2/2: "Mehr Geld für Prävention – eine Beruhigungspille"
LTO: In der Stellungnahme wird eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Debatte um Kinderpornografie gefordert. Kann der Gesetzentwurf dazu nicht beitragen – als Diskussionsgrundlage, die nun erst von den Ressorts und anschließend im Bundestag diskutiert werden muss?
Scheerer: Der Entwurf folgt den Imperativen der Tagespolitik: Wenn so ein Entwurf auf dem Tisch liegt, darf er nach der Logik der kurzfristig denkenden Akteure in den Regierungsparteien nur in einer deutlich sichtbaren Verschärfung der Strafbestimmungen münden. Alles andere würde nach den selbstgesetzten Prämissen der Akteure als Scheitern interpretiert.
Aus eigenen Untersuchungen weiß ich, dass die Wissenschaft von der Politik in einem Fall wie diesem nur in ihrer passiven Funktion gefragt ist, das heißt als Legitimationsgrundlage für eine im Grundsatz längst vorher gefällte Entscheidung – hier zur Verschärfung des Sexualstrafrechts.
LTO: Sie sprechen sich für eine bessere Behandlung der Täter aus. Mehr Prävention schließt eine Verschärfung des Strafrechts aber doch nicht aus? So will das Justizministerium das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" künftig stärker finanziell unterstützen.
Scheerer: Mehr Geld für ein verdienstvolles Präventionsnetzwerk: eine Beruhigungspille für die Kritiker des Gesetzentwurfs. Vorher wurden die Gelder gekürzt und die Einrichtungen standen vor dem Aus. Und was wird die Pille bewirken? Wie sieht es mit lokalen dezentralen Beratungsangeboten aus, wie mit der Diskriminierung der Klientel? Die durch das Justizministerium mitangefachte Stimmung im Lande wird die Angst der potentiellen Täter vor institutionellen Kontakten eher vergrößern.
"Im Geiste der Alternativprofessoren das Strafrecht entrümpeln"
LTO: In Ihrer Stellungnahme kritisieren Sie auch die mediale Vorverurteilung von Sebastian Edathy. Wie könnte so etwas effektiv verhindert werden?
Scheerer: Dazu hätten sich nur alle Politiker und Behörden an die Regeln für solche Fälle halten müssen. Den Medien ist kein Vorwurf zu machen: Sie müssen recherchieren und berichten und dürfen auch spekulieren.
Außerdem: In Deutschland wird zu schnell beschlagnahmt. Beschwerden im Ermittlungsverfahren bleiben leider oft wirkungslos. Deshalb ist ein unklares Strafrecht in Deutschland besonders gefährlich. Verstöße gegen das Datenschutzrecht müssten konsequenter verfolgt werden: Dann könnten sich Eltern besser wehren gegen alle Formen des Missbrauchs von Bildern ihrer minderjährigen Kinder.
LTO: Die Unterzeichner der Stellungnahme sind teilweise identisch mit den Mitgliedern des Schildower Kreis, der erst kürzlich eine Petition an den Bundestag formuliert hat, die Drogenpolitik zu lockern. Der Initiator der Stellungnahme, Michael Stiels-Glenn, gehört dem Schildower Kreis aber nicht an?
Scheerer: Mit Herrn Stiels-Glenn habe ich gerade telefoniert. Er kennt den Schildower Kreis nicht. Er betreibt eine Praxis für Supervision und Psychotherapie.
LTO: Welchem Thema wird sich die Gruppe als nächstes widmen?
Scheerer: Ich sehe in dem Schildower Kreis, dem ich angehöre, eine Gruppierung, die versucht, die Arbeit der Alternativprofessoren, die in den 60ern für die Entrümpelung des noch aus Kaisers Zeiten stammenden Strafrechts verantwortlich waren, auf dem damals noch nicht so zentralen, heute aber sehr wichtig gewordenen Gebiet des Arznei-, Betäubungs- und Genussmittelrechts fortzusetzen.
Prof. Dr. Sebastian Scheerer (i.R.) war bis Ende März 2014 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg. Er hat die Stellungnahme mehrerer Strafrechtler, Kriminologen und Psychiater zum Gesetzentwurf des BMJV zur Bekämpfung von Kinderpornografie mitunterzeichnet und gehört dem Schildower Kreis an.
Die Fragen stellte Claudia Kornmeier.
Bekämpfung von Kinderpornografie: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11707 (abgerufen am: 31.10.2024 )
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