2/3: Alles wie gehabt? Die "neuen" Abmahnungen
Wie gehen nun aber die Abmahnkanzleien mit der neuen Gesetzeslage um? Schaut man sich die nach dem 9. Oktober 2013 versendeten Abmahnungen der großen Abmahnkanzleien wie Waldorf Frommer oder Sasse und Partner an, entsteht der Eindruck, "dass die herrschende Rechtspraxis die beiden, die anwaltlichen Abmahngebühren bewusst begrenzenden gesetzlichen Regelungen […] offensichtlich soweit irgend möglich ignoriert", wie es das Amtsgericht (AG) Köln in einem Urteil vom 10. März 2014 (Az. 125 C 495/13) ausgeführt hat.
Schlug eine Abmahnung für einen Kinofilm aus dem Hause Waldorf Frommer vor Inkrafttreten der Gebührendeckelungsvorschrift mit 956 Euro zu Buche, sollen für das Verbreiten einer Filmdatei nach neuer Gesetzeslage noch 815 Euro gezahlt werden. Die Kanzlei Sasse und Partner scheint die Reform vollkommen unbeeindruckt zu lassen – sie verlangt wie jeher 800 Euro für das Tauschen eines Films. Diese Beispiele ließen sich so oder ähnlich für nahezu jede andere Abmahnkanzlei fortführen. Zwar lassen die meisten Abmahnkanzleien die Gebührendeckelungsvorschrift in deren Textbausteinen nicht unbeachtet und haben die Anwaltsgebühren in der Kostenaufstellung im Vergleich zu den alten Abmahnungen reduziert. Etwa in gleichem Maße jedoch, wie die Aufwendungsersatzansprüche gefallen sind, steigen die Schadensersatzforderungen, so dass die Höhe der mit den Abmahnungen geltend gemachten Zahlungsansprüche zunächst (nahezu) gleich bleibt.
Bisherige Rechtsprechung zu den Schadenspauschalen: Elfer ohne Torwart
Kann man daraus folgern, dass das Gesetz wirkungslos verpufft? Wohl kaum. Es stand zu erwarten, dass die abmahnenden Kanzleien die gesetzliche Deckelung des Aufwendungsersatzes über den Schadensersatz kompensieren würden. Dies war auch im Gesetzgebungsverfahren Gegenstand der Diskussion. Auf eine Deckelung der Schadensersatzansprüche hat der Gesetzgeber gleichwohl und zu Recht verzichtet. Dies wäre ein systemwidriger Eingriff in das Schadensrecht gewesen und hätte im Einzelfall wohl auch zu unbilligen Ergebnissen geführt. Es macht, um nur ein Beispiel zu nennen, einen Unterschied, ob eine Filmdatei nur wenige Minuten "angeladen" oder aber tagelang der Allgemeinheit im Internet zur Verfügung gestellt wurde. Hier kommt es dann eben doch auf den Einzelfall an, den letztlich die Gerichte zu beurteilen haben.
Vor diesem Hintergrund verspricht der ebenfalls mit dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken neu eingeführte § 104a UrhG Besserung im Vergleich zur alten Rechtslage. Nach alter Gesetzeslage konnten die Rechteinhaber unter Ausnutzung des sogenannten fliegenden Gerichtsstands vor jedes mit Urheberrecht befasste Gericht ziehen. Vorzugsweise haben die abmahnenden Kanzleien bisher dort Klage erhoben, wo man schon zuvor in ihrem Sinn geurteilt hat. Die Kanzlei Waldorf Frommer beispielsweise klagte bisher – soweit bekannt – stets vor dem AG München, das den Rechteinhabern regelmäßig mit höchst kritikwürdigen Begründungen die geforderten pauschalen Schadensersatzbeträge zusprach. Für die Rechteinhaber ein Elfer ohne Torwart.
4.000 Euro für ein Musikalbum völlig unangemessen
Hiermit ist es aber vorbei. Nach § 104a UrhG ist der Rechteinhaber nunmehr gezwungen, den Verbraucher an seinem Wohnsitzgericht zu verklagen. Da die Rechtsfindung somit nicht mehr allein in der Hand einiger weniger Gerichte liegt, sondern auf eine breitere Grundlage gestellt wurde, ist zugunsten der Verbraucher eine ausgewogenere Rechtsprechungspraxis zu erwarten. Und tatsächlich: Es mehren sich schon jetzt Entscheidungen, die sich im Lichte der gesetzlichen Änderungen tiefergehend mit der Frage befassen, wie die Grundsätze der Lizenzanalogie in Filesharing-Fällen sachgerecht anwendbar sind.
So hat das AG Köln unter Bezugnahme auf das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken in dem oben erwähnten Urteil vom 10. März 2014 dem Rechteinhaber einen Schadensersatz von zehn Euro pro verbreitetem Musiktitel zugesprochen und höheren Schadenspauschalen eine Absage erteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Strafschadensersatz, der auch nur in die Nähe der von der Rechtsprechung (bisher) zuerkannten Beträge komme, sei kaum zu erwarten. Letztlich stelle sich der vorliegende Fall als geradezu typisches Beispiel für den von der Bundesregierung (im Zusammenhang mit der Gesetzesreform) skizzierten Zusammenhang dar: Schadensersatzansprüche von insgesamt annähernd 4.000 Euro Höhe für die Filesharing-Teilnahme mit einem einzigen Musikalbum seien völlig unangemessen.
Inzwischen ist für die Verteidiger somit eine offensivere Beratungspraxis geboten. Selbst wenn eine täterschaftliche Haftung im Raum steht, müssen die von den Abmahnkanzleien vorgegebenen Schadensersatzbeträge nicht mehr klaglos hingenommen werden. Ein Verfahren ist – sofern die Abmahner nicht zu einem lebensnahen Kompromiss bereit sind – durchaus eine Alternative. Ob es hierzu dann in jedem Fall kommt, ist mehr als fraglich. Denn für die Abmahner haben sich durch die neue Regelung die Verfahrenskosten und -risiken erheblich erhöht, was deren Klagebereitschaft im Einzelfall drastisch senken dürfte.
Carl Christian Müller, Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11814 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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