Das FG Hamburg hat angeordnet, dass einem Energieversorger die Kernbrennstoffsteuer zurückgezahlt wird, weil diese Steuer nicht dem "Typus" Verbrauchsteuer entspreche. Joachim Wieland zeigt, dass der verfassungsrechtliche Verbrauchsteuerbegriff nicht typologisch zu verstehen ist und die Steuer deshalb gezahlt werden muss.
Der Verbrauch von Energie ist physikalisch unmöglich, weil nach dem Energieerhaltungssatz die Energie in einem abgeschlossenen System konstant bleibt. Dennoch wird der Energieverbrauch besteuert, wie das Beispiel der Mineralölsteuer zeigt. Nun hat das Finanzgericht Hamburg (FG) in einem Eilverfahren dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer abgesprochen, weil es sich nicht um eine Verbrauchsteuer handele. Zu dem gleichen Ergebnis scheint auch das FG München zu kommen, dessen Entscheidung jedoch noch nicht veröffentlicht ist (Beschl. v. 05.10.2011, Az. 14 V 2155/11).
Der Bundesgesetzgeber konnte sich bei der Qualifizierung der Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Ökosteuer vom 20. April 2004 stützen (Az. 1 BvR 1748/99, 1 BvR 905/00). Danach schöpft eine Verbrauchsteuer als indirekte Steuer die steuerliche Leistungsfähigkeit des Konsumenten ab, die in seiner Einkommensverwendung zum Ausdruck komme. Sie belastet formell einen Unternehmer, der die steuerliche Belastung an den Endverbraucher weitergibt, soweit die Marktverhältnisse das erlauben. Das BVerfG hat ausdrücklich festgestellt, dass eine Verbrauchsteuer auch an ein Produktionsmittel anknüpfen darf. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) fasst den Begriff der Verbrauchsteuer sehr weit und lässt eine Anknüpfung an Produktionsmittel zu, sofern der Produzent nicht rechtlich gehindert ist, die Steuerbelastung auf den Endverbrauch abzuwälzen (Urt. v. 26.06.1984, Az. VII R 60/83).
Finanzgerichte halten sich nicht an Definition des BVerfG
Das FG Hamburg räumt ein, dass danach die Kernbrennstoffsteuer eine Verbrauchsteuer ist: Sie hat Kernbrennelemente als materielles Gut zum Gegenstand und knüpft an deren Gewicht sowie Ingebrauchnahme an. Auch ist den Kraftwerksbetreibern die Überwälzung der Steuerlast nicht verboten. Das Gericht orientiert sich aber nicht an der Definition der Verbrauchsteuer von BVerfG und BFH, sondern knüpft an den historisch gewachsenen "Typus der Verbrauchsteuer" an, der die Kernbrennstoffsteuer nicht umfasse. Zwar kenne das "deutsche Steuerrecht seit jeher Konsumtionsteuern auf Rohstoffe". Solche Verbrauchsteuern seien jedoch bereits bei Inkrafttreten des Grundgesetzes "untypisch" gewesen. Außerdem würden die Kernbrennstoffe Plutonium und Uran als "verbrauchsfähige" Güter durch ihren Einsatz ebenso wenig in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr eingebracht wie die Brennelemente oder Brennstäbe, sondern unterlägen strengen Restriktionen.
Auch insoweit wird allerdings eingeräumt, dass das deutsche Verbrauchsteuerrecht als Entstehungstatbestand nicht nur den Übergang einer Ware aus dem gebundenen in den freien Verkehr kennt. Schließlich hält das FG es für zweifelhaft, ob die Kernbrennstoffsteuer auf den Endverbraucher abgewälzt werden könne. Selbst der Gesetzgeber nehme an, dass "eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten nur in geringem Umfang möglich sein wird".
Auch den Gesetzgeber bindet ein behaupteter "Typus" nicht
Mit dieser Argumentation entzieht das FG sich der Bindungswirkung der Entscheidung des BVerfG gemäß § 31 I BVerfGG. Es stellt ausdrücklich fest, dass die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Verbrauchsteuerbegriff entspricht: Die Steuer belastet den Verbrauch von Kernbrennstoffen und lässt eine Überwälzung der Steuerlast auf den Endverbraucher zu. Mehr fordert die Verfassung nicht. Dass die Kernbrennstoffsteuer nicht dem Typus der Verbrauchsteuer entspricht, wie er sich über Jahrzehnte hinweg bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes herausgebildet hatte, liegt in ihrem kerntechnischen Gegenstand begründet. Verfassungsbegriffe sind aber Rahmenbegriffe, die für tatsächliche Entwicklungen offen sind. Anders als im physikalischen Sinne stellt die Nutzung von Brennelementen zur Energieerzeugung im verfassungsrechtlichen Sinne einen besteuerungsfähigen Verbrauch dar. Die Besteuerung von Produktionsmitteln ist zulässig.
Dass der Gesetzgeber die wirtschaftlichen Chancen auf Überwälzung der Steuerlast als eher schlecht einschätzt, ist unschädlich. Zum Verbrauchsteuerbegriff gehört nur, dass die Überwälzung der Steuerlast auf den Endverbraucher nicht rechtlich ausgeschlossen ist. Ob sie gelingt, entscheiden die Marktverhältnisse.
Wenn der BFH als Beschwerdegericht an seiner Rechtsprechung zum Verbrauchsteuerbegriff festhält und die Bindungswirkung der Rechtsprechung der obersten Verfassungsrichter beachtet, wird die Kernbrennstoffsteuer gezahlt werden müssen. Den Bundesgesetzgeber bindet nur der verfassungsrechtliche Verbrauchsteuerbegriff, nicht ein in der Literatur behaupteter "Typus" der Verbrauchsteuer, der modernen Techniken wie der Nutzung der Kernenergie zur Erzeugung von Energie nicht gerecht zu werden vermag.
Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Rektor und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.
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Joachim Wieland, Konzernfreundliches Urteil zur Atomabgabe: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4718 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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