Mit mehr als 400 Km/h fuhr der Fahrer eines Bugattis auf der Autobahn. Andere Fahrzeuge waren nicht beteiligt. Dennoch könnte ein illegales Autorennen nach § 315d StGB vorliegen, erklärt Tim Nicklas Festerling.
Ein kürzlich bekannt gewordener und gut dokumentierter Sachverhalt befeuert erneut die Debatte um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen: Der tschechische Millionär Radim P. fuhr seinen straßenzugelassenen 1500-PS-Boliden, einen Bugatti Chiron, auf der A2 von Berlin in Richtung Hannover aus und erreichte dabei eine Höchstgeschwindigkeit von sage und schreibe 417 Kilometern in der Stunde. Diese Fahrt wurde mit einer Actioncam gefilmt und samt einer eingeblendeten Geschwindigkeitsanzeige, welche per GPS berechnet wurde, bei der Videoplattform YouTube hochgeladen. Mittlerweile wurde das Video knapp acht Millionen Mal aufgerufen. Zunächst blieb dieses Verhalten juristisch folgenlos, da auf dem betreffenden Abschnitt kein Tempolimit gilt und glücklicherweise niemand zu Schaden gekommen ist.
Nun wurde jedoch ein Ermittlungsverfahren wegen eines illegalen Straßenrennens nach § 315d StGB gegen den Tschechen eingeleitet. Liegt tatsächlich ein strafrechtlich relevantes Verhalten vor?
Anknüpfungspunkt für die Überlegungen ist das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 315d Abs. 1 StGB. Der Gesetzgeber führt zum Vorliegen eines Rennens folgendes aus: "Rennen sind Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbes sowie Veranstaltungen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilnehmenden Kraftfahrzeugen." (BT-Drs. 18/12964, S. 5). Auch wenn hier die Höchstgeschwindigkeit des Wagens von 420 km/h fast erreicht wurde, war an der Aktion – zumindest ist dies dem Video nicht zu entnehmen – kein weiteres Kraftfahrzeug beteiligt. Folglich liegt bereits kein Rennen i.S.d. Nr. 1 und 2 vor.
Fuhr der Tscheche ein "Rennen gegen sich selbst"?
§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt die grob verkehrswidrige und rücksichtslose Fortbewegung bei nicht angepasster Geschwindigkeit zur Erreichung einer höchstmöglichen Geschwindigkeit unter Strafe. Diese Nummer wurde eingefügt, um die Fälle zu erfassen, in welchen "…nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt." (BT-Drs. 18/12936, S. 2). Somit regelt Nr. 3 die Strafbarkeit eines Rennens gegen sich selbst. Auf den ersten Blick könnte der vorliegende Sachverhalt der Situation entsprechen, die der Gesetzgeber unter Strafe stellen wollte.
§ 3 Abs. 3 Straßenverkehrsordnung (StVO) normiert die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten. Auf dem betreffenden Autobahnabschnitt galt jedoch kein Tempolimit. Nach dem Willen des Gesetzgebers fällt auch ein zu schnelles Fahren unter Nr. 3, welches der konkreten Verkehrssituation zuwiderläuft. Der Bundesgerichtshof (BGH) subsumiert unter den Begriff einer nicht angepassten Geschwindigkeit daher jede der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechende Geschwindigkeit (BGH, Beschl. v. 17.02.2021, Az. 4 StR 225/20). Die Erwägungen des § 3 Abs. 1 StVO können als Orientierungsmaßstab dienen.
Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1, S. 4 StVO darf nur so schnell gefahren werden, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird und innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Dem Video ist am Anfang zu entnehmen, dass der Fahrer ständig zwischen der linken und der mittleren Fahrspur wechselt. Legt man dieses Verhalten zugunsten von Radim P. aus, könnte man annehmen, dass die Spurwechsel der Verkehrssicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmer dienten. Er wechselt immer dann die Spur, wenn sich auf der rechten Spur weitere Kraftfahrzeuge befinden und erzeugt so einen größeren Abstand zwischen dem Bugatti und anderen, deutlich langsamer fahrenden Fahrzeugen. Auch bei dem Erreichen von über 400 km/h wirkt das Auto stabil und hält die linke Spur. Dieser Zustand wird beinahe eine Minute gehalten.
Nicht angepasste Geschwindigkeit?
Interessanter ist jedoch der Bremsweg. Laut Herstellerangaben soll der Bugatti Chiron bei einer Geschwindigkeit von 400 km/h in 491 Metern zum Stehen kommen. Ob die Autobahn tatsächlich knapp 500 Meter eingesehen werden konnte, kann allein anhand des Videos nicht eindeutig gesagt werden. Die 50 Meter weit entfernten Leitpfosten am rechten Fahrbahnrand werden derart schnell passiert (in 0,432 Sekunden bei 417 km/h), dass die Strecke der nächsten 4,32 Sekunden (für 500 Meter) eingesehen werden müsste. Dies erscheint in Anbetracht der enormen Geschwindigkeit mehr als fraglich.
Die Geschwindigkeit muss auch den Straßen-, Sicht-, Wetter- und Verkehrsverhältnissen angepasst sein. Lediglich die Verkehrsverhältnisse bedürfen hier näherer Betrachtung. Auf dem Autobahnabschnitt befinden sich andere Verkehrsteilnehmer, die der Bugatti überholt. Während er über 200 km/h fährt, sind dies immerhin zehn Kraftfahrzeuge. Diese fahren allesamt auf der rechten Spur und befinden sich in keinem Überholvorgang. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre die mittlere Fahrbahn frei gewesen, da Radim P. in diesen Situationen auf die linke Spur wechselte.
Folglich hängt die Beurteilung der Frage, ob Geschwindigkeiten jenseits der 400 km/h hier eine nicht angepasste Geschwindigkeit darstellen, mit der Frage zusammen, ob innerhalb der übersehbaren Strecke tatsächlich angehalten werden kann. Ist also selbst unter perfekten Fahrbedingungen ein Fahren auf Sicht bei dieser Geschwindigkeit nicht angepasst? Falls nicht, ab welcher Geschwindigkeit wäre dies gerade noch der Fall? Und wäre damit ein faktisches Tempolimit begründet?
Möglicher Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot
Bei Vorliegen einer nicht angepassten Geschwindigkeit müsste zusätzlich noch ein grob verkehrswidriges Verhalten vorliegen, welches sich an die Formulierung aus § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB anlehnen soll.
Eine der "sieben Todsünden des Straßenverkehrs" gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) - g) StGB kann dem Video nicht entnommen werden. Insbesondere war der Fahrer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als die zu Überholenden unterwegs. Auf die Massivität eines Geschwindigkeitsverstoßes kann sich laut BGH vorliegend nicht gestützt werden, denn es gab kein Tempolimit. Die nicht angepasste Geschwindigkeit an sich genügt für die Bejahung der groben Verkehrswidrigkeit nicht, da ihr als Tatbestandsmerkmal sonst keine eigene Bedeutung zukommen würde.
Es käme allerdings ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot während der Überholvorgänge in Betracht. Der Fahrer fuhr einen Großteil der Zeit auf dem linken Fahrstreifen, obwohl sich lediglich auf dem rechten Fahrstreifen weitere Kraftfahrzeuge befinden und folglich auf der Mittelspur hätte überholt werden müssen, §§ 2 Abs. 2, 5 Abs. 4 S. 5 StVO. Sind mehrere Fahrstreifen vorhanden, darf von diesem Gebot abgewichen werden, wenn die Verkehrsdichte dies rechtfertigt (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 StVO). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Legt man dieses Verhalten zum Nachteil von Radim P. aus, könnte man daraus folgern, dass ein reguläres Überholen auf der Mittelspur bei dieser Geschwindigkeit zu riskant wäre. Das lässt wiederum darauf schließen, dass die Geschwindigkeit im Zusammenhang mit einem Überholvorgang grob verkehrswidrig ist – und der Fahrer dies sogar erkannt hat. Dieser Verkehrswidrigkeit käme bei dem vorliegenden Gefährdungspotential, gemessen an insgesamt zehn überholten Kraftfahrzeugen und einer Fahrt um die 400 km/h für etwa eine Minute, zudem eine gewisse Erheblichkeit zu. Allerdings muss gem. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO auch ein ausreichender Seitenabstand zu den anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden, welcher bei einem Überholvorgang mit ca. 400 km/h wohl auch einige Meter mehr als im regulären Straßenverkehr betragen könnte.
Nahm der Fahrer ausreichend Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer?
Bezogen auf die nicht angepasste Geschwindigkeit müsste auf subjektiver Seite Rücksichtslosigkeit vorliegen. Nach dem BGH handelt rücksichtslos, "wer sich im Straßenverkehr aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen läßt" (BGH, Urt. v. 25.02. 1954, Az. 4 StR 796/). Das Bestreben, die Höchstgeschwindigkeit von 420 km/h eines Supersportwagens auf einer öffentlichen Straße erreichen zu wollen, spricht für sich gesehen für einen eigensüchtigen Grund.
Für ein den Umständen entsprechend rücksichtsvolles sowie gefahrminimierendes, und damit gerade nicht gleichgültiges, Verhalten, sprechen die offensichtlich gezielt gewählten Wetter-, Zeit- und Verkehrsbedingungen und ggf. das Überholen mit einem großen Abstand. Allerdings vermindern diese Aspekte das Maß der Rücksichtslosigkeit dieser Geschwindigkeitswahl in tatsächlicher Hinsicht, beseitigen sie aber nicht.
Letztlich bleibt der Ausgang des Ermittlungsverfahrens mit Spannung abzuwarten. Zudem kann bei einem solch geplant wirkenden und der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Verhalten die Frage gestellt werden, ob der Tscheche die Einsicht hatte, Unrecht zu tun und – falls nicht – inwieweit dieser Irrtum vermeidbar war, § 17 StGB. Glücklicherweise ist bei der rasanten Fahrt nochmal alles gut gegangen. Bei Geschwindigkeiten jenseits der 400 km/h genügt allerdings ein kleiner Fehler und die Frage nach der Strafbarkeit würde andere Ausmaße erreichen, was letztlich auch den Telos des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB widerspiegeln dürfte.
Der Autor Dipl.-Jur. Tim Nicklas Festerling ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie an der Georg-August-Universität Göttingen bei Prof. Dr. Katrin Höffler.
Mit mehr als 400 km/h auf der Autobahn: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47376 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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