostenrechtsreform 2004 waren, sind die durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vorgenommenen strukturellen Änderungen des RVG eher gering. Sie haben den Charakter von Nachbesserungen.
So wird die unbefriedigende Einkommenssituation der im Sozial- und Asylverfahrensrecht tätigen Rechtsanwälte verbessert. Eingeführt wird außerdem ein Gebührentatbestand für die Tätigkeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Weitere Neuerungen betreffen die Erstreckung der Terminsgebühr im gerichtlichen Verfahren auf Anhörungstermine, die Schaffung einer Zusatzgebühr bei besonders umfangreichen Beweisaufnahmen oder – für Strafverfahren – die Erweiterung des Anwendungsbereichs der besonderen Gebühr für die anwaltliche Mitwirkung, durch die eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Viele dieser Detailänderungen betreffen nur Teilgruppen der Anwaltschaft – etwa forensisch tätige Rechtsanwälte, sozialrechtlich spezialisierte Berufsträger oder Strafverteidiger.
Gebührenerhöhung betrifft fast alle Anwälte
Das Herzstück der Reform – die vom Gesetzgeber als "Gebührenanpassung" umschriebene Erhöhung der Anwaltsgebühren – betrifft hingegen fast alle Rechtsanwälte. Eine Untersuchung des Soldan Instituts hat bereits vor einigen Jahren gezeigt, dass in Anwaltskanzleien im Mittel fast 70 Prozent der Mandate auf der Basis der "gesetzlichen Gebühren" abgerechnet werden – in großen Sozietäten zum Teil erheblich weniger, in kleinen Kanzleien meist deutlich mehr.
Im Durchschnitt steigen die Anwaltsgebühren nun: nach den Berechnungen des Gesetzgebers im Bereich der Wertgebühren um die 19 Prozent, bei den Betrags(rahmen)gebühren um die zehn Prozent.
Die unterschiedliche Höhe der Anpassung erklärt der Gesetzesgeber damit, dass sich die Wertgebühren durch eine kontinuierliche Steigerung der Gegenstandswerte im Laufe der letzten zehn Jahre bereits um neun Prozent erhöht hätten. Nach den vom Statistischen Bundesamt erhobenen Erzeugerpreisindices für Rechtsdienstleistungen dürfte diese Annahme, die auf einer Auswertung der Zählkarten beruht, allerdings um mindestens drei Prozentpunkte zu hoch liegen.
2/2: Gewinne der Kanzleien sind zurückgegangen
Die Erfahrung zeigt, dass nicht nur die Boulevardpresse den plakativen Wert einer Gebührenerhöhung um 19 Prozent zum Anlass nehmen wird, das Bild des gut verdienenden Rechtsanwalts zu zeichnen, dem dank geschickten Lobbyings vom Gesetzgeber wirtschaftliche Geschenke gemacht werden. Meinungsäußerungen in Leserbriefen und Internetforen zeigen, dass auch die Bevölkerung überwiegend wenig Verständnis zeigt.
Betrachtet man freilich auf der Basis des "Statistischen Berichtssystems für Rechtsanwälte" die Entwicklung der persönlichen Überschüsse der Rechtsanwälte seit dem Jahr 1997, zeigt sich, dass der Gewinn von Einzelanwälten im Zeitraum 1997 bis 2008 um 15 Prozent zurückgegangen ist, jener von Anwälten aus lokalen Sozietäten um vier Prozent und jener von Anwälten aus überörtlichen Sozietäten um 14 Prozent.
Im selben Zeitraum ist der durchschnittliche Bruttoarbeitslohn aller deutschen Arbeitnehmer um fast 14 Prozent gestiegen, bei Beamten des höheren Dienstes mit einer vergleichbaren Qualifikation wie Rechtsanwälte sind es mehr als zwölf Prozent. Die aktuelle Gebührenerhöhung holt also lediglich – und auch nur teilweise nach, was in der Vergangenheit versäumt wurde.
Anwaltsorganisationen werden bald für nächste Erhöhung werben
Der Steigerungswert 19 Prozent veranschaulicht ein ungelöstes Kernproblem des anwaltlichen Gebührenrechts, das so alt ist wie die Gebührenordnung selbst: Viele Jahr geschieht in Sachen Tarifanpassung nichts, bevor es schließlich zu einer auf dem Papier üppig anmutenden Erhöhung kommt.
Dass die Erhöhung der Anwaltsgebühren vom Gesetzgeber traditionell ausgesessen wird, liegt in der Natur der Sache: Der Fiskus ist über die verschiedenen Formen der staatlichen Kostenhilfe selbst von Gebührenerhöhungen betroffen. Hinzu kommt, dass die Rechtsschutzversicherer stets auf den Verzicht einer Anpassung drängen.
Zur Folklore des Gebührenrechts gehört daher allseitiges Lamento über die Unzulänglichkeit oder die Maßlosigkeit einer Gebührenerhöhung. Folge dieses unerquicklichen Dramoletts ist, dass zwischen den Erhöhungen regelmäßig viele Jahre ins Land gehen und stets das Motto gilt "nach dem Spiel ist vor dem Spiel": Die Anwaltsorganisationen werden bereits recht bald beginnen müssen, für die nächste Gebührenerhöhung zu werben, wenn sie realistische Chance haben wollen, dass eine solche in acht oder zehn Jahren Realität wird.
In anderen Ländern: Automatische Anpassung der Gebühren
Nur verhalten wird bislang darüber diskutiert, ob dieses Procedere zukunftsweisend ist. Die Alternative wäre die Etablierung eines Mechanismus, der eine automatische, kontinuierliche Anpassung der Gebühren und Kosten an die allgemeine Preisentwicklung sicherstellt.
Eine solcher Schritt wäre zwar für das deutsche Kostenrecht ein Paradigmenwechsel, aber aus internationaler Perspektive weder sonderlich originell noch revolutionär: Fast alle Rechtsordnungen kennen Anwalts-, Gerichts-, Notar- oder Kostenerstattungstarife und sehen sich deshalb vergleichbaren Herausforderungen ausgesetzt.
Im Ausland wird aus gutem Grund häufig auf unregelmäßige, mühsame Anpassungen im Einzelfall verzichtet, an die wir uns in Deutschland gewöhnt haben. In anderen Rechtsordnungen knüpft die Höhe der Gerichtskosten und Anwaltsgebühren zum Beispiel an einen Preisindex an, an den die Kostengesetze zu einem gesetzlichen bestimmten Zeitpunkt automatisch angepasst werden. In Bundesstaaten der USA oder Australiens ist dies etwa ein Konsumerpreisindex, in der Slowakei ein Einkommensindex für bestimmte Berufsgruppen.
Das führt zu einer regelmäßigen, dafür aber moderaten und der allgemeinen Preisentwicklung entsprechenden Anpassung der Rechtsverfolgungskosten einerseits und der Vergütung der Rechtsanwälte andererseits. Die deutschen Rechtsanwälte würden, so hat eine Befragung des Soldan Instituts ergeben, eine solche Form der Gebührenanpassung mit großer Mehrheit begrüßen. Beispielhaft für die Stimmungslage schrieb einer der Teilnehmer der Befragung auf den Fragebogen: "Hierauf warte ich seit Jahrzehnten!"
Der Autor Dr. Matthias Kilian ist Direktor des Soldan Instituts in Köln und wurde im Gesetzgebungsverfahren zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Bundestages angehört.
Dr. Matthias Kilian, Kostenrechtsmodernisierung: "Hierauf warte ich seit Jahrzehnten!" . In: Legal Tribune Online, 01.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9267/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag