Auch in diesem Jahr hält der Grundrechte-Report der Republik den Spiegel in puncto Bürger- und Menschenrechte vor. Schwerpunkt 2018: Die Einschränkungen von Freiheitsrechten und überbordende Überwachung.
In der Bürger- und Menschenrechtsszene ist er jährliches Highlight und seit 1997 bereits gute Tradition: Der Grundrechte-Report. Herausgegeben von der Humanistischen Union und weiteren Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, analysiert er Grundrechtsverletzungen und -gefährdungen des vergangenen Jahres. Kritisch wird staatliches Handeln in diesem Jahr in 45 Beiträgen unter die Lupe genommen.
Und auch im 22. Report, der am Dienstag in Karlsruhe vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck vorgestellt wurde, ist die Mängelliste lang: Verkürzung sozialer Grundrechte und Diskriminierung, den Ausbau des Überwachungsstaates und IT-Unsicherheit sowie Eingriffe in die Meinungs-und Demonstrationsfreiheit. Verzeichnet sind aber auch einige – wenn auch wenige - Verbesserungen.
Die Herausgeber des Grundrechte-Reports 2018 stellen gleich zu Beginn klar, wer in Deutschland die wahre Bedrohung für den Rechtsstaat darstellt: "Der Staat und seine Institutionen." Keine rechts- oder linksextremistische Partei, kein nationalistischer oder rassistischer Zusammenschluss, keine islamistische Organisation und kein Terrorattentäter könnten den Staat und die freiheitliche demokratische Ordnung erschüttern, meinen die Herausgeber. "Sie mögen zum Teil schlimme Straftaten begangen haben –ja fürwahr, aber sie stellen keine Gefährdung unseres demokratischen Rechtsstaats dar", heißt es im Vorwort.
"Sukzessive Entrechtung von Asybewerbern und anerkannten Flüchtlingen"
Wer allerdings aus Sicht der Report-Herausgeber die Grundrechte und den Rechtsstaat immer wieder gefährde, sei der der Staat mit seinen Institutionen. Und das sei auch "wenig verwunderlich, da wir seit Montesquieu wissen, dass Macht dazu neigt, sich auszubreiten, ihre verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Grenzen zu überschreiten". Ein Beleg dafür sei auch, dass kein Jahr vergehe, "in dem nicht das BVerfG ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ganz oder in Teilen für verfassungswidrig und nichtig erklären muss".
Im Gespräch mit LTO über die Lage der Bürger- und Menschenrechte zeichnet auch Volker Beck ein düsteres Bild: "Im Bereich der Informationstechnologien gibt es weithingehend unbemerkt oder unverstanden gefährliche Entwicklungen, gegen die sich dringend eine stärkere bürgerrechtliche Bewegung wenden muss." Der ehemalige Menschenrechtsexperte der Grünen beklagt "unzureichende Datenschutzregelungen und die bedenkenlose Sammelwut mit neuen Technologien wie Gesichtserkennung und Errichtung einer biometrischen Verbunddatei". Diese seien Anschläge auf die Freiheit und informationelle Selbstbestimmung der Bürger. Weiter kritisierte der ehemalige Bundestagsabgeordnete auch "eine sukzessive Entrechtung von Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen seit 2015".
Beck nennt allerdings auch einige Lichtblicke. Immerhin hätten Gesetzgeber und die Gerichte die Menschenrechte diskriminierter Minderheiten anerkannt: Bei der Ehe für alle, der Rehabilitierung der verurteilten Homosexuellen und der Anerkennung der dritten Option für den personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag.
"Salami-Taktik zur Vollüberwachung"
Schwerpunkt des diesjährigen Reports, den die Herausgeber als den "wahren Verfassungsschutzbericht" bezeichnen, sind die Einschränkungen von Freiheitsrechten und die überbordende Überwachung. So kritisiert die Pariser Rechtsanwältin Dorothee Wildt in ihrem Beitrag, dass trotz eines eindeutigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Unzulässigkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung der nationale Gesetzgeber das deutsche Gesetz nicht aufhebt, sondern daran festhält. Allerdings: Deutschland ist, was die Missachtung der durch den EuGH aufgestellten Kriterien einer zulässigen anlassbezogenen Vorratsdatenspeicherung angeht, nicht allein: "Eine Auswertung der Bürgerrechtsorganisation Privacy International belegt, dass in keinem der geprüften 21 EU-Staaten die Regelungen den EuGH-Kriterien entsprechen", so die Anwältin.
Fredrik Roggan, Professor für Strafrecht an der Hochschule der Polizei von Brandenburg, weist im Report auf die Verfassungswidrigkeit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Staatstrojaner) und der Online-Durchsuchung hin: "Mit der Online-Durchsuchung verschaffen sich die Ermittler vollständige Einsicht in die elektronische Kommunikation eines Menschen und seine Aufenthaltsorte. Angesichts der Allgegenwärtigkeit von Smartphones und ihrem Dauergebrauch durch viele Nutzer lässt sich im Falle des Hackens einer solchen Überwachungsstation mit Telefonfunktion fast alles über eine ausgespähte Person erfahren. Dabei reichen die hierdurch zu erlangenden Erkenntnisse noch viel weiter als bei einem Lauschangriff auf eine Privatwohnung."
Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar beklagt in dem Report den unkontrollierten Zugriff u.a. der Nachrichtendienste auf die biometrischen Verbunddateien anderer Behörden und beschreibt eine "Salamitaktik zur Vollüberwachung": Die Möglichkeit zur beschleunigten Bearbeitung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, mit der 2007 die Einrichtung von Online-Abrufmöglichkeiten aus den Pass-und Ausweisregistern gerechtfertigt worden war, erweise sich im Nachhinein als ein Türöffner zur virtuellen Zusammenschaltung der verteilten biometrischen Datenbestände für alle erdenklichen Zwecke. Wieder einmal zeige sich, dass bei der Einrichtung von Verfahren gegebene datenschutzrechtliche Zusicherungen eine kurze Halbwertzeit aufweisen, wenn die entsprechenden technischen Möglichkeiten erst einmal vorhanden sind.
Diesel-Skandal: Lob für die Verwaltungsgerichte
Mehrere Autoren des Reports befassen sich mit den Eingriffen gegen den schwammigen Begriff des "Gefährders". Jurastudent Benjamin Gremmelspacher etwa schildert die rechtswidrige Überwachung des Freiburger Anwalts Moos durch den Verfassungsschutz. Der Journalist Heiner Busch stellt in seinem Beitrag fest, dass im Jahr 2017 die Statistik der polizeilichen Todesschüsse eine Höchstzahl seit 1999 ausweist.
Doch auch zahlreiche Themen außerhalb des Sicherheits- und Überwachungsbereichs werden behandelt. Rechtsanwältin Jacqueline Neumann vom Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) fordert anlässlich eines Münsteraner Urteils die überfällige Abschaffung des Gotteslästerungsparagrafen im Strafgesetzbuch. Personen und Personengruppen seien in Deutschland hinreichend per Gesetz geschützt, u.a. bei Beleidigung (§185StGB), übler Nachrede (§186 StGB), Verleumdung (§187StGB) und Volksverhetzung (§130 StGB).
Fehlen darf im neuen Grundrechte-Report natürlich auch nicht das Thema § 219a StGB: Die Verurteilung der Medizinerin Kristina Hänel wird in einem Beitrag von Prof. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, behandelt. Sie fordert die Abschaffung oder Reform des § 219a StGB, der es Ärzten verbietet, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, ob sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Volker Beck hat angesichts der vertrackten Diskussionslage zu diesem Thema in der Koaltion "einen Vorschlag zur Güte" parat: "Frauenärztinnen wie Kristina Hänel dürfen nicht mehr bestraft werden." In der Vorschrift müsse klargestellt werden, dass der aktuelle Absatz 1 nicht für sachliche Informationen über den Schwangerschaftsabbruch und Hinweise auf Ärzte oder Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche nach § 218 a StGB ausführen, gelte, so Beck zur LTO. So könne man die Strafbarkeit für ärztliche Informationen vollständig kippen und den Befürchtungen derer, die eine Gesetzesänderung ablehnen, entgegenkommen.
Schließlich befasst sich der Grundrechte-Report auch mit dem das Jahr 2017 beherrschenden Diesel-Skandal: Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Remo Klinger, beschreibt angesichts der "Untätigkeit der Bundesregierung" eine "ungeschriebene Bereichsausnahme für die Automobilität" und fordert die Schutzpflicht des Staates nach Art. 20 a GG zum Schutz der Umwelt ein. Voll des Lobes ist der Umweltrechtler für die Verwaltungsgerichte: "Die meisten zu den Fragen der Luftreinhaltung durchgeführten mündlichen Verhandlungen waren ein Segen, da sie den hohen Stellenwert des Umwelt-und Gesundheitsschutzes betonten und unnötige Ausreden nicht länger akzeptierten. Die danach gesprochenen Urteile setzten dies in –zumeist– großer Klarheit um. Es bleibt zu hoffen, dass Artikel 20a GG zumindest in den Gerichten weiterhin einen starken Fürsprecher findet."
Hasso Suliak, Grundrechte-Report 2018: . In: Legal Tribune Online, 30.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28885 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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