Um dort Flüchtlinge unterbringen zu können, will Hamburg die Sicherstellung von Gewerbeimmobilien erleichtern. Zu Privatwohnungen bleibt der Gesetzentwurf vage. Die Opposition kritisiert einen massiven Eingriff ins Privateigentum.
Viele Kommunen stehen angesichts der hohen Zahl von täglich neu eintreffenden Flüchtlingen vor ernsthaften Problemen. Die Asylbewerber müssen nicht nur schnell untergebracht werden, sondern auch so, wie es die Genfer Flüchtlingskonvention und der grundgesetzliche staatliche Auftrag zum Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit verlangen - gerade angesichts der sinkenden Temperaturen. Insbesondere die Lage in dicht besiedelten Großstadtbereichen ist schwierig.
Als erstes Bundesland hat nun Hamburg den Entwurf "eines Gesetzes zur Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen" vorgestellt. Demnach soll ein neuer § 14a in das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG HH) eingefügt werden, dessen Ziel die "Sicherstellung privater Grundstücke und Gebäude oder Teile davon zum Zwecke der Flüchtlingsunterbringung" ist.
Dem rot-grünen Senat geht es nach eigenen Angaben darum, pragmatisch und schnell die gesetzliche Grundlage zu schaffen, um große leerstehende private Gewerbeimmobilien für Asylsuchende – gegen den Willen der Eigentümer – nutzbar zu machen.
Diese besondere Gefahrenabwehrmaßnahme ermögliche die zügige Unterbringung einer Vielzahl von Menschen in einer Notsituation, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Durchschnittlich meldeten sich an jedem Werktag 400-500 Personen allein in der Erstaufnahmeeinrichtung der Ausländerbehörde der Hansestadt. Und die derzeitige Dauer von Asylverfahren lasse nicht erwarten, dass viele der jetzt hier eintreffenden Flüchtlinge binnen weniger Monate die städtischen Unterkünfte verlassen würden. Nun gehen Hamburg die Unterbringungsmöglichkeiten aus.
In Berlin und Brandenburg sowie laut aktuellen Medienberichten nun auch in Niedersachsen diskutiert man entsprechende Regelungen, konkrete Schritte gibt es aber noch nicht.
Was geändert werden soll
Nach geltendem Recht ist es zwar auch schon, aber nur im Einzelfall und zeitlich begrenzt möglich, private Immobilien zu beschlagnahmen, um den langwierigen und umfangreichen Begründungsaufwand für eine Sicherstellung zu vermeiden. Gestützt wird das derzeit meist auf die polizeirechtliche Generalklausel und die Voraussetzungen der Inanspruchnahme von Dritten im Notstand. In Hamburg war man über die Standardermächtigung zur Sicherstellung von Sachen, §§ 14 iVm. 10 SOG HH vorgegangen, was jedoch den gleichen Prüfungsaufwand im Einzelfall erforderte.
Demgegenüber will der Hamburger Senat nun der zuständigen Behörde ermöglichen, leer stehende Gebäude oder Teile davon für Flüchtlinge ohne ausführliche Begründung im Einzelfall zu betreten, zu prüfen und schließlich sicherzustellen, wenn deren Eigentümer nicht kooperieren. Notfalls sollen sie auch bauliche Umgestaltungen ihrer Gebäude dulden müssen.
Sowohl für die Nutzung als auch für die baulichen Veränderungen stehen den Eigentümern Entschädigungsansprüche zu. Eine Klage bzw. ein Widerspruch gegen alle aufgrund des Gesetzes getroffenen Maßnahmen hätten aber keine aufschiebende Wirkung.
CDU und FDP äußerten bereits verfassungsrechtliche Bedenken an dem Entwurf. Das Gesetz soll dennoch im Oktober von der Bürgerschaft verabschiedet und zunächst bis Ende März 2017 befristet werden.
Wenn Eigentümer nicht freiwillig kooperieren, werden sie gezwungen
Der geplante § 14a SOG HH geht deutlich über den Rahmen des bisherigen einzelfallorientierten Vorgehens auf Grundlage des polizeilichen Notstands, §§ 14 iVm. 10 SOG HH, hinaus. Während nach bisheriger Gesetzeslage Unbeteiligte nur in Anspruch genommen werden können, um einer "unmittelbar bevorstehenden Gefahr" zu begegnen, reichen in der geplanten Norm bereits "bevorstehende Gefahren" aus.
Die bisherigen Vorschriften erlauben ein Eingreifen, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann, sehen die Inanspruchnahme Dritter unter allen denkbaren Erwägungen also als Ultima Ratio vor. Die neue Regelung gibt der Behörde ein weites Ermessen, leerstehende Gebäude sicherzustellen, wenn die vorhandenen Plätze nicht ausreichen. Damit behält sie zwar den Ultima-Ratio-Charakter bei, erleichtert den Behörden aber mit einem konkreten Prüfungskatalog für die Begründung der Maßnahme die Argumentation.
Die Möglichkeit einer Sicherstellung soll zwar nur für die Fälle eröffnet werden, "in denen eine kooperative Zusammenarbeit nicht möglich ist", so die Begründung. Auch Innenstaatsrat Bernd Krösser versicherte, dass die Stadt weiterhin diesbezügliche Anstrengungen unternehme. In der Gesetzesbegründung wird aber deutlich, dass diese angekündigten vorherigen Verhandlungen "auf das notwendige Maß beschränkt" würden. Im Zweifel habe die sofortige Inanspruchnahme nach dieser Vorschrift Vorrang vor Verhandlungen mit ungewissem Ausgang.
Der Blick in die Gesetzesbegründung offenbart auch die bisherigen Erfahrungen der Behörden mit den Eigentümern: Die zuständigen Behörden hätten in ihrer Suche seit August einige leer stehende und geeignete Gewerbehallen und ähnliche Gebäude gefunden. Doch Anfragen hätten ergeben, "dass die Bereitschaft zur Bereitstellung solcher Objekte für die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft nur in einem geringen Umfang vorhanden ist".
Anne-Christine Herr, Flüchtlingsunterkünfte: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17019 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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