Flüchtlingsunterkünfte: Ham­burg will Gewer­be­im­mo­bi­lien leichter sicher­stellen

von Anne-Christine Herr

25.09.2015

2/2: Nur Gewerbeimmobilien betroffen?

Ein umstrittener Punkt ist die Frage, welche Objekte von einer solchen Sicherstellung betroffen wären. Im Wortlaut des geplanten Gesetzes findet sich hierzu keine Einschränkung. Die Gesetzesbegründung weist jedoch darauf hin, die Suche sei insbesondere auf gewerbliche Hallen und ähnliche Gebäude ausgerichtet. Diese vage formulierte Beschränkung auf gewerbliche Immobilien kritisieren CDU und FDP, die dem Senat Täuschungsabsicht vorwerfen. 

Dem Vorwurf tritt Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) klar entgegen. Die Sicherstellung privater Wohnungen, die unter anderem von der Linken in der Vergangenheit ins Spiel gebracht worden war, lehnt er ab, wie seine Senatskanzlei erklärte. Auch nach der Gesetzesbegründung ist „eine solche kleinteilige Unterbringung sowieso nicht geeignet, die große Zahl zusätzlich nach Hamburg kommender Menschen innerhalb der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit vor Obdachlosigkeit zu bewahren." 

Umgehungsverbot, Duldungspflicht, Entschädigung und Befristung

Der neue § 14a umfasst auch eine Regelung, die Immobilieninhaber davon abhalten soll, die Sicherstellung des Gebäudes  zu vereiteln. So sei jedwede Nutzung, die zu diesem Zweck vereinbart wird, so zu behandeln, als wäre die Immobilie ungenutzt. Auf diese Weise sollen Scheinnutzungen ohne nennenswerten wirtschaftlichen Wert verhindert werden.  Die Behörde hätte nach dem Entwurf zudem das Recht, jede Immobilie betreten, um zu prüfen, ob sie für eine Nutzung in Frage käme.

Des Weiteren umfasst die neue Regelung eine Duldungspflicht der Eigentümer bzw. Besitzer, die es der zuständigen Behörde erlaubt, die in Anspruch genommenen Grundstücke, Gebäude oder Gebäudeteile baulich so umzugestalten, dass eine Unterbringung von Flüchtlingen möglich wird. Nur  in Ausnahmefällen können die in Anspruch Genommenen dagegen einwenden, dass die bauliche Umgestaltung unverhältnismäßig ist, etwa wenn das Gebäude aufgrund der baulichen Veränderungen nicht mehr bestimmungsgemäß genutzt werden kann.

Eine Klage bzw. ein Widerspruch gegen alle aufgrund des Gesetzes getroffenen Maßnahmen hätte aber keine aufschiebende Wirkung. Zumindest hätte der Eigentümer jedoch sowohl für die Nutzung an sich als auch für die Nachteile aufgrund einer baulichen Umgestaltung einen Anspruch auf eine "angemessene" Entschädigung. 

Unverhältnismäßiger Eingriff ins Privateigentum?

CDU-Fraktionschef André Trepoll kristisierte die Pläne als "massiven Angriff auf die Eigentumsrechte der Hamburger", der einem enteignungsähnlichen Eingriff gleiche. "Wir halten den Gesetzentwurf nach erster Einschätzung daher für verfassungsrechtlich äußerst bedenklich", erklärte Trepoll. Seine FDP-Kollegin Katja Suding wiederum sprach von "unvertretbaren Überschreitungen von roten Linien, wie sie das Grundgesetz definiert".

Auch den  Verfassern des Entwurfs ist klar, dass die Inanspruchnahme eines Nichtverantwortlichen einen schweren Eingriff in die Rechtsposition des Gebäudeinhabers darstellt. Sie sehen den Eingriff in Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) jedoch als verhältnismäßig und ohne enteignenden Charakter an, da er Ausfluss der Sozialbindung des Eigentums sei. Joachim Wieland von der Universität Speyer sieht das genauso. Die vom Gesetzgeber zu beachtende Privatnützigkeit des Eigentums habe dort ihre Grenzen, wo in einer besonderen Situation wie der aktuellen die Interessen der Allgemeinheit überwiegen.

Der Juraprofessor hält angesichts der detaillierten und plausiblen Begründung des Hamburger Senats die  Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des Gesetzes für gewahrt. In der Begründung heißt es, die Stadt nehme bereits alle gesetzlichen Möglichkeiten in Anspruch, um Unterkünfte unabhängig von baurechtlichen oder sonstigen Genehmigungsverfahren so schnell wie möglich aufzubauen und die drohende Obdachlosigkeit der Flüchtlinge zu verhindern.

Der angespannte Wohnungsmarkt biete kaum Möglichkeiten, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen, so der Senat zur Begründung des Gesetzentwurfs. Man greife derzeit auf Container, Zelte sowie sogar die Flure und Warteräume der Erstaufnahmeeinrichtung zurück, im Notfall müsse man die Asylbewerber vertrösten. Doch gerade in der Winterzeit müssten auch die Zelte geräumt und die dort Lebenden anderweitig untergebracht werden. Ein Teil der Flüchtlinge sei aufgrund ihrer langen, strapaziösen Flucht körperlich erschöpft und damit weniger widerstandsfähig, außerdem benötigten gerade Kranke, ältere Menschen, Kinder und Schwangere besonderen Schutz.

Oder das mildeste Mittel?

Für Öffentlich-Rechtler Wieland zeigt das "dass es einfach keine milderen Mittel mehr gibt, als die Voraussetzungen an eine Sicherstellung bei Privaten herabzusenken". Angesichts der zu erwartenden Gegenleistung sei dies auch zumutbar. Schließlich müsse die Behörde darüber hinaus in jedem Einzelfall die Verhältnismäßigkeit prüfen.

Damit die Eigentümer die Dauer ihrer Inanspruchnahme absehen können und um klarzustellen, dass es sich hier um eine besondere Gefahrenlage handelt, soll die Eingriffsermächtigung auf die Zeit bis zum 31. März 2017 begrenzt werden. Die Maßnahme dürfe auch bis dahin nur solange andauern, wie die Voraussetzungen für die Sicherstellung vorliegen.

Bislang ist jedoch nicht abzusehen, dass die Zahl der aus ihrem Heimatland Geflüchteten, die hierzulande Schutz suchen, in naher Zukunft sinken wird. Zudem sind die im Entwurf genannten Alternativen – die Nutzung geeigneter eigener Flächen und Immobilien sowie die Anmietung und Anpachtung privater Flächen und Immobilien zu angemessenen Bedingungen – offensichtlich erschöpft. Sollte das neue Gesetz in Kraft treten, ist es durchaus realistisch, dass die Hamburger Polizei - notfalls über 2017 hinaus – von den neuen Befugnissen Gebrauch machen wird.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Flüchtlingsunterkünfte: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17019 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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