In Kürze wird das Bundeskabinett die Rücknahme der von der GroKo zu verantwortenden Strafverschärfung für Kinderpornographie beschließen. Der Schritt ist überfällig und ganz und gar nicht "täterfreundlich".
Evidenzbasierte Kriminalpolitik setzt mehr voraus als nur guten Willen. Glücklicherweise scheint diese Erkenntnis nun auch bei Kriminalpolitikern fast aller Couleur angekommen zu sein.
Selbst die eines Kuschelstrafrechts unverdächtigen Unionsparteien zeigten sich betont konziliant, als Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kürzlich ankündigte, die Mindeststrafen für den Tatbestand "Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte" wieder auf unter ein Jahr Freiheitsstrafe absenken zu wollen. Dabei war § 184b Abs.1 und 3 Strafgesetzbuch (StGB) erst im Jahr 2021 als Verbrechen ausgestaltet worden.
Wer kinderpornographische Inhalte verbreitet oder herstellt etc. (Abs. 1), soll nach einem aktuellen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zukünftig nur noch mit mindestens sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Auch die Mindeststrafen für den Besitz etc. nach § 184b Abs. 3 möchte man von bisher einem Jahr auf drei Monate absenken. Demgegenüber sollen die Höchststrafen (zehn bzw. fünf Jahre) unangetastet bleiben.
Georg Eisenreich (CSU), Justizminister des Freistaats Bayern und Befürworter einer Korrektur des § 184b (wie im Übrigen seine 15 Länderkolleginnen und -kollegen auch), warb gegenüber der Bildzeitung geradezu für den Vorschlag. Auch Medien, die noch vor wenigen Monaten massiv für die ausnahmslose Ausgestaltung aller Formen von Kinderpornographie als Verbrechen trommelten, bringen nun Verständnis für die Rolle rückwärts in der Kriminalpolitik auf.
Überfällige "Reform der Reform"
Der beabsichtigten Absenkung der Mindeststrafen steht dabei nicht entgegen, dass es eine wichtige Aufgabe von Strafrecht und Justizpraxis sein muss, der insbesondere im sogenannten Darknet florierenden Pädokriminalität entschieden entgegenzutreten. Prinzipiell ist es auch richtig und wichtig, dass der Staat allen Opfern von Kinderpornographie signalisiert: Wir sehen euch und sind für euch da. Allerdings: Signale an die Opfer ja, aber nur, soweit sie nicht zu erheblichen Kollateralschäden an anderer Stelle des Strafrechtssystems und zu einer Kriminalisierung auch wohlmeinender Personen führen.
Erinnern wir uns, warum die Strafen im Jahr 2021 von der GroKo geschärft wurden: Damals bezog sich der Gesetzgeber zum einen auf die ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik gestiegenen Zahlen kinderpornographischer Delikte, zum anderen auf die die Öffentlichkeit zurecht beunruhigenden Missbrauchskomplexe in Staufen, Bergisch Gladbach, Lügde und Münster.
Dabei wurde (geflissentlich) übersehen, dass die Mindeststrafen in § 184b StGB für die Täter in diesen Missbrauchskomplexen gar keine Rolle spielten. Denn sie wurden allesamt wegen weiterer noch schwererer Straftaten, wie etwa dem sexuellen Kindesmissbrauch nach § 176 StGB verurteilt, neben denen Strafandrohungen für Kinderpornographie nicht sonderlich ins Gewicht fielen.
Die starke Zunahme der Kinderpornographiedelikte im sogenannten Hellfeld geht wiederum zu einem nicht unerheblichen Teil auf die gewachsene Zahl jugendlicher Tatverdächtiger zurück, für die die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts wegen der Besonderheiten des Jugendstrafrechts gerade nicht gelten (§ 18 Abs. 1 S. 3 Jugendgerichtsgesetz).
Und auch im Übrigen stecken hinter dem Anstieg der Kinderpornographie wohl nicht in erster Linie schwere Fälle. Denn durch die ubiquitäre Verbreitung fotofähiger Smartphones und die Omnipräsenz des Internets ist es heute schlicht wahrscheinlicher als je zuvor, auch ohne bösen Willen mit kinderpornographischen Inhalten in Kontakt zu geraten.
Leichtere Fälle rücken ins "Hellfeld"
Die sich geradezu explosionsartig vermehrenden Meldungen des in den USA angesiedelten National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) an das Bundeskriminalamt sorgen ebenfalls dafür, dass auch leichtere Fälle von Kinderpornographie zunehmend vom Dunkel- ins Hellfeld rücken. Denn es ist naiv anzunehmen, dass sich gerade besonders gefährliche Pädokriminelle über diejenigen Provider austauschen, die inkriminierte Inhalte pflichtbewusst an das NCMEC melden.
Zudem setzen viele Provider das sog. Hash-Verfahren ein, um kinderpornographische Inhalte zu detektieren. Mit dieser kryptographischen Methode können jedoch "nur" solche Inhalte aufgespürt werden, die schon im Netz kursieren. Wird ein auf diesem Weg entdeckter Vorgang durch das NCMEC gemeldet, ist es daher vergleichsweise unwahrscheinlich, dass dies zur Rettung von Kindern beitragen kann, die akut von einem sexuellen Missbrauch betroffen sind.
Aus den genannten Gründen müssen sich Polizei und Staatsanwaltschaften derzeit nicht selten mit Fällen herumschlagen, bei denen ein Strafverfolgungsbedürfnis kaum oder gar nicht zu erkennen ist. Dazu gehören etwa Konstellationen, in denen Eltern oder Lehrer durch die Übersendung entsprechenden Bildmaterials (andere) Eltern davor warnen wollen, dass in einem Klassenchat Kinderpornographie kursiert.
Fatale Auswirkungen der geltenden Rechtslage
Dabei ist es für die Anzeigebereitschaft von Lehrern geradezu katastrophal, wenn sie im Falle einer Weitergabe derartiger Inhalte nicht nur eine Strafverfolgung, sondern darüber hinaus sogar den Verlust ihres Beamtenstatus befürchten müssen (§ 24 Beamtenstatusgesetz).
Und selbst Missbrauchsopfer, die Abbildungen von sich selbst als Beweis aufbewahren, können nach dem (noch) geltenden Recht in das Visier der Ermittlungsbehörden gelangen. Denn durch die im Jahr 2021 blindlings vorgenommene Gesetzesverschärfung ist es den Staatsanwaltschaften wegen des ausnahmslosen Verbrechenscharakters der Kinderpornographie kaum noch möglich, solche Verfahren einzustellen.
Der Verfolgungszwang auch kleinster Bagatellen hat zu einem weiteren unerwünschten Effekt geführt: Durch die Flut der Meldungen aus den USA, die nach deutschem Recht kaum eine Priorisierung zulassen, werden Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden gebunden, die an anderer Stelle dringend gebraucht würden. Denn wer vor allem und zurecht Kindern helfen will, die akut von sexuellem Missbrauch betroffen sind, muss in der Lage sein, seine Kapazitäten auf "die großen Fische“ zu konzentrieren. Dies wird aber durch die derzeitige Rechtslage verhindert.
Buschmanns geplante Reform ist also gerade nicht, wie zuletzt der Ehrenvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe in der Bildzeitung zitiert wird, "extrem täterfreundlich". So paradox es klingt: Aber wer effektiv gegen Kinderpornographie vorgehen will, muss die Mindeststrafen senken.
Alternativen zur Strafrahmen-Absenkung?
Freilich werden auch Alternativen zu der geplanten Absenkung der Mindeststrafen diskutiert. So könnte man versuchen, alle Verhaltensweisen, die von vornherein als nicht strafwürdig erscheinen, aus dem Tatbestand des § 184b StGB auszuklammern.
Problematisch ist an einer solchen Vorgehensweise jedoch, dass es kaum gelingen wird, alle nicht strafwürdigen Konstellationen vorherzusehen und treffsicher auszuscheiden. Demgegenüber wäre zu befürchten, dass tatsächlich strafwürdige Fälle von Pädokriminalität künftig straffrei bleiben müssten. Außerdem wären solche Tatbestandsausschlüsse an den engen und teils unklaren Vorgaben des Europarechts zu messen.
Daher ist die jetzt beabsichtigte Absenkung der Mindeststrafen die einzige praxistaugliche Möglichkeit, zu gerechten und nachvollziehbaren Ergebnissen bei der Verfolgung derartiger Straftaten zu gelangen. Gleichzeitig werden – wie beschrieben - dadurch wichtige Ressourcen für die Bekämpfung der wirklich besorgniserregenden Fälle von Kinderpornographie freigesetzt.
"Kriminalpolitik im Blindflug"
Gleichwohl wird die bevorstehende "Reform der Reform" nicht alle Probleme im Umgang mit kinderpornographischen Delikten lösen können: Die hohe Zahl von Ermittlungsverfahren gegen jugendliche Tatverdächtige wird sich durch die Absenkung der Mindeststrafen in § 184b StGB nicht vollständig eindämmen lassen. Dahinter stehen nicht selten Formen des sogenannten "Sexting", also des allzu sorglosen Versendens selbstgefertigter Nacktbilder oder erotischer Aufnahmen per Smartphone. Diesem gefährlichen Trend wird nur durch eine konsequente medienpädagogische Aufklärung entgegengewirkt werden können.
Wie häufig kinderpornographische Delikte am unteren Rand der Strafwürdigkeit vorkommen, wissen wir wie viele anderen wichtigen Details der Verbrechensrealität schlicht nicht. Ein Gesetz, das die Erhebung zentraler kriminalstatistischer Daten und wichtiger Angaben zur Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden vorschreibt, lässt seit Jahren auf sich warten. Hier muss dringend nachgebessert werden. Sonst verkommt die allenthalben propagierte evidenzbasierte Kriminalpolitik, wie die Volte um die Kinderpornographie zeigt, zu einer Farce.
Im Übrigen aber zeigt die kriminalpolitische Posse um die Strafen bei der Kinderpornographie eines in aller Deutlichkeit: In Deutschland wird nach wie vor eine – wie es in einem geflügelten Wort des Konstanzer Kriminologen Wolfgang Heinz treffend heißt – "Kriminalpolitik im Blindflug" betrieben.
Prof. Dr. Jörg Kinzig ist Direktor des Instituts für Kriminologie und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht der Universität Tübingen. Florian Rebmann ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter, Simon Schlicksupp Doktorand am Institut für Kriminologie.
Korrektur von § 184b StGB: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53771 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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