Die EU hat die Abschöpfung illegaler Profite zur strategischen Priorität im Kampf gegen organisierte Kriminalität erklärt. Dafür sollen die Mitgliedstaaten künftig leichter auf aus Straftaten erzielte Gewinne zugreifen können. Wie die Kommission dies erreichen will und warum der Brüsseler Rahmenbeschluss einer kleinen Revolution gleichkommt, erklärt Dominik Waszczynski.
"In der organisierten Kriminalität zählen nicht die Leichen, sondern der Kontostand". Dieses Zitat des italienischen Staatsanwalts und Mafiajägers Giovanni Falcone gilt heute längst nicht mehr nur für sizilianische Gefilde, in denen die Cosa Nostra ganze wirtschaftliche Schicksäler durch ihr illegal erlangtes Vermögen bestimmt: Auf dem gesamten Gebiet der EU überbieten sich Drogenkartelle, Menschenhändlerringe und andere kriminelle Organisationen jährlich bei den von ihnen aus Straftaten hervorgebrachten Gewinnen. Weit vorne befindet sich dabei in der Tat Italien, wo sich die kriminellen Profite nach Schätzungen der UN auf 150 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Zum Vergleich: In Großbritannien waren es 2006 schätzungsweise 15 Milliarden Pfund, in Deutschland 2009 903 Millionen Euro.
Die aus Straftaten herrührenden Vermögenswerte werden regelmäßig durch ausgeklügelte Geldwäschesysteme in den legalen Wirtschaftskreislauf eingespeist. Dies zieht eine ganz erhebliche Unterwanderung und Schädigung der legalen Wirtschaft nach sich - nicht nur innerhalb einzelner Mitgliedsstaaten, sondern auf dem gesamten EU-Binnenmarkt.
Während Drogengeld und Kartellantenlohn die Kassen der europäischen Verbrechensorganisationen klingeln lassen, stehen die Strafverfolgungsbehörden der einzelnen Nationen zumeist handlungsunfähig daneben. Ihnen fehlt schlichtweg die gesetzliche Handhabe, um die illegal Gewinne abschöpfen und dafür verwendete Tatmittel einziehen zu können.
Zugriff bereits vor formaler Verurteilung möglich
Diesen Zustand will die EU-Kommission mit ihrem Rahmenbeschluss vom 12. März 2012 beenden, in dem sie einen gemeinsamen europaweiten Standard im Abschöpfungsrecht vorstellt. Das Strategiepapier sieht Mechanismen zur Lösung der Schwierigkeiten beim Zugriff auf kriminell erworbenes Vermögen vor.
Der Grundgedanke ist, mafiöse Strukturen an der Stelle zu treffen, die sie am meisten schmerzt: ihrem Geld. Dabei ist Anknüpfungspunkt jeglicher Abschöpfungsmaßnahme notwendigerweise das Vorliegen einer Straftat: Es versteht sich von selbst, dass der für Drogen bezahlte Kaufpreis dem Dealer entzogen werden, juristisch formuliert: für ihn verfallen muss. Dies ist solange unproblematisch, wie die in Rede stehende kriminelle Herkunft nachgewiesen ist. Schwierig und in den meisten Mitgliedstaaten nicht bedacht wird es aber, wenn neben einem Profit, der einer konkreten Straftat zugeordnet werden kann, weitere Vermögenswerte zu Tage treten. Können diese nicht eindeutig zugeordnet werden, fehlt in den meisten Mitgliedsstaaten eine rechtliche Handhabe. Der Grund dafür liegt darin, dass die Einziehung von Vermögensgegenständen bislang eine gerichtliche Verurteilung voraussetzt und ohne eine solche nicht verhängt werden kann.
Der Rahmenbeschluss sieht dafür folgende Lösung vor: Die Einziehung von Vermögenswerten ist nicht erst möglich, wenn es zu einer formalen Verurteilung gekommen ist. Soweit zumindest die sicher begründete Annahme besteht, dass die Vermögenswerte überhaupt aus einer Straftat stammen, können sie ebenfalls eingezogen werden. Maßstab für eine begründete Annahme ist dabei das Ausschlussprinzip: Werden etwa bei einem verurteilten Dealer weitere Gelder gefunden, die nicht aus der Tat stammen, derer wegen er konkret verurteilt wurde, können sie dennoch eingezogen werden, wenn sicher nachweisbar ist, das er keinerlei legale Einnahmequellen hat; die Gelder also ausschließlich illegaler Herkunft sein müssen. Dieser so genannte erweiterte Verfall stellt einen ganz erheblichen Schritt dar, um die kriminellen Organisationen schmerzhaft zu treffen, da auf diese Weise verschleiernde Maßnahmen weitgehend wirkungslos verpuffen.
So weitreichend dies auch erscheinen mag, lässt die EU-Kommission doch nicht den Schutz der Grundrechte möglicher Betroffener, insbesondere deren Eigentumsrecht, aus den Augen. So sind Bedenken wegen einer möglichen "Verdachtsstrafe" unbegründet, denn nach den Vorstellungen der EU-Kommission kann der erweiterte Verfall nur angeordnet werden, wenn das Gericht von der kriminellen Herkunft auch wirklich überzeugt ist. Auf diese Weise wird das Risiko minimiert, versehentlich auf legal erworbenes Vermögen zuzugreifen. Dies gilt übrigens auch für die in Deutschland bereits existente Regelung des erweiterten Verfalls gem. § 73 d Strafgesetzbuch (StGB), wie das Bundesverfassungsgericht schon 2004 festgestellt hat (Urt. v. 14.01.2004, Az. 2 BvR 564/95).
Vermögen nicht nur einfrieren, sondern werterhaltend sichern
Begrüßenswert ist auch der Plan der Kommission, künftig zu verhindern, dass illegal erlangte Vermögenswerte auf einen Dritten übertragen und so dem staatlichen Zugriff entzogen werden. So soll eine Einziehung auch möglich sein, wenn etwa ein Dealer das Drogengeld an eine unbeteiligte dritte Person weitergibt. Es dürfen dann allerdings keine schützenswerten Interessen dieses Dritten entgegenstehen. Deshalb kommt es darauf an, inwieweit dieser auf den Erhalt des Geldes vertrauen durfte, insbesondere ob er um die illegale Herkunft wusste. Durch die Möglichkeit dieser "Drittverfalls" würden auch die größten Verschiebungsbemühungen vergebens.
Weiter soll die Einziehung künftig auch bei Tod oder Flucht des Beschuldigten möglich sein - normalerweise können kriminelle Gelder nur dann abgeschöpft werden, wenn der Betreffende verurteilt worden ist. Schließlich sieht der Rahmenbeschluss vor, dass Gegenstände einstweilen durch die Staatsanwaltschaft sichergestellt werden können, um der akuten Gefahr eines Verschwindens zu begegnen.
Bei all diesen Maßnahmen sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die konfiszierten Gegenstände nicht nur einzufrieren, sondern werterhaltend zu verwalten. Dies ist besonders deshalb zu begrüßen, weil bei einer späteren legalisierenden Freigabe in den Wirtschaftskreislauf die gewachsenen Werte dort realisiert werden, wo es von Rechts wegen vorgesehen ist, und somit illegalem Vermögen Raum genommen wird.
Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedsstaaten kann Deutschland der Umsetzung des Beschlusses recht gelassen entgegensehen - denn was auf Europaebene einer kleinen Revolution gleich kommt, ist hier schon Standard, wie ein Blick in §§ 73 ff. StGB eindrucksvoll zeigt.
Der Autor Dipl. iur. Dominik Waszczynski, LL.M. ist Lehrbeauftragter für Strafrecht, insbesondere Vermögensstrafrecht, des juristischen Fachbereichs der Universität Osnabrück. Er war drei Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsstrafrecht der Universität Osnabrück und ist derzeit als Referendar bei der Anwaltskanzlei Hannover und Partner in Bremen tätig.
Kommissionspläne gegen organisierte Kriminalität : . In: Legal Tribune Online, 26.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5863 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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