Minderheitenrechte im Bundestag: Opposition in Zeiten der Großen Koalition

von Dr. Sebastian Roßner

31.10.2013

2/2: Auch eine kleine Opposition muss in der Lage sein, wirksam zu agieren

Von all diesen Quoren profitiert eine Miniaturopposition nicht. Nimmt man weiter hinzu, dass die Redezeiten im Bundestagsplenum nach gefestigter parlamentarischer Übung nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen verteilt werden, dann werden die Aussichten einer 20-Prozent-Opposition, die Regierung öffentlichkeitswirksam im Parlament zu kritisieren,  noch trüber.

Richtig ist aber: Auch eine kleine Opposition sollte in der Lage sein, ihre Aufgaben wirksam wahrzunehmen. Eine Opposition, die von einer Stunde Plenardebatte nur zwölf Minuten reden darf und die übrigen 48 Minuten den Vertretern der Mehrheit zuhören muss, eine Opposition, die keinen Untersuchungsausschuss einsetzen, keine Anhörungen in den Ausschüssen einleiten und bei wichtigen Anlässen nicht den Bundestag zusammenrufen darf, ist keine richtige Opposition. Denn eine solche muss die Regierung und die Mehrheitsfraktionen im Bundestag dazu zwingen können, die eigenen Entscheidungen öffentlich zu rechtfertigen.

Anders verhält es sich mit den Blockaderechten. Sie sollen sicherstellen, dass nur breite Mehrheiten besonders wichtige Entscheidungen, wie etwa eine Grundgesetzänderung, treffen können. Dass das Grundgesetz hier Zweidrittelmehrheiten für ausreichend hält, ist aus demokratischer Sicht nicht zu beanstanden, sofern nur die Minderheit zuvor die Chance hatte, ihren Standpunkt in angemessener Länger vorzutragen.

Auch in der Politik scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass im Zeichen einer großen Koalition etwas getan werden muss für die Chancen der Opposition. Aber die beiden großen Fraktionen wollen erst einmal abwarten, wie sich der Parlamentsalltag nach Bildung der Regierung darstellt, und dann gegebenenfalls die Geschäftsordnung anpassen. Auch freiwillige Selbstverpflichtungen der Mehrheitsfraktionen tauchten schon in der Diskussion auf. Die beiden Kleinen ziehen es hingegen vor, die Minderheitenrechte vor allem auch im Grundgesetz neu zu regeln. Vereinzelt wurde schon mit entsprechenden Klagen in Karlsruhe gedroht.

Selbstverpflichtung, Anpassung der Geschäftsordnung oder Verfassungsänderung?

Freiwillige Selbstverpflichtungen der Mehrheitsfraktionen sind nicht mehr als Absichtserklärungen. Darauf kann sich eine Opposition nicht verlassen. Auch Geschäftsordnungsregelungen geben keine sichere Handhabe, denn eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages kann sich ja ad hoc von diesen Bestimmungen lösen. Bei geschäftsordnungsrechtlichen Minderheitenrechten ist es aber nach bisherigem Verständnis nicht möglich, eine Abweichung dann zu beschließen, wenn das Minderheitenrecht im Einzelfall tatsächlich ausgeübt wird. Die GO BT bietet also einen gewissen Schutz.

Eine weitere Frage ist, wie Geschäftsordnungsregeln aussehen könnten, die inhaltlich das Grundgesetz modifizieren sollen. Da ein Quorum in der Verfassung nicht direkt durch die Geschäftsordnung abgeändert werden kann, müsste sich der Bundestag wohl verpflichten, auf Antrag einer bestimmten Minderheit, etwa von mindestens zwei Fraktionen, mit dem verfassungsrechtlich erforderlichen Quorum den gewünschten Beschluss zu fassen, also zum Beispiel einen Untersuchungsausschuss einzusetzen oder ein Normenkontrollverfahren einzuleiten.

Derartige Pflichten sind der GO BT bisher unbekannt. Diese Abstimmungspflichten müssten auch auf das einfache Recht, etwa auf die Normen über Beweisanträge und Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss ausgedehnt werden, damit die Geschäftsordnungsminderheit einen Untersuchungsausschuss auch effektiv nutzen kann. Die einschlägigen Vorschriften des Untersuchungsausschussgesetzes sehen nämlich jeweils ein Quorum von einem Viertel der Mitglieder vor.

Sicherer und klarer wäre es, das Grundgesetz und das einfache Recht entsprechend zu ändern. Aber die kleinen Fraktionen haben nur wenige Druckmittel, ihre Anliegen zu verfolgen. Sie sind darauf angewiesen, zu verhandeln und zu nehmen, was sie bekommen können, denn einen Rechtsanspruch darauf, dass die Minderheitenrechte erweitert werden, gibt es nicht. Es geht um sinnvolle und wünschenswerte, aber nicht um verfassungsrechtlich vorgeschriebene Änderungen des Rechts. Eine verfassungsgerichtliche Klage hätte daher kaum Erfolgschancen.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Minderheitenrechte im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9928 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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