Suche nach einer Alternative zu London: Jus­tiz­standort Deut­sch­land macht sich fit für den Brexit

Gastkommentar von Dr. Luidger Röckrath, LL.M. und Simon Fischer

16.03.2018

Viele internationale Wirtschaftsstreitigkeiten wurden bisher in London ausgefochten. Nun wollen sich andere Länder als bester Gerichtsstandort positionieren. Deutschland hat dabei gute Karten, meinen Luidger Röckrath und Simon Fischer.

Durch den bevorstehenden Brexit gerät der Justizstandort London international unter Druck. Mit dem Ausscheiden aus der EU finden die europaweit in vielen Bereichen vereinheitlichten Verfahrensvorschriften im Vereinigten Königreich keine Anwendung mehr. Zuständigkeitskonflikte und Unsicherheiten bei Zustellungen, Beweisaufnahmen, Anerkennung und Vollstreckung im Verhältnis zur EU sind damit zu befürchten.

Mittlerweile wird diese Sorge auch im Vereinigten Königreich geteilt. Nachdem Experten bereits frühzeitig vor dem drohenden Bedeutungsverlust des Justizstandorts London gewarnt hatten, sollten die europäischen Verfahrensvorschriften ersatzlos entfallen, strebt mittlerweile auch London die Fortsetzung der Kooperation im internationalen Zivilverfahrensrecht an. Zum einen sollen die Rom-I und -II-Verordnungen weitgehend in britisches Recht überführt werden. Zum anderen soll das Brexit-Abkommen Regeln enthalten, welche grenzübergreifende Zivilverfahren "für alle Beteiligten leichter, billiger und effizienter" machen sollen.

Keine Zuständigkeit des EuGH – auch nicht für Übergang

Wie dies im Einzelnen gelingen soll, erläutert die Britische Regierung in ihren Positionspapieren nicht. Eine einfache Lösung scheint es jedoch nicht zu geben. Das zeigte unlängst die kategorische Ablehnung des am 28. Februar 2018 von der EU vorgestellten Entwurfs für ein Übergangsabkommen. Dort ist in den Artikeln 62 bis 65 die vorübergehende Fortgeltung etlicher EU-Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften vorgesehen, darunter auch die Zuständigkeit des EuGH als unverzichtbarer Teil dieser Regeln. 

Die britische Regierung beharrt jedoch auf ihrer strikten Forderung nach dem Wegfall der Zuständigkeit des EuGH. So bleiben ernsthafte Zweifel, dass die europäischen Verfahrensregeln in gleichbleibender Qualität in der Übergangsphase oder im Brexit-Abkommen abgebildet werden können.

Angesichts dessen ist durchaus zweifelhaft, ob der Justizstandort London seinen Stellenwert nach dem Brexit behalten kann. Denn trotz seiner bei internationalen Handelsstreitigkeiten geschätzten Vorteile hinsichtlich der Gerichtssprache und der Qualität der Rechtsprechung wird der Justizstandort London zunehmend unattraktiv. Denn die Verfahren sind teuer. Die Verfahrenskosten erreichen bis zu 40 Prozent des Streitwertes. Dazu kommt nun die Unsicherheit, ob ein in London teuer erstrittenes Urteil die gewünschte Geltung erlangt. 

Werbung für Streitbeilegung auf dem Festland

Seit dem Brexit-Votum versuchen sich mehrere Mitgliedstaaten der EU als bessere Alternative zum Justizstandort London in Stellung zu bringen. Frankreich hat einen spezialisierten Gerichtshof für die Finanzbranche initiiert, der mit englischsprachigen Verhandlungen, besonderer Expertise in Rechtsfragen der Finanzbranche und Erfahrung im common law punkten soll.

Die Niederlande führen 2018 voraussichtlich den "Netherlands Commercial Court" ein: Auch dort sollen u.a. englischsprachige Verhandlungen möglich sein. Mit Blick auf den Brexit werben die Niederlande ausdrücklich auch mit den Vorteilen der europäischen Regeln zur Zuständigkeit, Beweisaufnahme und Anerkennung von Urteilen. Eine vergleichbare Initiative kommt aus Belgien: Dort ist ein "Brussels International Business Court" (BIBC) geplant, der ebenfalls auf Englisch verhandeln soll.

Diese Initiativen der Europäischen Nachbarländer werben mit modernisierten Verfahrensvorschriften und effektiver und kostengünstiger Prozessführung darum, dass internationale Unternehmen aufwendige Wirtschafts- und Handelsstreitigkeiten nicht mehr in London, sondern auf dem europäischen Festland beilegen.

Fallzahlen der Kammern für Handelssachen rückläufig

Auch die deutsche Justiz positioniert sich zunehmend offensiv als die bessere Alternative zum Justizstandort London. Sie punktet dabei nicht nur mit dem Fortbestand der europaweit vereinheitlichten Verfahrensvorschriften, deutlich geringeren Kosten und mit einer im Durchschnitt kürzeren Verfahrensdauer. Auch hohe Qualität und Expertise sind zweifellos vorhanden. Für Handelsstreitigkeiten bieten sich in Deutschland bereits seit jeher spezielle Kammern für Handelssachen an. Für einige Bereiche wie z.B. Bankrecht, Kartellrecht oder Patentrecht gibt es schon spezialisierte Zivilkammern, die schwerpunktmäßig Streitigkeiten aus diesen Themengebieten bearbeiten und die dort auch international hohes Ansehen genießen. So wird bereits heute ein nicht unerheblicher Teil der europäischen Patentstreitigkeiten in Düsseldorf geführt.

Doch trotz punktueller Erfolge ist die deutsche Justiz bei internationalen Wirtschaftsprozessen insgesamt unter Druck geraten. So sind die Fallzahlen der Kammern für Handelssachen seit Jahren rückläufig. Die deutsche Justiz muss sich daher die Frage stellen, wie sie künftig die immer komplexer werdenden Verfahren handhaben will. Denn während in Anwaltskanzleien solche Fälle durch ganze Teams unter Zuhilfenahme moderner Technik bearbeitet werden, können sich bei Gericht maximal drei Richter – oft sogar nur der Berichterstatter allein – mit einem Sachverhalt befassen. Gleichzeitig werden Forderungen nach einem aktiven Prozessmanagement, also einer proaktiven Leitung und Organisation des Verfahrens durch das Gericht oder digitaler Verfahrensführung laut. Beides ist in privaten Schiedsverfahren, aber auch beim Londoner Commercial Court bereits seit langem etabliert.

Ebenfalls von Bedeutung ist die Sprachbarriere: Zwar gibt es seit 2010 an den Landgerichten in Aachen, Bonn und Köln Pilotprojekte mit englischsprachigen Handelskammern. Diese erfahren jedoch kaum Zuspruch, nicht zuletzt weil nur die mündliche Verhandlung auf Englisch geführt werden durfte. Schriftsätze, Verhandlungsprotokolle und Urteile müssen weiterhin auf Deutsch abgefasst werden, denn in § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist eindeutig geregelt, "Die Gerichtssprache ist Deutsch". Die Sprachbarriere ist damit ein wesentlicher Standortnachteil der deutschen Justiz.

Doch auch hier gibt der bevorstehende Brexit und der zunehmende Wettbewerb in Europa um den attraktivsten Justizstandort Anstoß für neue Initiativen.

Neue Initiativen zur fördern den Gerichtsstandort Deutschand

So verkündete auch das Landgericht (LG) Frankfurt Ende 2017 die Einführung einer englischsprachigen Handelskammer. Seit 2018 können auch am für die Post-Brexit-Finanzbranche wohl interessantesten Gerichtsstandort in Deutschland Verhandlungen in englischer Sprache geführt werden. Das sollte angesichts der seit 2010 kaum in Anspruch genommenen Pilotprojekte in Aachen, Bonn und Köln nicht überbewertet werden. 

Von Bedeutung ist jedoch, dass sich die Frankfurter Justiz mit diesem ersten Schritt ausdrücklich als Alternative zum wegen des bevorstehenden Wechsels mit Unsicherheiten behafteten London präsentiert: "Gerade nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU sehen wir eine Chance, Frankfurt als internationalen Gerichtsstandort zu etablieren. Denn nach dem Brexit wird es nicht mehr ohne weiteres möglich sein, englische Urteile innerhalb der Europäischen Union zu vollstrecken. Wir werben dafür, internationale Verfahren, die bislang in Großbritannien geführt wurden, nach Frankfurt zu bringen", heißt es in der Pressemitteilung vom 2. November 2017.

Und in der Tat dürfte es auch dem bevorstehenden Brexit zu verdanken sein, dass am 20. Februar 2018 die Gesetzesinitiative zur Einführung einer speziellen "Kammer für internationale Handelssachen" (KfiH) wieder aufgegriffen wurde (BR Drs. 53/18). Nachdem der Versuch, durch eine Gesetzesänderung über die Grenzen des § 184 GVG hinaus auch englischsprachige Schriftsätze und Urteile zuzulassen, bereits zweimal wegen des Grundsatzes der Diskontinuität nicht weiterverfolgt werden konnte, rückt dieses Thema durch den bevorstehenden Brexit wieder in den Fokus. Das Justizministerium von Nordrhein-Westfalen, einer der Mitinitiatoren der neuen Gesetzesinitiative, begründet das Vorgehen in seiner Pressemitteilung vom 2. März 2018 ausdrücklich mit dem Wettbewerb zum Gerichtsstandort London.

Fachwissen von Richtern stärker bündeln

Auch bei der Prozessorganisation ist die deutsche Justiz in Bewegung. So will die Justiz insbesondere in den fachlich spezialisierten Kammern die Richter in Zukunft weniger rotieren und so das dort erarbeitete Fachwissen weiter bündeln. Auch die Notwendigkeit eines aktiven Case Managements und elektronischer Aktenführung auf der Grundlage moderner Verfahrensvorschriften wird in der Justiz wahrgenommen. Hier bietet die deutsche Zivilprozessordnung den Gerichten jedoch ohnehin einen großen Handlungsspielraum. So können beispielsweise schon seit längerem im Ausland ansässige Zeugen per Videokonferenz und ggf. auch in einer fremden Sprache vernommen werden. Auch englischsprachige Dokumente müssen nicht zwingend übersetzt werden. In naher Zukunft kann nun auch die Kommunikation mit dem Gericht elektronisch geführt werden. 

Die Modernisierung der Justiz ist auch im Koalitionsvertrag 2018 ein ausdrücklich genanntes Ziel: In einem "Pakt für den Rechtsstaat" sollen nicht nur "die Digitalisierung der Justiz in allen Bereichen konsequent und einheitlich" vorangetrieben, sondern auch die Zahl der Richterstellen bundesweit um zehn Prozent erhöht werden -ausgehend von den Zahlen des Bundesamtes für Justiz 2014.

Die Ausgangslage im Wettbewerb um die beste Post-Brexit-Alternative zum Gerichtsstandort London ist damit für Deutschland insgesamt nicht schlecht: Wirtschaftsverfahren sind in hier verhältnismäßig günstig, die Entscheidungen qualitativ hochwertig und die Verfahren werden in angemessener Frist erledigt. Unternehmen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen können den Gerichtsstandort Deutschland bereits heute in ihren Verträgen in Betracht ziehen. Zumal die neue Bundesregierung das AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen auf den Prüfstand stellen will und mit erheblichen Erleichterungen bei Gerichtsstandvereinbarungen zu rechnen ist.

Die Autoren Dr. Luidger Röckrath, LL.M. (Berkeley) und Simon Fischer sind Rechtsanwälte bei Gleiss Lutz in München. Beide sind tätig im Bereich Prozessführung.

Zitiervorschlag

Suche nach einer Alternative zu London: . In: Legal Tribune Online, 16.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27591 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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