Justizreform in Polen: "Wer Richter werden darf, wird in der Politik ent­schieden"

von Annelie Kaufmann

30.10.2017

2/2: "Darüber wer Richter werden darf, wird in der Politik entschieden"

Die Gesetzentwürfe stoßen auf scharfe Kritik in der Justiz. Richter Markiewicz von Iustitia sagt: "Es gibt keinen Zweifel mehr: Darüber wer Richter werden darf, wird in der Politik entschieden. Das ist eine offene Missachtung des Rechtssystems und der Gewaltenteilung in Polen."

Nicht nur das Oberste Gericht ist davon betroffen, auch die unteren Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit geraten unter Druck. Gemäß dem Gesetz über die ordentliche Gerichtsbarkeit, das am 12. August in Kraft trat, kann der Justizminister die Präsidenten und Vize-Präsidenten dieser Gerichte innerhalb von 6 Monaten nach Inkrafttreten entlassen. "Einige Präsidenten und Vize-Präsidenten wurden bereits abberufen. Manche von ihnen erfuhren das erst aus der Presse", so Markiewicz.

Dabei ist die Personalsituation in der Justiz ohnehin angespannt. "Seit zwei Jahren werden viele offene Stellen an den Gerichten nicht publik gemacht. Mehrere hundert Stellen sind unbesetzt, viele Verfahren dauern deswegen länger", erklärt Markiewicz. Mit der Besetzung warte das Justizministerium, bis der Landesjustizrat neu aufgestellt werde.

Kampagne zur Diskreditierung der Justiz

Im Sommer haben zehntausende Polen gegen die Justizreformen protestiert. Die EU-Kommission und internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International haben die geplanten Reformen kritisiert.

Dennoch hat die PiS nach wie vor einen starken Rückhalt bei ihren Wählern. Thomas Guddat, Vorsitzender der deutsch-polnischen Richtervereinigung und Richter am Arbeitsgericht Dresden, erklärt das damit, dass in Polen das Misstrauen gegenüber der Justiz – wie in vielen Staaten, die die kommunistische Ära erlebt haben – noch stark in der Gesellschaft verwurzelt sei. "Die PiS-Regierung greift diese Stimmung auf und stellt die Reformpläne als überfällige Maßnahme eines notwendigen Demokratisierungsbestrebens dar."

Seit September läuft eine gezielte landesweite Kampagne, mit der die Justiz diskreditiert werden soll. Auf riesigen Werbetafeln wird sie als inkompetent und korrupt dargestellt. "Richterin stahl Hose" heißt es in einem der Spots. Der Fall soll auf wahren Tatsachen beruhen – allerdings wird nicht erwähnt, dass die Richterin seit Jahren pensioniert war und außerdem geistig verwirrt.

Die Kampagne wird von der polnischen Nationalstiftung gesteuert und kostet rund 4,5 Millionen Euro. Finanziert wird die Stiftung von den 17 größten polnischen staatlichen Unternehmen.

Wird die Verfassung hinfällig?

Mit den Justizreformen sollen nicht nur zahlreiche amtierende Richter ausgetauscht werden. Auch umfassende strukturelle Änderungen des Obersten Gerichts sind geplant.

So soll eine eigene Disziplinarkammer eingeführt werden, die der Kontrolle des Gerichtspräsidenten entzogen ist. Darüber hinaus will Duda ein neues Berufungsverfahren einführen, mit dem bereits rechtskräftig entschiedene Fälle neu aufgerollt werden können. Das sei ein bedeutender Eingriff in den Grundsatz der Rechtssicherheit, so das Oberste Gericht in seiner Stellungnahme.

Auch die Art und Weise, in der das Parlament versucht, durch einfachgesetzliche Regelungen Verfassungsrecht auszuhebeln, gebe Anlass zur Sorge, warnt Rechtspolitikerin Gasiuk-Pihowicz: "Die einfache parlamentarische Mehrheit könnte künftig ausreichen, um den Zugang zum Internet, den Zugang zu Verhütungsmitteln oder die Freiheit der Presse zu beschränken. Diese und viele andere Rechte sind in der polnischen Verfassung verankert." Sie seien nun ebenfalls in Gefahr. 

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Justizreform in Polen: . In: Legal Tribune Online, 30.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25303 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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