Verschärfte Zugangskontrollen bei Gericht: Aufrüs­tung gegen die Bürger

Nachdem im Januar ein Angeklagter einen bayerischen Staatsanwalt erschoss, rüsten die Gerichte auf: private Sicherheitsdienste, Videoüberwachung, Notfallknöpfe. Florian Albrecht erläutert, warum die Justiz auch zulasten der eigenen Sicherheit einen freien Zugang zu den Gerichten gewährleisten und Risiken in Kauf nehmen muss.

Der Mann, der aus Hass auf die Justiz im Gerichtssaal des Amtsgerichts Dachau einen Staatsanwalt erschoss, ist mittlerweile verurteilt. Doch noch bevor die Verhandlung überhaupt begonnen hatte, hatten die Justizminister der Länder vielerorts schon längst reagiert. Der Ein- und Umbau von Sicherheitsbereichen, die Aufstockung der Wachtmeistereien, die Beschäftigung privater Sicherheitskräfte sowie die Installation von Videokameras und Notfallknöpfen unter den Richterbänken sollen verhindern, dass sich eine so schreckliche Tat wiederholt.

Im Zentrum der neuen Überwachung stehen allerdings nicht die angeklagten Straftäter – wie die Vorgeschichte vermuten lassen mag; sondern die normalen Bürger, die als Zuschauer Gerichtsverhandlungen beiwohnen. Sie sollen bei Eingangskontrollen "durchleuchtet" und notfalls auch mit Pfefferspray und Schlagstöcken auf Abstand gehalten werden. Die Gerichtssäle sollen im Interesse des Gerichtspersonals und der Rechtsanwälte zu waffen- und angstfreien Festungen ausgebaut werden.

Der Besucher wird zum Störer

Sicherheitsschleusen, die denen an Flughäfen in nichts nachstehen, sind mittlerweile schon üblich. Mancherorts werden sogar so genannte Anwesenheitslisten geführt. Wer nicht als Verhandlungsbeteiligter auf der Liste notiert ist, wird nicht nur einer strengen Taschen- und Gepäckkontrolle unterzogen, sondern auch argwöhnisch nach dem Sinn und Zweck seines Besuchs und dem Zeitpunkt seines voraussichtlichen Verlassens des Gerichtsgebäudes befragt (so beispielsweise am Amtsgericht Passau).

Es wird auch berichtet, dass mancherorts intensive Kontrollen wegen personeller Engpässe zu langen Wartezeiten führen. Der freie und ungehinderte Zugang zu Gerichtsgebäuden wird also ganz erheblich erschwert. Es ist nicht auszuschließen, dass dies Bürger und insbesondere Besuchergruppen, wie Schulklassen, von den früher üblichen Gerichtsbesuchen abschrecken kann.

Dass solche Besuche aber wichtig sind, ist keine neue Erkenntnis. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung stützt sich auf eine lange Tradition aus der Zeit der Aufklärung. Niemand sollte daher daran gehindert werden,  ohne größere Schwierigkeiten an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen.

Schutz vor Geheimjustiz

Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und entspricht den üblichen Gepflogenheiten einer Demokratie (BVerfG, Urt. v. 24.01.2011, Az. 1 BvR 2623/95). Der Bürger soll die Möglichkeit haben, sich einen Einblick zu verschaffen, wie Gerichte funktionieren und das Recht anwenden.

Als Besucher nimmt man damit auch eine wichtige Kontrollfunktion wahr. Im Strafprozess wird der Angeklagte so vor eine Geheimjustiz geschützt, die ihn willkürlich sanktioniert. Die mögliche Anwesenheit von Zuschauern soll die Behandlung aller ohne Ansehen der Person sicherstellen. Die Gerichte müssen sich einer solchen Kontrolle stellen und sich als unvoreingenommen und unparteilich bewähren. Niemand soll das Gefühl bekommen, dass "man unter sich" ist und Verfahrensgarantien außer Acht lassen oder Beschleunigungsgründe in den Vordergrund des Verfahrens stellen könnte (BVerfG, Urt. v. 24.01.2011, Az. 1 BvR 2623/95).

Natürlich kann und muss der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht ausnahmslos gewährt werden. Die Persönlichkeitsrechte der am Verfahren Beteiligten, der Opferschutz und der Anspruch auf ein faires Verfahren können gewichtige Gründe sein, die Besucher im Einzelfall auszuschließen.

Permanente Gefahr für Richter und Staatsanwälte fernliegend

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kann der Grundsatz der Öffentlichkeit auch ohne gesetzliche Grundlage aufgrund unabweisbarer Bedürfnisse der Rechtspflege eingeschränkt werden (Beschl. v. 13.03.2012, Az. 2 BvR 2405/11). Etwa dann, wenn sich die Vermutung aufdrängt, dass nur der Ausschluss der Öffentlichkeit eine sichere und ungestörte Durchführung der Gerichtsverhandlung gewährleistet.

In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung dafür konkrete Anhaltspunkte gefordert, die beispielsweise einen Anschlag auf das Leben eines der Beteiligten befürchten ließen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.09.1997, Az. 2 BvR 1676/97). Personenkontrollen durften nur anlassbezogen stattfinden (VG Wiesbaden, Beschl. v. 20.01.2010, Az. 6 K 1063/09) und nicht zum Dauerzustand werden. Eine permanente Gefahr für Richter und Staatsanwälte ist auch nach dem Attentat in Dachau fernliegend.

Die Beschränkung der Öffentlichkeit muss immer auf das zwingend erforderliche Maß reduziert werden. Sicherheitsschleusen und Personenkontrollen müssen so eingerichtet werden, dass sie jedermann ohne weiteres passieren kann. Die Kontrollen dürfen nicht dazu führen, dass die Öffentlichkeit insgesamt oder einzelne Personen oder Gruppen ausgeschlossen werden, auch wenn es nur ein faktischer Ausschluss ist.

Zwar nimmt die Gesellschaft Risiken überall hin – mit Atomkraftwerken oder der Teilnahme am Straßenverkehr; die Kontrollpraxis der Gerichte dürfte sich dennoch weiter verfestigen. Man sollte sich als potentieller Besucher im Interesse von Demokratie und Rechtsstaat nicht davon abschrecken lassen. Angeklagte sollten zudem den mit Personenkontrollen einhergehenden möglichen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit in der mündlichen Verhandlung rügen. Vielleicht kann sich dann auch in der Justiz der Grundsatz durchsetzen, wonach es Sicherheit nicht um jeden Preis geben darf. Alltägliche Risiken müssen vielmehr hingenommen werden. Dazu gehört leider auch die Möglichkeit, Opfer eines Attentats zu werden.

Der Autor Florian Albrecht, M.A., ist Akademischer Rat a. Z. und Geschäftsführer der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik (for..net) an der Universität Passau. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Landshut und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht.

Zitiervorschlag

Florian Albrecht, Verschärfte Zugangskontrollen bei Gericht: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7768 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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