"Der Goldene Aluhut": "Quer­denker" ver­langen Nega­tiv­preis

Gastbeitrag von Simon Gauseweg

17.10.2020

Eigentlich will den Negativpreis "Goldener Aluhut" niemand haben. Michael Ballweg und seine Corona-Leugner von "Querdenken 711" aber waren nominiert und wurden dann disqualifiziert. Nun drohen sie mit Klage. Popcorn, findet Simon Gauseweg.

Das Internet ist ein seltsamer Ort. Einerseits war noch nie in der Menschheitsgeschichte so viel Wissen so vielen Menschen so einfach zugänglich. Andererseits gilt das auch für den hanebüchensten Unsinn. Nachrichten, Online-Enzyklopädien und wissenschaftliche Publikationen sind stets nur wenige Klicks entfernt. Genauso nah sind aber auch die neuesten „Beweise“, dass die Erde flach, Gravitation eine Lüge, Einläufe mit Chlorbleiche heilsam oder ein Kondensstreifen am Himmel in Wahrheit eine Kriegslist reptiloider Satanisten mit Hang zur Weltherrschaft sei. Es gibt Menschen, die glauben das wirklich. Und es scheint, als würden sie mehr.

Man kann über solche Entwicklungen die Stirn runzeln, sich sorgen, es ignorieren – oder herzhaft darüber lachen. Die Organisation "Der Goldene Aluhu"“ hat sich für Letzteres entschieden. Seit 2014 betreiben Aktivisten unter diesem Namen Social-Media-Kanäle und klären augenzwinkernd über Verschwörungsideologien und Parawissenschaften, aber auch über Sekten und andere extremistische Strukturen auf. 2016 gründeten sie eine als gemeinnützig anerkannte Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), die seither Bildungsarbeit betreibt, Angehörige von Verschwörungsgläubigen berät und den seit 2015 bestehenden gleichnamigen Negativpreis verleiht.

Einen "goldenen Aluhut" erhält, zusammengefasst, wer sich in den Augen der Ausrichter durch außergewöhnlich abstruse Äußerungen besonders lächerlich gemacht hat. Das Feld der Nominierten und Preisträger ist dabei bunt. Im vergangenen Jahr wurden Preise an einen rechtsextremen Holocaustverharmloser (in der Kategorie Verschwörungstheorien allgemein), die AfD (Politik), Claas Relotius (Medien & Blogs), den Arzneimittelhersteller Hevert (Medizin & Wissenschaft) und Rudolf Steiner (posthum, Esoterik) verliehen. Die Begründung fällt dabei nicht gerade schmeichelhaft für die Preisträger aus. Für gewöhnlich erhalten die Gewinner die Möglichkeit, bei der Preisverleihung ihre Laudatio selbst zu halten und sich damit zum Gespött des lachenden Publikums zu machen. Die überwiegende Mehrheit der Preise wurde nicht abgeholt und noch auf der Veranstaltung versteigert.

Ein Erdrutschsieg und doch disqualifiziert

In diesem Jahr soll der Preis in der Kategorie "Politik" an den U.S.-Präsidenten Donald Trump gehen. Wäre da nicht die Stuttgarter Gruppe "Querdenken 711", die seit dem Frühjahr durch Demonstrationen gegen Hygieneregeln und für ihr ganz eigenes Grundrechtsverständnis von sich reden macht. In der für jedermann offenen Abstimmung erreichte sie mit 4.278 von 8.242 abgegebenen Stimmen (ca. 52%) einen Erdrutschsieg und ließ den Corona-Verharmloser von Übersee (17%) weit hinter sich. Ein klarer Sieg, möchte man meinen. Anderer Ansicht: der Goldene Aluhut.

Am 10. Oktober gab dessen Gründerin und Geschäftsführerin Giulia Silberberger auf Facebook bekannt, dass eine Reihe erstplatzierter Nominierter, darunter Querdenken 711 (in Kategorie Politik) und dessen Kopf Michael Ballweg (in der Kategorie Verschwörungstheorien allgemein) disqualifiziert würden. Sie begründete das zum einen mit einer Reihe DDoS-Attacken, die am Vortag die Abstimmungsserver zeitweise lahmgelegt hatten und mit Manipulationen der Abstimmung über Server in Malaysia und Indonesien. Zudem hätten sie Hassmails und Todeswünsche von Personen erreicht, die sich selbst zur Querdenken-711-Bewegung bekannt hätten – teils im Minutentakt. Silberberger: "Mein Award, meine Regeln."

Michael Ballweg und seine Querdenker bestehen nun allerdings auf ihre Auszeichnung. Das kommt überraschend, denn bislang wollten lediglich ein rechtsextremistischer Reichsbürger und ein Holocaustleugner die Trophäe entgegennehmen. Einer von ihnen ist ausgerechnet der selbsternannte "Volkslehrer" Nikolai Nerling, von dem sich "Querdenker" Ballweg zuletzt distanziert hatte. Genau wie Ballweg war Nerling im vergangenen Jahr in der Kategorie "Verschwörungstheorien allgemein" nominiert.

Frist bis Montag: Querdenken droht rechtliche Schritte an

Der Goldene Aluhut teilte noch am 10. Oktober einen Tweet von Querdenken, mit dem für das Datum der Preisverleihung eine Demonstration angekündigt würde. Thema: "Wir bestehen auf demokratische Abstimmungen beim Goldenen Aluhut". Parallel bestand man auf Verleihung der Preise, um "einen Dialog zu etablieren, vielleicht mit Menschen, die uns noch nicht so gut kennen", wie Ballweg sagt. Er lässt sich und seine "Organisation" dabei anwaltlich von der Leipziger Kanzlei Steve Winkler und Partner vertreten.

Die Anwälte von Querdenken, die im Internet vor allem damit werben, kostenlos für Kitaplätze zu sorgen, fordert in einem vom Goldenen Aluhut veröffentlichten Schreiben diesen mit Fristsetzung zum 19. Oktober auf, "zu erklären, dass [ihre] Mandantschaft die ihr zustehenden Preise in der Form, wie in der Auslobung bekanntgegeben, erhalten wird" und droht mit Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes.
Zivilrechtlich wäre, so vertreten die Parteien übereinstimmend, der Sachverhalt unter eine Auslobung nach § 657 BGB zu fassen. Der Goldene Aluhut wird vertreten vom Gründer der Würzburger Kanzlei Junit, Chan-jo Jun, bekannt u.a. durch seinen Kampf gegen Hate Speech insbesondere bei Facebook.   

Auslobung: Was hat der Goldene Aluhut versprochen?

Ballweg und Querdenken 711 scheinen sich darauf berufen zu wollen, dass es in der Auslobung hieß: "Vom 1.10. – 10.10. könnt ihr dann für euren Favoriten der jeweiligen Kategorie abstimmen. Die Abstimmung findet auf unserer Website statt." Daraus kann man durchaus schließen, dass der Preis für diejenigen ausgelobt wurde, die in der Abstimmung die meisten Stimmen erhalten.

Auf die Begründung der Nominierung Bezug zu nehmen, das fiele Ballweg und Querdenken dagegen womöglich auf die Füße. Die Kriterien der Auslobung darf der Auslobungsschuldner selbst frei bestimmen.

Wie weit das geht, hat ausgerechnet das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart in einem kaum weniger skurrilen Fall im Jahr 2015 festgestellt: Ein Impfgegner hatte 100.000 Euro für denjenigen ausgelobt, der ihm die Existenz von Masernviren "mit einer wissenschaftlichen Publikation" belegen konnte.

Ein Medizinstudent erbrachte, von Sachverständigen im Prozess bestätigt, den Nachweis. Allerdings legte er insgesamt sechs Publikationen vor, die den Beweis gemeinsam erbrachten – gefordert war in der Auslobung aber genau eine. Dieses Kriterium sei nicht erfüllt, urteilte das OLG Stuttgart, und verneinte den Zahlungsanspruch. Der BGH verwarf später die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

Popcorn: Was zu beweisen wäre

Quervordenker Ballweg wurde nominiert, weil er "gestützt auf falsche und teilweise bewußt [sic] gefälschte Informationen" und unter dem "Vorwand, Demonstrationen kosteten Geld "Scheinspenden (in Wirklichkeit Spenden zu seiner persänlichen [sic] Bereicherung) eingeworben" habe. Die Organisation Querdenken 711 sollte ihren Preis "für ihre Bemühungen die BRD GmbH zu stürzen, ihr Camp 'Verfassungsgebende Versammlung' im August in Berlin und ihre Demonstrationen" erhalten.

"Da sind wir gespannt, ob Querdenken tatsächlich hierfür den Beweis erbringen will", kommentiert Goldener-Aluhut-Anwalt Jun trocken.

Aber bereits an der Rechtsfähigkeit von Querdenken 711 zweifelt der Anwalt. Die Vereinigung sei in keinem Register verzeichnet. Eine Anfrage von LTO, wer die von ihnen laut ihrem Schreiben ebenfalls vertretene "Organisation" hinter Ballweg ist und in welcher Rechtsform diese organisiert ist, beantworteten die Anwälte von Ballweg bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht.  Für den Anwalt des Goldenen Aluhut stellt sich daher die Frage, ob Querdenken 711 nicht vielleicht "zu Ballwegs Privatvermögen gehört". Während das möglicherweise für die Erfüllung der Nominierungskriterien spräche, bleibt fraglich, ob Ballweg das auch gerichtlich bestätigt haben will.

Es bleibt also spannend und gerade Freunde derber juristischer Unterhaltung können hoffen, dass die Angelegenheit tatsächlich vor Gericht geht. Unabhängig vom Ausgang eines solchen Verfahrens haben Ballweg und Querdenken 711 schon eines bewiesen: Jeder hat das Recht, sich lächerlich zu machen. Und dieser Anspruch ist bereits außergerichtlich durchsetzbar.

Der Autor Simon Gauseweg ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht. Am meisten amüsieren ihn diejenigen Aluhut-Preisträger, die an der völkerrechtlichen Existenz der Bundesrepublik Deutschland zweifeln.

Zitiervorschlag

"Der Goldene Aluhut": . In: Legal Tribune Online, 17.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43130 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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