Studie zu rechtsextremen Einschüchterungsklagen: "Sie ver­su­chen, uns damit zu läh­men"

von Antonetta Stephany

20.06.2023

Hasskommentare, Gewalt auf Demos, Drohnachrichten – das Spektrum an rechtsextremer Bedrohung ist breit. Wie sieht ein Dunkelfeld von Klagen, Abmahnungen und juristische Einschüchterung aus? Dem widmet sich eine aktuelle Studie des IDZ Jena.

Demokratie lebt von Meinungsaustausch. Deshalb wird die Demokratie gefährdet, wenn Gruppierungen in einer Demokratie zur Verstärkung der eigenen Meinung versuchen, Gegenstimmen verstummen zu lassen. 

Dieses Phänomen ist von rechtsextremer Seite immer wieder zu beobachten: In sozialen Netzwerken werden Personen, die sich gegen rechtsextreme Ideen engagieren, mit Hasskommentaren überhäuft und ihre personenbezogenen Daten veröffentlicht. Politiker:innen, Journalist:innen oder andere öffentliche Personen erhalten von rechtsextremer Seite Drohbriefe oder werden sogar Opfer von Gewaltverbrechen. Demonstrant:innen, die sich für die freiheitlichen Werte des Grundgesetzes einsetzen, sind ebenfalls mit verbaler oder physischer Gewalt konfrontiert. 

Strategic Lawsuits Against Public Participation

Ein weiteres Mittel, das aber nicht immer vergleichbare mediale und öffentliche Aufmerksamkeit erhält, ist die juristische Intervention von rechtsextremer Seite. Eine Dimension, die auch die EU-Kommission bereits in einem Vorschlag für eine neue EU-Richtlinie aufgreift, sind dabei so genannte "SLAPPs", Strategic Lawsuits Against Public Participation. Doch die Mittel juristischer Intervention beschränken sich nicht auf Klagen, es sind weitere Formen wie Abmahnungen oder juristische Einschüchterungsversuche über Anwält:innen denkbar. "Sie versuchen, uns damit zu lähmen", beschreibt ein Betroffener das Phänomen.

Inwieweit es sich dabei um ein messbar etabliertes System handelt, war Forschungsfrage einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Dazu wurden (potentiell) Betroffene, vor allem Journalist:innen, Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Lokalpolitiker:innen befragt. In knapp 25 Interviews und Hintergrundgesprächen, einer Onlineumfrage mit knapp 250 Befragten sowie der Auswertung von gerichtlichen Entscheidungen war Ziel, die Dunkelziffer solcher rechtsextremer juristischer Interventionen zu erhellen, die Folgen solcher Interventionen zu skizzieren und Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene auszuloten.

IDZ: Netzwerk rechtsextremer Akteur:innen und Kanzleien

Ergebnis der Studie ist, dass sich ein Netzwerk aus verschiedensten rechtsextremen Akteur:innen und einzelnen Kanzleien entwickelt habe. Dieses setze flächendeckend und auch präventiv juristische Mittel ein, um ein breites Bedrohungsszenario zu schaffen. Dabei seien Opfer insbesondere Personen, die aufgrund mangelnder Vernetzung als vulnerabel gelten, da sie beispielsweise keine ausreichende Unterstützung in psychischer und finanzieller Hinsicht haben, sich gegen solche juristischen Angriffe zu wehren. 

Das IDZ relativiert die Ergebnisse der Studie dabei allerdings ein Stück weit selbst. So wird angemerkt, dass weiterer Forschungsbedarf bestehe, da eben nur Betroffene befragt wurden, Anwält:innen oder andere Akteur:innen im untersuchten Kontext wurden weitgehend nicht erfasst. 

Handlungsempfehlungen: Weitere Forschung und Unterstützungsangebote

Insgesamt empfiehlt das IDZ daher weitere Forschungen, die eben nicht nur Betroffenenperspektiven abfragen, sondern auch das von diesen Betroffenen angesprochene Netzwerk rechtsextremer juristischer Intervention "akteurszentriert" zu untersuchen. 

Darüber hinaus sollte überprüft werden, inwieweit auf juristischer beziehungsweise politischer Ebene Mittel geschaffen werden könnten, allgemein gegen den missbräuchlichen Einsatz juristischer Mittel vorgehen zu können. Aktuell sei hier nur eine negative Feststellungsklage möglich, diese komme in der Praxis aber sehr selten zur Anwendung. 

Schließlich sollten Beratungsstellen und Netzwerke etabliert werden, die Betroffene in entsprechenden Situationen unterstützen, finanziell, psychisch oder durch die Vermittlung von Anwält:innen. Auch sollten diese Stellen bereits präventiv tätig werden und potentielle Betroffenengruppen auf die Bedrohungen aufmerksam machen oder auch einzelne Äußerungen bereits im Vorfeld auf ihre Justiziabilität zu prüfen.

Initiative "Gegenrechtsschutz"

Ein Projekt in diese Richtung ist der "Gegenrechtsschutz", das in Kooperation mit der NGO "FragDenStaat" eingerichtet wurde. "Der Gegenrechtsschutz ist Infrastruktur gegen rechte Angriffe auf die Meinungs-, Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit", beschreibt das Projekt sich selbst. In der Praxis sollen Betroffenen gegen Abmahnung oder Klagen von rechtsextremer Seite beraten und unterstützt werden, juristische Expertise zu dem Bereich soll gebündelt werden und es sollen Netzwerke etabliert werden.

Zitiervorschlag

Studie zu rechtsextremen Einschüchterungsklagen: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52033 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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