Brauchen die Muslime in Deutschland einen Crash-Kurs in Sachen Grundgesetz? Und wie weit reicht ihre Religionsfreiheit? Juristen und Islam-Experten diskutierten hitzig darüber in Berlin, einem Richter am BVerwG platzte dabei der Kragen.
Welches Position müssen Muslime in Deutschland im Hinblick auf unsere freiheitlich demokratische Grundordnung einnehmen? Müssen sie sie adaptieren oder stattdessen sogar ablehnen, weil ihr islamisches Recht dieser womöglich entgegensteht? Und wie lässt sich endlich die rechtliche Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften erzielen – braucht Deutschland vielleicht ein spezielles Islamgesetz wie in Österreich?
Durchaus emotional diskutierten am Mittwoch in Berlin Juristen und Islam-Experten über das Thema "Islam und Recht" auf der gleichnamigen Tagung, die unter anderem vom Deutschen Richterbund (DRB) organisiert worden war. Jens Gnisa, Vorsitzender des DRB, machte dabei gleich zur Eröffnung klar, worum es aus seiner Sicht geht: die Integration auch der politisch-problematischen Strömungen des Islam in unsere Rechtsordnung.
Eine Herkules-Aufgabe? Für Gnisa in erster Linie eine große Herausforderung, für die man bei den Muslimen auch verstärkt um Vertrauen werben müsse. Und da, wo die Integration nicht gelänge, müsse sich die Rechtsordnung im Zweifel durchsetzen.
Doch ob das im säkular-neutralen Staat, der die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit der Muslime zu respektieren hat, überhaupt so einfach möglich ist, scheint für viele Juristen gerade der Knackpunkt zu sein: So verwies der Würzburger Staatsrechtler und Hochschullehrer Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz darauf, dass der Gestaltungsanspruch des islamischen Rechts durchaus zum Problem für den Rechtsstaat werden könnte, wenn es darum ginge, die Herrschaft des Rechts durchzusetzen.
Der Hochschullehrer mahnte auch die Muslime: Die Religionsfreiheit sei kein schrankenloses Grundrecht, Muslime sollten diese zudem nicht als "Kampftitel" benutzen, sondern sich vielmehr ein bestimmtes Maß an Selbstbeschränkung und Zurückhaltung auferlegen.
BVerwG-Richter: "Wollen wir sie alle deportieren?"
Weitere Referenten wiesen darauf hin, dass die Religionsfreiheit im Ergebnis auch den streng gläubigen Muslim schütze, dieser das Grundgesetz für sich sogar ablehnen könne, ohne dabei gegen Gesetze zu verstoßen. Nachdem im Anschluss ein pensionierter Richter martialische Surentexte aus dem Koran, die zur Gewalt gegen Ungläubige aufriefen, rezitierte, platzte dem amtierenden Richter am Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Martin Steinkühler, der Kragen:
"Unser Rechtsstaat ist nicht schwach, sondern wehrhafter als manche glauben", so der Bundesrichter. Überhaupt solle man endlich aufhören, den Muslimen dauernd "vermeintliche Defizite" vorzuhalten. Rhetorisch stellte Steinkühler dann die Frage, was denn wäre, wenn sich die Muslime nicht änderten: "Ja und dann? Wollen wir sie alle deportieren?"
Auch der Vorsitzendes des Islamrates in Deutschland, Burhan Kesici, ärgerte sich über das Bild des Islams in den Köpfen mancher Tagungsteilnehmer: "Wenn über den Islam geredet wird, meint man immer die Fundamentalisten."
Körperschaftsstatus für Islamverbände?
Weniger Panikmache, sondern eher der sachliche Austausch von Argumenten dominierte dann bei der Frage, ob und wie sich islamische Religionsgemeinschaften rechtlich mehr Akzeptanz verschaffen können, um so letztlich auch dem Staat als Adressat besser zur Verfügung zu stehen. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang über die Frage diskutiert, ob islamische Organisationen – ähnlich wie die christlichen Kirchen – als Körperschaften des öffentlichen Rechts (KÖR) anerkannt werden können.
Die rechtliche Grundlage für die Zuerkennung des Körperschaftstatus ergibt sich dabei aus Art. 140 Grundgesetz i.V.m. Art. 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV). Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die eine Körperschaft sind, haben einen öffentlich-rechtlichen Status eigener Art. Zu den besonderen Rechten, die diesen Gemeinschaften verliehen werden, zählt beispielsweise das Recht, von ihren Mitgliedern Steuern verlangen zu dürfen. Erst wenigen islamischen Organisationen, wie etwa der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, wurde dieser Status bislang zuerkannt.
Dass nicht weitere Moscheegemeinden oder gar muslimische Dachverbände in Deutschland über den KÖR-Status verfügen, hat unter anderem mit bestimmten Anforderungen an die innere Verfassung und Organisation einer Körperschaft zu tun. Der Islam kennt schließlich grundsätzlich keine besonderen Strukturen und Organisationsformen, sondern in erster Linie die alle Gläubigen umfassende islamische Gemeinschaft "umma", die alle Muslime im gemeinsamen Bekenntnis und der Ausübung der religiösen Pflichten eint. Vielen Muslimen ist daher auch die Mitgliedschaft in einer Moscheegemeinde, die oft als eingetragener Verein organisiert ist, eher fremd.
Ein Islamgesetz wie in Österreich?
Gleichwohl sagte der Bonner Kirchenrechtler Prof. Dr. Christian Hillgruber, dass das geltende Staatskirchenrecht durchaus auch auf muslimische Gemeinschaften gut anwendbar sei. Die rechtlichen Anforderungen einer KÖR zu erfüllen, sei für die Muslime in Deutschland möglich und zumutbar.
Auch der ehemalige rechts- und religionspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, pflichtete Hillgruber bei. Beck verwies zudem darauf, dass in Kürze eine mit Spannung erwartete Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster bevorstehe. Das OVG muss erneut prüfen, ob der Zentralrat der Muslime (ZMD) und der Islamrat Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes sind und Anspruch auf Religionsunterricht nach ihren Grundsätzen haben. Die Entscheidung könnte laut Beck maßgeblichen Einfluss auf die weitere rechtliche Behandlung islamischer Gemeinschaften in Deutschland haben.
Ob allerdings der Status als KÖR letztlich für muslimische Organisationen das Maß aller Dinge sein sollte, wird von Islam-Rechtlern auch bezweifelt. So etwa vom Präsidenten des Amtsgerichtes Charlottenburg und Honorarprofessor für Islamisches Recht an der Freien Universität Berlin, Prof. Peter Scholz: Besser als ständig dem Status als KÖR "hinterherzuhecheln", was bei den Muslimen nebenbei eine überzogene Erwartungshaltung schüre, könnten Scholz zufolge eher speziell an Muslime gerichtete einfach-gesetzliche Regelungen die Lösung sein. Darüber solle sich der Gesetzgeber Gedanken machen, so Scholz.
Also ein Sondergesetz für Muslime wie das seit 2015 in Österreich geltende Islamgesetz? Dieses ist seit seiner Einführung im Nachbarland verfassungsrechtlich äußerst umstritten, u.a. auch deshalb, weil es den muslimischen Verbänden im Grundsatz jegliche finanzielle Unterstützung aus dem Ausland verbietet.
Ein derart weitreichendes Islamgesetz, etwa um zweifelhafte ausländische Finanzströme für Moscheegemeinden in Deutschland besser unterbinden zu können, hält Ex-MdB Beck, der am religionswissenschaftlichen Institut der Ruhr-Uni Bochum Lehrbeauftragter ist, allerdings nicht für sinnvoll.
Transparenz kann man seiner Auffassung nach auch auf anderem Wege schaffen: Den zumeist als Vereinen organisierten Moscheegemeinden könne man per Gesetz auferlegen, ab einer bestimmten Summe ihre Finanzströme offenzulegen. Das ginge allerdings nur per allgemeinem Gesetz, das dann für alle Vereine gelten müsse – und damit auch für diverse Nichtregierungsorganisationen in Deutschland.
Veranstaltung "Islam und Recht": . In: Legal Tribune Online, 14.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33861 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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