Nach Hamas-Verbot durch das BMI: "From the River to the Sea" plötz­lich strafbar?

von Dr. Max Kolter

15.11.2023

Bislang war die Strafbarkeit der Parole eine Frage des Einzelfalls. Durch einen Halbsatz in der Hamas-Verbotsverfügung des Innenministeriums könnte der Spruch nun schlagartig strafbar geworden sein – pauschal und ohne jede Auslegung.

Vom Fluss bis zum Meer erstreckt sich der Staat Israel. Das ist eine wahre Tatsachenbehauptung, mit dem Fluss ist der Jordan gemeint, mit dem Meer das Mittelmeer. Macht sich strafbar, wer diesen Satz öffentlich äußert, weil er damit eine Parole der Hamas reproduziert? Das erscheint absurd, könnte aber so sein. Jedenfalls wenn man das Verbot der Hamas durch das Bundesinnenministeriums (BMI) vom 2. November und die seit Freitag nach und nach bekanntwerdenden Einschätzungen einiger Generalstaatsanwaltschaften zugrunde legt.

Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) am Freitag berichtete, findet sich in der Verbotsverfügung der Hamas in Deutschland vom 2. November relativ versteckt auch ein Verbot der Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free" – in der Verfügung allerdings auf den ersten Teil verkürzt: Verboten sei bereits "die Parole 'Vom Fluss bis zum Meer' (auf Deutsch oder anderen Sprachen)".

Damit setzt das BMI zeitgleich mit dem Vereinsverbot auch § 9 Vereinsgesetz um, wonach Kennzeichen, Fahnen und Parolen verbotener Vereine nicht verwendet werden dürfen. Das soll wohl vor allem Klarheit für Versammlungsbehörden schaffen, die entsprechende Äußerungen per Auflage auf dieser Grundlage nun präventiv untersagen und ggf. Schilder auf Demos einkassieren können. Doch auch einige Staatsanwaltschaften sehen sich nach der BMI-Verfügung in der Verantwortung, die Parole strafrechtlich zu verfolgen.

Strafbarkeit der Parole war bislang eine Frage des Einzelfalls 

Bisher wird der Ruf "From the River to the Sea, Palestine will be free" für sich genommen oft nicht für strafbar gehalten. Das liegt daran, dass der Bedeutungsgehalt der Parole umstritten ist und die Strafgerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet sind, bei mehrdeutigen Äußerungen die straflosen Deutungsmöglichkeiten zugrunde zu legen, wenn sie diese nicht aus anderen Gründen im Einzelfall ausschließen können.

Weithin gilt die Parole als anti-israelisch, viele halten sie auch für antisemitisch. Das ergibt sich aber jedenfalls nicht aus dem Wortlaut des ersten Teilsatzes ("From the River to the Sea"), denn dieser enthält nur eine geografische Beschreibung. Vielmehr ist es der zum Ausdruck kommende Wunsch einer "Befreiung" Palästinas ("Palestine will be free") auf dem Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer, der als Aufforderung zu einer gewaltsamen Beseitigung des Staates Israels verstanden werden kann. Bei diesem Verständnis kann in der Parole eine Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) gesehen werden. So etwa im Fall einer unangemeldeten Samidoun-Demo vom 7. Oktober in Berlin, Stunden nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Hier ergibt sich aus der zeitlichen Nähe des Angriffs und den Begleitumständen, dass die skandierenden Personen die Hamas-Verbrechen – Mord, Geiselnahme und Kriegsverbrechen – guthießen.

In anderem Kontext oder bei alleiniger Betrachtung des Wortlautes kann die Parole allerdings auch die Hoffnung ausdrücken, auf diplomatischem Weg auf eine Ein- oder Zweistaatenlösung auf dem Territorium der Region Palästina in den Grenzen des heutigen Staates Israel hinzuwirken. Dann wäre sie nicht nach § 140 StGB strafbar.

Eine Volksverhetzung scheidet bei mündlichen Äußerungen (§ 130 Abs. 1 StGB) in der Regel aus, weil sie sich nicht eindeutig gegen in Deutschland lebende Israelis oder Juden richtet. Wird die Äußerung schriftlich oder – wie im Fall des Fußballspielers Anwar El Ghazi – in den Sozialen Medien verbreitet, könnte sie nach § 130 Abs. 2 StGB strafbar sein. Allerdings muss sich auch die Aussage gegen bestimmte Personen oder Bevölkerungsteile richten, was bei einer Parole, die Israelis oder Juden nicht erwähnt, ebenfalls von den Begleitumständen abhängt.

Schafft das vom BMI verfügte Vereins- und Parolenverbot jetzt Klarheit? Folgt die Strafbarkeit nun unmittelbar aus der BMI-Verfügung?

Äußerung wie Hakenkreuze und NS-Formeln strafbar? 

Die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) München fühlt sich jedenfalls dazu berufen, die Äußerung der Parole konsequent nach § 86a StGB zu ahnden. Die Generalstaatsanwaltschaften in Saarbrücken, Jena und Dresden haben sich der Münchner Einschätzung inzwischen angeschlossen. § 86a StGB sanktioniert das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Danach strafbar sind Hakenkreuze, der "Hitlergruß" und andere NS-Formeln.

In Sachsen-Anhalt sieht man das anders: Die Parole könne einen Anfangsverdacht der Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) begründen, zu berücksichtigen blieben aber immer die Umstände des Einzelfalls, so der Sprecher der GStA Naumburg, Oberstaatsanwalt Klaus Tewes, gegenüber LTO. Aus der BMI-Verfügung ergebe sich nicht unmittelbar, dass die Verwendung der Parole ab jetzt gemäß § 86a StGB strafbar ist.

Ein Automatismus ist die Strafbarkeit in der Tat nicht: Zwar ist die Hamas in Deutschland verboten und in der EU als Terrororganisation eingestuft. Ein Kennzeichen der Hamas öffentlich zu verwenden, ist nach § 86a Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB (bestandskräftig verbotener Verein) oder i.V.m. § 86 Abs. 2 StGB (Verein auf "EU-Terrorliste") strafbar. Die Entscheidungen von BMI und EU eröffnen also die Möglichkeit einer Strafbarkeit nach §§ 86, 86a StGB. Die Strafgerichte sind jedoch nicht an die BMI-Einschätzung gebunden, "From the River to the Sea" als Parole der Hamas einzustufen.

Das heißt: Das Vereinsverbot überprüfen die Strafgerichte nicht, die Zuordnung einer Parole zum Verein dagegen schon. Die GStA Saarbrücken verweist auf LTO-Anfrage darauf, dass die Einschätzung des BMI in der Rechtsprechung als Indiz für die Verbindung zwischen Organisation und Kennzeichen anerkannt sei. Auch in München und Jena hält man die BMI-Auffassung für überzeugend, die Parole sei fest mit der Hamas verbunden.

Ist die Parole eine solche der Hamas? 

Ob die Gerichte das genauso sehen, ist wenigstens zweifelhaft: Die Parole hat sich die Hamas nicht ausgedacht. Sie geht zurück auf die 60er Jahre, bereits die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) verwendete sie. Das spricht nicht unbedingt gegen eine gewaltfreie Interpretation, aber doch zunächst dagegen, der Spruch sei ein Kennzeichen der Hamas – und nur darauf kommt es bei §§ 86, 86a StGB an. Zwar verwendet die Hamas den Slogan mittlerweile in ihrer Satzung. Aber reicht das aus, wenn und solange auch andere Palästinenserorganisationen und Einzelpersonen sie in friedlicher Absicht verwenden?

Nach Auffassung der GStA Saarbrücken schon: Sprecher Mario Krah verweist gegenüber LTO auf obergerichtliche Rechtsprechung, wonach für die Zuordnung von Kennzeichen zu einer Organisation relevant sei, ob sich diese das Zeichen "durch eine Übung oder einen formalen Autorisierungsakt zu Eigen gemacht hat". Ob das Logo oder die Parole auch der Öffentlichkeit als eine(s) der verbotenen Organisation bekannt ist, spiele keine Rolle.

Strafrechtsprofessor Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt, der zugleich Richter am dortigen OLG ist, hält diese Einschätzung für vertretbar. "Am Ende müssen das aber unabhängige Strafgerichte für jeden Einzelfall entscheiden."

Ist das BMI-Verbot bestimmt genug?

Er hält die Formulierung in der BMI-Verbotsverfügung – "'Vom Fluss bis zum Meer' (auf Deutsch oder anderen Sprachen)" – jedoch für zu unbestimmt. "Weil die öffentliche Äußerung der Parole bereits den objektiven Tatbestand erfüllt, gelten für die Bestimmtheit nach dem Bundesverfassungsgericht besonders hohe Anforderungen. Es ist nicht verständlich, warum diese wichtige Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums so nachlässig formuliert ist", so Jahn.

So stellt sich die Frage: Sind alle Sätze, die den ersten Bestandteil der Parole enthalten, automatisch verboten? Also beispielsweise auch die Aussage, zwischen Fluss und Meer liege nur der Staat Israel, die in den USA vermehrt als provokanter Konter gegen die propalästinensische Version verwendet wird? Und der ursprünglich in der Gründungscharta von Benjamin Netanjahus Likud-Partei zu findende Satz "between the Sea and the Jordan there will only be Israeli sovereignty"?

Man könnte sogar noch weitergehen, denn aus dem Wortlaut der BMI-Verfügung ergibt sich nicht einmal klar, dass Jordan und Mittelmeer gemeint sind. Klar ergibt sich aus dem Kontext, ob die Aussage eine propalästinensische oder eine proisraelische ist oder ob es um eine ganz andere Region geht. Doch die Pointe der Anwendung der §§ 86, 86a StGB ist gerade, dass keine Auslegung stattfindet, sondern die Parole für sich als Kennzeichen einer verbotenen oder terroristischen Vereinigung eingestuft wird. Dafür muss die Formulierung klar und eindeutig sein. Hinsichtlich einer proisraelischen Variante könnte man nach Auffassung von Jahn womöglich die Straflosigkeit begründen, indem man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anwendet, wonach zum Beispiel ein durchgestrichenes Symbol, das in inhaltlich ablehnender Absicht verwendet wird, nicht den Tatbestand erfülle.

Doch eine Frage des Einzelfalls

Selbst wenn man davon ausgeht, dass schon die öffentliche Äußerung "Vom Fluss bis zum Meer" per se den objektiven Tatbestand des § 86a StGB erfüllt, stellt sich die nächste Grundsatzfrage – und zwar die nach dem Vorsatz im Einzelfall. Dieser muss sich nämlich auch auf die Zuordnung der Parole zur Hamas beziehen. Wenn es für die objektive Zuordnung tatsächlich egal sein soll, ob die Parole der Öffentlichkeit als solche der Hamas bekannt ist, lässt sich dagegen ein Vorsatz im Einzelfall nicht ohne konkrete Anhaltspunkte bejahen.

Ein pauschaler Hinweis auf das im Bundesanzeiger publizierte BMI-Verbot reicht sicherlich nicht. Schließlich nimmt dies nicht jeder zur Kenntnis. Gleiches gilt für die Medienberichterstattung über das Thema. Außerdem können Personen, die kein Deutsch sprechen und die "vom Fluss bis zum Meer" in anderen Sprachen rufen, nicht auf eine deutschsprachige Verbotsverfügung oder deutsche Medienberichte verwiesen werden. "Auch hier müssen Strafgerichte den Einzelfall sorgfältig aufklären und dann die Beweislage würdigen. Das ist aufwendig, aber rechtstaatlich unverzichtbar", so Jahn.

Damit kommt es also weiterhin auf die erkennbare Intention und die Begleitumstände der Äußerung an. Strafrechtliche Klarheit bringt die Zuordnung der Parole zur Hamas durch das BMI eher nicht. Klar ist bisher nur: Auf die Amtsgerichte in Bayern, Thüringen, Sachsen und im Saarland kommt künftig mehr Arbeit zu.

Zitiervorschlag

Nach Hamas-Verbot durch das BMI: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53173 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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