Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer im Interview: "Wir greifen Über­sch­rei­tungen des Grund­ge­setzes pro­fes­sio­nell an"

Interview von Annelie Kaufmann

10.11.2017

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erhält den "pro reo"-Preis des Deutschen Anwaltvereins. Ulf Buermeyer, Richter am LG Berlin und Vorsitzender der GFF, erklärt, wie eine "Drohkulisse" gegen Grundrechtsverletzungen aussehen kann.

LTO: Die GFF wurde vor zwei Jahren gegründet, um mit strategischen Prozessen gegen die Einschränkung von Grundrechten vorzugehen. Mit welchen Verfahren sind Sie aktuell befasst?

Dr. Ulf Buermeyer, LL.M.

Buermeyer: Wir haben insgesamt ein knappes Dutzend Verfassungsbeschwerdeverfahren geführt oder vorbereitet. Unsere Schwerpunkte liegen bisher im Bereich Datenschutz, Überwachung und Strafprozess – wobei wir auch ein weiteres Verfahren geführt haben, in dem es um die Pressefreiheit ging.

Die bisherigen Verfahren sind aber nicht prototypisch. Wir werden manchmal in die "Datenschutzecke" gesteckt, was aber einfach daran liegt, dass wir aus diesem Bereich viele Verfahren hatten. Das Ziel der GFF ist es aber, die Grundrechte in ganzer Breite abzudecken. Deshalb führen wir jetzt auch ein Verfahren vor den Arbeitsgerichten, in dem es um die Diskriminierung einer Mitarbeiterin aufgrund ihres Geschlechts geht – das ist ein "Equal Pay"-Fall.

LTO: Fragen von Diskriminierung fallen also auch unter die Freiheitsrechte?

Buermeyer: Ja, die Freiheit von Diskriminierung gehört auch dazu. Wir wollen künftig außerdem den Bereich sozialer Grundrechte bearbeiten. Das ist ein Thema, bei dem bisher relativ wenig passiert, einfach, weil viele sozial benachteiligte Menschen gar nicht die Mittel haben, Verfassungsbeschwerden zu erheben. Wir können uns auch gut vorstellen, im Bereich Religionsfreiheit tätig zu werden, etwa wenn es auf Grund des gesellschaftlichen Klimas zu islamfeindlichen Entwicklungen kommen sollte.

"Bayern testet mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz Grenzen aus"

LTO: Sie haben kürzlich mit Blick auf die vergangene Legislaturperiode gesagt: "Die große Koalition war eigentlich ein Subventionsprogramm für strategische Prozessführung, so unsensibel wie sie in der Gesetzgebung vorgegangen ist." Verhält sich der Gesetzgeber so oft grundgesetzwidrig?

Buermeyer: Der Gesetzgeber hat ja die Aufgabe, verschiedene Rechtspositionen bei der Gesetzgebung abzuwägen. Und die Große Koalition hat sich dadurch ausgezeichnet, dass sie besonders unsensibel war, was die Einschränkung von Freiheitsrechten – etwa zu Gunsten von Geheimdiensten oder von Ermittlungsbehörden – angeht.

Unserer Auffassung nach verstoßen gleich eine ganze Reihe von Gesetzen, die in der letzten Legislaturperiode erlassen worden sind, gegen Grundrechte. Deswegen bereiten wir aktuell drei Verfassungsbeschwerden gegen Maßnahmen der „Groko“ vor: Gegen das novellierte BND-Gesetz, die Reform des BKA-Gesetzes und gegen die Rechtsgrundlage zum Einsatz von Staatstrojanern in der Strafprozessordnung.

LTO: Eine andere Verfassungsbeschwerde, die die GFF vor kurzem zusammen mit bayerischen Antifaschisten eingereicht hat, wendet sich gegen zahlreiche Regelungen des neuen Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes. Da geht es um Befugnisse, die teilweise deutlich über die Befugnisse anderer Landesverfassungsschutzämter oder des Bundesverfassungsschutzes hinausgehen – etwa was die Erhebung von Vorratsdaten angeht, den sogenannten großen Lauschangriff, die Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder den Einsatz von V-Leuten. Auch um zu verhindern, dass Bayern hier Vorreiter für die Ausweitung von Befugnissen auf Bundesebene wird?

Buermeyer: In der Tat befürchten wir, dass das Bayerische Verfassungsschutzgesetz Vorbildfunktion für andere Bundesländer oder auch für die Bundesebene haben könnte. Das halten wir für gefährlich, weil der bayerische Gesetzgeber an vielen Stellen die Grenzen austestet oder überschreitet, die das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Das ist auch ein Beispiel dafür, warum es eine Organisation wie die GFF in Deutschland geben muss: Gesetze auf Bundesebene wurden ja schon öfter im Wege von Verfassungsbeschwerden angegriffen. Aber Landesgesetze werden so gut wie nie – schon gar nicht im Rahmen professioneller strategischer Prozessführung – auf den Prüfstand gestellt. Ein Verfassungsbeschwerdeverfahren ist aufwendig und wenn man es gut machen will, auch teuer. Deshalb braucht es da eine Organisation mit langem Atem, die wirklich konsequent Fehlentwicklungen beobachtet und von den Gerichten überprüfen lässt.

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer im Interview: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25473 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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