Das neue "Maßnahmegesetzvorbereitungsgesetz" ist verfassungs- und unionsrechtswidrig. Als weiteres "failed law" aus dem BMVI wird es die Infrastrukturentwicklung in Deutschland erneut eher hemmen denn beschleunigen, meint Bernhard W. Wegener.
Am 31. Januar 2020 hat der Bundestag das sog. "Maßnahmegesetzvorbereitungsgesetz" (MGVG) angenommen. Vergangenen Freitag hat der Bundesrat trotz der sehr entschieden vorgebrachten rechtlichen und fachlichen Bedenken seines eigenen Umweltausschusses auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtet und das Gesetz damit passieren lassen. Das schon in seiner sprachlichen Bezeichnung verunglückte Gesetz ist inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Es verstößt gegen Verfassungs- und Unionsrecht.
Das MGVG schafft die Grundlage für eine Genehmigung bestimmter Infrastrukturprojekte unmittelbar durch Gesetz. Durch nachfolgende Maßnahmegesetze soll die bislang erforderliche administrative Planfeststellung ersetzt werden. Die Bundesregierung verspricht sich von dieser neuen Form der Projektgenehmigung eine beschleunigte Umsetzung der Vorhaben.
Kein effektiver Rechtsschutz
Gegen die Projektgenehmigung durch Gesetz ist kein Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten zu erlangen. Nur in Ausnahmefällen kann gegen die Maßnahmegesetze mit der Verfassungsbeschwerde vorgegangen werden. In diesen Ausnahmefällen ist die inhaltliche Prüfung auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt. Eine vollständige fachgerichtliche Prüfung findet nicht mehr statt. Diese Rechtsschutzverkürzung ist erklärtes Ziel der Maßnahmegesetzgebung. Sie macht ihren eigentlichen Kern aus.
Die Maßnahmegesetzgebung ist verfassungswidrig. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Vergangenheit eine entsprechende Praxis in einem Einzelfall für zulässig erachtet. Diese vielfach kritisierte Entscheidung "Südumfahrung Stendal" stammt aus dem Jahr 1996 und war ersichtlich an den Erfordernissen der Infrastrukturertüchtigung nach der Wiedervereinigung orientiert.
Das BVerfG hat schon seinerzeit den Ausnahmecharakter der Legalplanung betont. In jüngeren Entscheidungen hat es die Bedeutung der Gewaltenteilung und der aus ihr folgenden verfassungsrechtlichen Verantwortung der Exekutive für Einzelfallentscheidungen mehrfach betont. Das BVerfG hat dabei insbesondere auf die Bedeutung dieser Zuordnung für den fachgerichtlichen Rechtsschutz hingewiesen.
Verstoß gegen Völker- und Unionsrecht
Die Abschaffung des fachgerichtlichen Rechtsschutzes ist zudem mit völker- und unionsrechtlich zwingenden Vorgaben nicht zu vereinbaren. Nach der für Deutschland ebenso wie für die Europäische Union verbindlichen Aarhus Konvention müssen Entscheidungen über umweltrelevante Vorhaben zum Gegenstand einer gerichtlichen Prüfung gemacht werden können. Eine solche gerichtliche Prüfung muss eine Kontrolle der materiellen und formellen Rechtmäßigkeit der Vorhaben in einem umfassenden Sinne ermöglichen. Die Rechtsschutzverkürzung auf einen bloß verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz genügt diesen zwingenden Vorgaben nicht.
Zur Rechtfertigung kann sich die Bundesregierung auch nicht auf die von ihr geltend gemachte vermeintliche Ausnahme für Projektgenehmigungen durch Gesetz stützen. Zwar gelten die Vorgaben der Aarhus Konvention oft nur für das Handeln von Behörden. Auch betrachtet die Konvention "Gremien oder Einrichtungen, die in […] gesetzgebender Eigenschaft handeln" ausdrücklich nicht als Behörden. Für die Einordnung eines Handelns "in gesetzgebender Eigenschaft" kommt es nach der Entscheidungspraxis des zur Auslegung der Konvention berufenen Aarhus Convention Compliance Committees (ACCC) aber nicht auf die äußere Form des entsprechenden Rechtsaktes oder auf die Bezeichnung einer Maßnahme an. Nach dieser Entscheidungspraxis ist vielmehr auf eine inhaltliche, materielle Betrachtung abzustellen, um zu entscheiden, ob eine Maßnahme als Handeln in gesetzgebender oder in administrativer Eigenschaft einzustufen ist.
In Anwendung dieser Maßstäbe hat das ACCC in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2013 zum "Crossrail Act" eine durch parlamentarische Gesetzgebung erfolgte Genehmigung eines Eisenbahninfrastrukturvorhabens in England ungeachtet ihrer äußeren Einkleidung in ein Parlamentsgesetz als administrative Projektgenehmigung eingestuft. Es hat sie deshalb als von den Vorschriften der Aarhus Konvention über das Genehmigungsverfahren erfasst angesehen. Ausdrücklich hat das ACCC dabei auch hervorgehoben, dass diese Einstufung eine ungeschmälerte Anwendung auch der Vorgaben für den fachgerichtlichen Rechtsschutz nach sich zieht. Den Vertragsstaaten der Aarhus Konvention ist es danach verwehrt, sich durch eine Projektgenehmigung durch Gesetz den Rechtsschutzgarantien der Konvention zu entziehen. Bemerkenswerterweise setzt sich der Gesetzentwurf der Bundesregierung in seiner Begründung mit dieser Entscheidungspraxis des ACCC nicht auseinander.
Kopfloses Anrennen gegen EU-Recht
Auch unionsrechtlich ist der Ausschluss des Verwaltungsrechtsschutzes für die Infrastrukturgenehmigungen durch Maßnahmegesetze nicht zu rechtfertigen. Zwar erlaubt die Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) den Mitgliedstaaten, Projekte, die durch Gesetzgebungsakt zugelassen werden, von den Bestimmungen dieser Richtlinie auszunehmen. Dies gilt aber nach der 2014 gerade an diesem Punkt deutlich eingeschränkten Fassung der Richtlinie nur für die Bestimmungen, "die sich auf die Beteiligung der Öffentlichkeit beziehen". Und auch dann nur, wenn auch insoweit "die Ziele dieser Richtlinie verwirklicht werden". Nicht ausgeschlossen werden können damit – insoweit ganz den Vorgaben der Aarhus Konvention entsprechend – die Bestimmungen über den fachgerichtlichen Rechtsschutz und die ausdrücklich europarechtlich normierte Umweltverbandsklage.
Der EuGH konkretisiert seinerseits die in das EU-Recht übernommenen Vorgaben der Aarhus Konvention und die allgemeinen Vorgaben für den Schutz der durch das EU-Recht verliehenen individuellen Rechte. Auch er hat zu Fragen der Projektgenehmigung durch Gesetz bereits entschieden. In seinen Entscheidungen "Boxus" und "Solvay" hat er Anforderungen entwickelt, denen die Informationsgewinnung, die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Öffentlichkeitsbeteiligung in solchen atypischen Genehmigungsverfahren genügen müssen.
Zum Rechtsschutz bei einer Projektgenehmigung durch Gesetz hat der EuGH betont, dass hierbei die Einhaltung der normativen Vorgaben des EU-Umweltrechts sichergestellt sein muss. Es steht zu erwarten, dass der EuGH die im MGVG vorgesehene Verkürzung des Rechtsschutzes vor dem Hintergrund der "Crossrail Act"-Entscheidung des ACCC, der UVP-Richtlinie und seiner allgemeinen Rechtsprechung zum Rechtschutz im Umweltrecht als unionsrechtswidrig bewerten wird.
Mit dem MGVG hat das federführende Verkehrsministerium nach dem Maut-Debakel Deutschland ein weiteres Mal auf den (diesmal noch deutlicher zu erkennenden) Irrweg kopflosen Anrennens gegen europarechtliche Vorgaben geführt. Der Versuch, den Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten mit der gesetzlichen Brechstange auszuhebeln, wird sich als untauglich erweisen. Er wird die Verfahren für die betroffenen Projekte nur noch mehr verzögern. Stattdessen wäre eher zu überlegen gewesen, wie die insbesondere im Naturschutzrecht mitunter überzogene gerichtliche Inhaltskontrolle rationalisiert werden kann.
Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er hat zu dem Thema für die Bundestagsfraktion der Grünen ein Gutachten im Gesetzgebungsverfahren erstattet.
Großprojekte per Gesetz: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40435 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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