2/2 "Dem Verfassungsgericht Gelegenheit geben, Maßstäbe aufzustellen"
LTO: Wie werden denn die Fälle ausgewählt, in denen die GFF Klagen einreicht?
Buermeyer: Bisher haben wir die Klagen weitgehend selbst initiiert. Das heißt, wenn wir bestimmte Fälle für problematisch halten, suchen wir dafür geeignete Beschwerdeführer, um den Fall vor das Verfassungsgericht zu bringen. Wir brauchen einen idealen Beschwerdeführer, an dem sich Probleme gut darstellen lassen, schon, weil die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden hoch sind.
Wir können uns aber auch vorstellen, künftig mehr Verfahren vor den Fachgerichten zu führen und sind auch offen für Vorschläge von Personen, die von Grundrechtsverletzungen betroffen sind. Das zentrale Kriterium ist allerdings, dass es nicht um einen Einzelfall geht, sondern um eine systematische Fehlentwicklung. Wir verstehen uns nicht als eine Rechtsschutzversicherung für einzelne Personen, sondern für das Grundgesetz.
LTO: Die GFF setzt auf strategische Prozessführung. Das heißt auch, letztlich ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der entscheidende Maßstab. Wenn es Anhaltpunkte gibt, dass bestimmte Regelungen unverhältnismäßig sind – wie etwa im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz – kann sich die GFF an das Bundesverfassungsgericht wenden. Besteht da nicht die Gefahr, dass Karlsruhe nach und nach für verfassungsmäßig erklärt, wogegen Sie eigentlich vorgehen wollen?
Buermeyer: Der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts entwickelt sich ja stetig weiter. Gerade im Bereich staatlicher Überwachungsmaßnahmen kann man beobachten, dass die Anforderungen aus Karlsruhe in den letzten Jahren verschärft wurden. Verfahren, die verfassungsrechtliche Probleme besonders gut auf den Punkt bringen, bieten also zugleich die Möglichkeit, dass das Verfassungsgericht seine eigenen Anforderungen nochmal nachschärft.
Wir haben also den Anspruch, dem Verfassungsgericht mit gut vorbereiteten Fällen Gelegenheit zu geben, seine verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu ergänzen und zu präzisieren.
"Skeptisch, was die Grundrechtsfreundlichkeit von Jamaika angeht"
LTO: Will die GFF über die klassische strategische Prozessführung hinaus auch politische Lobbyarbeit betreiben, etwa indem sie auf Gesetzgebungsverfahren Einfluss nimmt oder mit Parteien zusammenarbeitet, um eine grundgesetzfreundlichere Gesetzgebung voranzutreiben?
Buermeyer: Grundsätzlich verstehen wir uns nicht als eine politische Lobbyorganisation – da gibt es ja schon eine ganze Reihe Organisationen, und wir denken, es ist effektiver, wenn wir uns auf unsere Kernkompetenz beschränken, nämlich die Prozessführung.
Das heißt aber nicht, dass wir nicht auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen wollen. Wir wollen eine sehr realistische Drohkulisse aufbauen. Jeder Gesetzgeber muss wissen, dass Überschreitungen des Grundgesetzes professionell und mit langem Atem vor den Gerichten angegriffen werden. Es muss klar sein, dass jedes Gesetz, das potenziell Grundrechte verletzt, sozusagen einem GFF-TÜV unterzogen wird. Es wird natürlich noch ein bisschen dauern, bis wir diese Kapazitäten haben. Wir werden vor allem durch Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert, insofern hängt es auch vom finanziellen Engagement der Menschen in Deutschland ab, inwieweit wir diese Kontrollfunktion wahrnehmen können.
LTO: Was erwarten Sie für die kommende Legislaturperiode? Wird eine etwaige Jamaika-Koalition grundrechtsfreundlicher agieren als die Große Koalition?
Buermeyer: Ich bin sehr skeptisch, was die Grundrechtsfreundlichkeit einer etwaigen Jamaika-Koalition angeht. Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass sich die beiden kleinen Koalitionspartner eher auf ihre Kernthemen zurückziehen – bei den Grünen Umweltthemen, bei der FDP Finanzen und Steuern. Klassische Fragen der Freiheitsrechte scheinen bisher keine Rolle zu spielen. Die bisherigen Verhandlungsstände im Bereich Inneres und Sicherheit lassen eher Böses ahnen.
Es sieht also nicht so aus, als ob Jamaika die weitreichenden Grundrechtseingriffe der Großen Koalition rückgängig machen wird – etwa die Vorratsdatenspeicherung. Ich möchte natürlich die Hoffnung nicht aufgeben, dass das in späteren Verhandlungsrunden noch kommt. Ansonsten wird es wohl auch im Falle einer Jamaika-Koalition viele Aufgaben für die GFF geben.
Dr. Ulf Buermeyer, LL.M. ist Vorsitzender der GFF. Er ist Richter am Landgericht Berlin und arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Verfassungsgerichtshofs. Buermeyer ist Fellow des Center for Internet and Human Rights (CIHR) an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) und gestaltet gemeinsam mit dem Journalisten Philip Banse den wöchentlichen Politik-Podcast "Lage der Nation".
Annelie Kaufmann, Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer im Interview: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25473 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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