Staatstrojaner, Datenauswertung, Verschärfung der Polizeigesetze: Der aktuelle Grundrechte-Report sammelt Beispiele aus Deutschland, die aus grundrechtlicher Sicht gefährlich sind. Auch diverse Verfassungsprinzipien sind betroffen.
Böswillig kann man die monierten Entwicklungen als übertriebene Dramatik von Links interpretieren – immerhin wird der Grundrechte-Report von Organisationen wie der Humanistischen Union, Pro Asyl, der Neuen Richtervereinigung u.a. zusammengestellt. Doch das wäre zu einfach und träfe nicht den Punkt: In der aktuellen Auflage stellen die Bürger- und Menschenrechtsorganisationen auf 182 Seiten zusammen, welche Grundrechte oder Verfassungsprinzipien im Jahr 2018 in Deutschland verletzt oder bedroht waren.
In dem Bericht finden sich etwa auch das Egenberger- und das Chefarzt-Verfahren gegen Diakonie bzw. Caritas wegen Diskriminierung aufgrund der Religion und damit die Frage nach der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen als Arbeitgeber wieder.
Ebenso musste der Umgang mit Rechtsanwälten Eingang finden in den Bericht: So steht der Anwalt Engin Sanli nur stellvertretend für die Anwälte im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts, die sich im vergangenen Jahr als Teil der "Anti-Abschiebe-Industrie" bezeichnen lassen mussten. "Das Grundrecht auf ein faires Verfahren gilt für alle Menschen gleich. Dies sollte von Politikern öffentlich verteidigt werden. Stimmen sie stattdessen in den Chor der Hetzenden und Menschenverachtenden ein und führen ihn gar an, stellen sie damit die Demokratie in diesem Lande in ihren Grundfesten in Frage", sagt Sanli. Er hatte sich als Anwalt für den Mann aus Togo eingesetzt, der sich in Ellwangen massiv gegen seine Abschiebung wehrte und hatte in der Folge Hass- und Drohbriefe erhalten.
Trend: Abstrakte Bedrohung statt Gefährdung ausreichend
Zum Dauerbrenner avanciert indes das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm Art. 1 GG, unter das auch mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung die persönlichen Daten fallen. So hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) inzwischen seit August 2017 eine Kopie jeglicher Daten der verfassten Studierendenschaft (VS) Freiburg – also von über 25.000 Studenten inklusive Adressen, Wahlverzeichnissen, Studienfächern und Semesterzahl. Wie es dazu kommen konnte? Im Rahmen des Vereinsverbotes gegen linksunten.indymedia wird auch gegen einen früheren Mitarbeiter der VS ermittelt, bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurde der entsprechende Datenträger beschlagnahmt. Der ging zwar später an die VS zurück, eine Kopie behielten die Behörden jedoch. Begründung: Es könne "nicht ausgeschlossen" werden, dass sich für das Verbotsverfahren relevante Daten auf dem Datenträger befinden. Da fragen sich die Autoren des Grundrechte-Reports, ob ein solches "nicht ausschließen können" für eine Auswertung der Daten wirklich reichen darf.
Die Verfasser sehen zwei wesentliche Problemkreise hinsichtlich des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung: Die Weitergabe der Daten durch das Landeskriminalamt an das BfV trotz des bestehenden verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes von Polizei und Geheimdiensten auf der einen Seite und auf der anderen den Trend, dass "für immer mehr behördliche Eingriffsbefugnisse bereits abstrakte Bedrohungslagen und nicht erst konkrete Gefahrenlagen" ausreichten. Ein deutsches Beispiel für diese Entwicklung sei auch in der Verschärfung der Polizeigesetze – konkret benannt das baden-württembergische – zu sehen.
Minderjährige bei der Bundeswehr
Ein anderer Trend ist indes rückläufig – nämlich der, dass Minderjährige von der Bundeswehr rekrutiert werden. Nach Art. 12a Abs. 1 GG können Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden. Von dieser Regelung gibt es jedoch eine Ausnahme, auf die sich aktuelle und frühere Bundesregierungen berufen. Die steht im Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OPAC), heißt es im Grundrechte-Report. Dort ist einerseits die Einziehung zum Militärdienst und Teilnahme an Feindseligkeiten auf 18 Jahre festgelegt und andererseits die Selbstverpflichtung der Unterzeichnerstaaten, das Mindestalter für die freiwillige Verpflichtung auf 15 Jahre anzuheben. Daraus, so die Argumentation, ergebe sich, dass auch Minderjährige bei der Bundeswehr tätig sein dürften.
Die UN-Kinderrechtskonvention (CRC) allerdings definiere alle Menschen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Kinder, weswegen die Praxis der Bundeswehr, auch Minderjährige zu rekrutieren, gegen die CRC verstoße, so die Verfasser des Grundrechte-Reports. Problematisch sei, dass Minderjährige Rekruten behandelt würden wie Volljährige, es gebe keine getrennte Unterbringung und sie würden genauso an der Waffe ausgebildet.
Bereits Anfang 2016 habe die Kinderkommission des Deutschen Bundestages, in dem je ein Mitglied aller Fraktionen vertreten ist, einstimmig empfohlen, die Rekrutierung Minderjähriger zu stoppen. Die Bundeswehr ergreife aber derweil immer noch Werbemaßnahmen wie Besuche von Kindergartengruppen und gezielte Werbung in Jugendmagazinen. Immerhin: Die Zahl minderjähriger Rekruten in 2018 ist laut dem Grundrechte-Report erstmals seit dem Jahr 2011 (damals 689) nach einem jahrelangen Anstieg der Zahlen im vergangenen Jahr auf 1679 gesunken.
Ignoranz von Fahrverboten und Parität
Weitere soziale und ökologische Themen erhalten im Grundrechte-Report einen Platz: Die rechtlich verfügten Fahrverbote von Dieselfahrzeugen zur Einhaltung von Grenzwerten für den Ausstoß von Stickstoffdioxid wurden von der Landesregierung Bayern beispielsweise schlicht ignoriert, was die Verfasser kräftig kritisieren.
Doch auch die Rolle des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im "Glyphosat-Skandal" wird moniert, die Diskussion um Kohleausstieg und Klimaschutz finden ebenso Beachtung wie die Verbindung von Armut und Ersatzfreiheitsstrafe: Die Anordnung von Haft bei Nichtbegleichung einer Geldstrafe für geringe Vergehen betrifft in hohem Maße Menschen am Rande des Existenzminimums, so der Bericht.
Anlässlich des hundertsten Jubiläums des Frauenwahlrechts im vergangenen Jahr weist der Report auf die geringe parlamentarische Repräsentation von Frauen hin, gleichzeitig stellt er die bisher "unbefriedigenden rechtlichen Bemühungen um eine geschlechtergerechte Sprache" auf dem Prüfstand.
Der Rechtsanwalt und Politiker Dr. Gregor Gysi stellt den Grundrechte-Report am Donnerstag in Karlsruhe vor und ist Autor des Einleitungsartikels zu "70 Jahre Grundgesetz". Dort schreibt er: "Das Grundgesetz braucht auch 2019 den Grundrechte-Report, der mit einer Vielzahl von Beispielen, wie in unserem Land verfassungsmäßige Grundrechte missachtet und eingeschränkt werden, mahnt, nicht nachzulassen im Einsatz für deren Schutz und Verteidigung".
Grundrechte-Report 2019: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35549 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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