2/2: Extremer bürokratischer Unterbau
Soweit, so umfassend. Doch was darüber hinaus noch an bürokratischem Unterbau in dem Gesetz geregelt ist, macht jeden Praktiker stutzig. So sollen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern alle drei bzw. alle fünf Jahre ein zertifiziertes betriebliches Prüfverfahren durchführen müssen. Dieses Verfahren ist formal streng geregelt und muss eine Bestandsaufnahme über den gezahlten Lohn, eine Analyse und einen Ergebnisbericht enthalten. Weist der Ergebnisbericht Benachteiligungen in Bezug auf das Entgelt auf, müssen Arbeitgeber künftig Abhilfe schaffen und dazu einen Umsetzungsplan anfertigen.
Nach der Durchführung des betrieblichen Prüfverfahrens soll zusätzlich die Pflicht bestehen, einen Bericht zur Frauenförderung und Entgeltgleichheit zu erstellen und diesen dem Statistischen Bundesamt zukommen zu lassen. Als wären das noch nicht genug Berichtspflichten, sind Arbeitgeber nach dem Entwurf weiter verpflichtet, auf Betriebs- oder Abteilungsversammlungen sowie auf Betriebsratsversammlungen über den Stand der Entgeltgleichheit zu informieren. Zudem soll für Maßnahmen zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit ein neues Mitbestimmungsrecht für den Betriebsrat eingeführt werden. Dazu muss das Betriebsverfassungsgesetz geändert werden.
Bürokratische Hürden statt realer Chancengleichheit
Die Summe der geplanten Auskunftspflichten, Informations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sowie die Pflicht zur Durchführung eines zertifizierten Prüfverfahrens in Unternehmen ab 500 Mitarbeitern ist zu groß. Der bürokratische Aufwand steht in keinem Verhältnis zum abzusehenden Nutzen. Es wird damit massiv in Unternehmensstrukturen eingegriffen. So müssen Zuständigkeiten für die Durchführung des Prüfverfahrens und die Anfertigung der Berichte geschaffen werden.
Aber auch kleinere Unternehmen können entgegen ihrer bisherigen Praxis dazu gezwungen werden, Statistiken zu führen oder ausgefeilte Entgeltsysteme einzuführen. Denn andernfalls werden sie kaum in der Lage sein, die hohen formalen Anforderungen an den Auskunftsanspruch zu erfüllen.
Zweifelhaft ist auch die Verpflichtung, bereits in der Stellenausschreibung das Mindestentgelt anzugeben. Denn damit erfahren nicht nur Mitarbeiter des Unternehmens das Lohnniveau für die ausgeschriebene Tätigkeit, sondern auch jeder Dritte. Welche Auswirkungen dies auf das Lohnniveau insgesamt haben wird, bleibt abzuwarten.
Noch zweifelhafter ist die Verpflichtung, in der Stellenanzeige anzugeben, ob der Arbeitgeber zu einer höheren Vergütung bereit ist. Dies sollte das Resultat einer überzeugenden Verhandlung bei entsprechender Qualifikation und nicht das Ergebnis einer Stellenanzeige sein. Praktisch dürfte es für Arbeitgeber schwierig werden, individuell einem Bewerber zu erklären, dass er im konkreten Fall nicht bereit ist, mehr als das angegebene Mindestentgelt zu zahlen.
An der Wirklichkeit vorbei
Wenn das Gesetz in der aktuellen Fassung in Kraft treten sollte, ist keine signifikante Verringerung der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen zu erwarten. Zu Recht erntet der Entwurf daher viel Kritik sowohl von arbeitgebernahen Verbänden als auch Frauen- und Arbeitnehmerverbänden, denen der Vorschlag nicht weit genug geht. Das Institut der deutschen Wirtschaft kam in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass der Unterschied der Einkommen nicht durch Diskriminierungen der Unternehmen entstehe und sich folgerichtig auch nicht qua Gesetz beheben ließe. Individuelle Entscheidungen wie Teilzeitarbeit oder der Verzicht auf Führungspositionen, Faktoren wie Betriebsgröße und Branche und nicht zuletzt auch die immer noch bestehenden Defizite in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien maßgeblich für Lohndifferenzen.
Diese Aspekte lässt der Gesetzesentwurf jedoch außen vor. Wichtiger als die mit dem Gesetz geplante Einführung maßloser Berichtspflichten wäre es, an der in der Praxis immer noch so schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf anzusetzen. Denn Kindererziehung ist nicht nur Frauensache. Lohngleichheit ist die Folge echter Chancengleichheit und nicht die von Berichtspflichten für Unternehmen.
Erst wenn sich nach der Geburt eines Kindes endlich auch junge Väter für einen längeren Zeitraum in die Elternzeit verabschieden und/oder nur noch in Teilzeit arbeiten, wird sich das Lohnniveau anpassen. Denn erst dann wird es für Arbeitgeber aus unternehmerischer Sicht genauso "riskant", einen jungen Mann mit Familie oder Familienplanung einzustellen wie eine junge Frau.
Die Autorin Anna Köhn ist Rechtsanwältin bei Altenburg Fachanwälte für Arbeitsrecht in Berlin. Sie berät Unternehmen und öffentliche Institutionen auf sämtlichen Gebieten des Arbeitsrechts.