Zwar ist inzwischen die Vorlage eines gefälschten Impfausweises strafbar. Doch um Täter tatsächlich zu bestrafen, müssten die Apotheker auch Anzeige erstatten. Doch viele zögern wegen ihrer Schweigepflicht. Zu Unrecht findet Gunnar Duttge.
Gerade erst hat der Gesetzgeber die Herstellung und Vorlage eines gefälschten Impfzertifikats ausdrücklich in §§ 277, 279 StGB n.F. mit Strafe bedroht. Der illegale Markt für gefälschte Impfzertifikate boomt dennoch. Das ist in Anbetracht der Zutrittsbeschränkungen für nicht-immunisierte Personen wenig überraschend. Belastbare Zahlen gibt es bislang nicht, aber die Landeskriminalämter gehen unisono von einer erheblichen Zunahme von im Umlauf befindlichen Fälschungen aus – und von einem noch viel höheren Dunkelfeld. Denn die gelben Papier-Impfausweise sind ohne sicherungstechnische Ausstattungsmerkmale und werden von manchen Besitzer:innen nach Erhalt der Corona-Impfung auch noch zur Freude der Fälscher:innen in den sozialen Medien gepostet, mitunter sogleich mit der jeweiligen Chargennummer des Impfstoffs.
Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Monaten vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Zusammenarbeit mit der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ein Online-Tool entwickelt, das es allen Apotheken erlaubt, über den Identitäts-, Vollständigkeits- und Plausibilitätscheck hinaus die Verkehrsfähigkeit des angeblich eingesetzten Impfstoffs zu prüfen (sog. Chargenprüfung). Es ist seit kurzem freigeschaltet. Auf diese Weise können Apotheker:innen nunmehr ihrer Prüfpflicht aus § 22 Abs. 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) sorgfältiger als bisher Folge leisten und die erbetene Digitalisierung ggf. verweigern.
So lange sie die Täter:innen aber nicht anzeigen, können diese es bei anderen Apotheken so oft versuchen, bis sie vielleicht doch noch ihren digitalen Impfausweis erhalten. Vor einer Anzeige scheuen sich viele Apotheker:innen allerdings aus Sorge vor einer Verletzung ihrer Schweigepflicht. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Empfehlungen der Landesapothekenkammern sind uneinheitlich, das Bundesgesundheitsministerium wie auch einzelne Generalstaatsanwaltschaften betrachten jene Sorge für unbegründet, andere halten sich bedeckt.
Fehlverständnis der Apotheker oder Versäumnis des Gesetzgebers?
So sind auf den Webseiten mancher Apothekenkammern Formulare zur Schweigepflichtentbindung zu finden oder es wird empfohlen, vor einer Kontaktaufnahme mit Polizeibehörden eine "genaue Rechtsgüterabwägung im Einzelfall" durchzuführen. Dass dies nicht gerade zum Handeln motiviert bzw. in der Praxis auch überhaupt nicht sinnvoll ist, liegt auf der Hand.
Blickt man auf die Verlautbarungen der verschiedenen Landesapothekerkammern und ihrer Justiziar:innen, ist unschwer zu erkennen, dass die Rechtslage unterschiedlich eingeschätzt wird. Offensichtlich falsch ist dabei die Annahme des Geschäftsführers der Apothekenkammer Sachsens, wonach "jemand, der als Straftäter in die Apotheke kommt, kein Recht auf die Schweigepflicht" habe, wie er in der Pharmazeutischen Zeitung erläutert. Denn das Recht kennt keine "Schutzunwürdigkeit von Geheimhaltungsinteressen" per se, sondern nur Gründe, wonach diese bei überwiegenden Interessen anderer Personen bzw. der Allgemeinheit ausnahmsweise zurücktreten. So regelt es der rechtfertigende Notstand in § 34 StGB.
Gefahren für die Gesundheit anderer zählen selbstredend zu den rechtlich geschützten Interessen, deren Abwendung im allgemeinen Interesse liegt. Es sollten darüber hinaus keinerlei Zweifel bestehen, dass die soziale Begegnung mit Ungeimpften in einer pandemischen Lage potentiell gesundheitsgefährlich ist, insbesondere in Anbetracht der exponentiellen Ausbreitung der mutmaßlich hochansteckenden Omikron-Variante. Auch werden kommunikative Überzeugungsversuche des Apothekers oder der Apothekerin im bilateralen Gespräch gegenüber jenem, der soeben einen gefälschten Impfausweis vorgelegt hat, kaum als ausreichende Verhaltensalternative zur Gefahrenabwehr in Betracht kommen.
Die entscheidende Frage für die Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstandes lautet daher: Genügt bereits die abstrakte Gefährlichkeit eines potentiellen Infektionsträgers oder einer -trägerin, um von einer "gegenwärtigen" Gesundheitsgefahr für andere bzw. die Allgemeinheit ausgehen zu können, so dass diese Gefahrendimension in ihrer Wertigkeit die individuellen Geheimhaltungsinteressen gegenüber dem oder der pflichtigen Apotheker:in "wesentlich überwiegt"?
Die Irrelevanz der Kontroverse um ex ante vs. ex post
Unbestritten ist § 34 StGB bereits bei einer sog. "Dauergefahr" einschlägig, also dann, wenn der Schadenseintritt zwar jederzeit möglich erscheint, aber nicht unbedingt unmittelbar bevorsteht. Darüber hinaus verlangt unter anderem der Bundesgerichtshof (BGH), dass sich ein Umschlagen der Gefahr in eine Verletzung "bei ungestörter (natürlicher) Weiterentwicklung der Dinge nach menschlicher Erfahrung" als sicher oder hochwahrscheinlich offenbaren muss, "falls nicht alsbald eine Abwehrmaßnahme ergriffen wird" (Urt. v. 28.08.1996, Az. 3 StR 180/96).
Das wird mit Blick auf eine Ansteckungsgefahr mit dem SARS-CoV-2 maßgeblich von den Verhaltensgewohnheiten und/oder Lebensplänen des oder der ungeimpften Apothekenkund:in abhängen. Wenn dieser oder diese aber kriminelle Energie aufbringt, sich einen gefälschten Impfausweis zu verschaffen und in einer Apotheke vorzulegen, drängt sich förmlich auf, dass er oder sie sich kaum anschließend in freiwillige Quarantäne begeben und wie ein Klostermönch einsam und allein zu Hause sein Dasein fristen will.
Angesichts der fortwährenden, erheblich gesteigerten Selbstansteckungs- und Weiterverbreitungsgefahr, die von ungeimpften Personen ausgeht, wird man auch die Notwendigkeit sofortigen Handelns zum Wohle der Gesundheit beliebig vieler anderer nicht bestreiten können. Das Ansteckungsrisiko muss sich zwar nicht realisieren, kann es aber zu jeder Zeit.
In Anbetracht dessen kommt es dann aber nicht mehr darauf an, ob es für die relevante Gefahrenprognose auf den Zeitpunkt der Urteilsfindung oder auf den der Anzeige, also der Notstandshandlung, ankommt. Denn der Annahme eines vom Ungeimpften ausgehenden ernstlichen Infektionsrisikos, steht die spätere Feststellung, dass er vielleicht doch niemanden angesteckt hat (oder ihm jedenfalls nicht nachgewiesen werden könne), nicht entgegen.
Die epidemiologische Lage ist derzeit nämlich nach Maßgabe wissenschaftlicher Evidenz so, dass die Verweigerung der (mindestens doppelten) Schutzimpfung die eigene Ansteckungsgefahr und damit zugleich das Risiko einer Weiterverbreitung des Virus erheblich erhöht. Bekanntlich steigt das Niveau der Infektiosität bereits erheblich im präsymptomatischen Stadium, so dass es für Apotheker bei der Risikoeinschätzung keine Option ist, ihre Entscheidung nach erkennbaren Symptomen zu orientieren.
Folgen für Apotheker und die Allgemeinheit
Bis auf Weiteres bildet die allgemeine Notstandsregelung daher eine tragfähige Grundlage, um in Apotheken mutmaßlich Ungeimpften nicht nur die erbetene Digitalisierung des gefälschten Impfnachweises zu verweigern, sondern die betreffenden Personen den zuständigen Polizeibehörden zu melden und das vorgelegte Fake-Dokument einzubehalten. Der Fortbestand dieser Befugnis – nicht etwa einer Pflicht – ist allein von der weiteren Entwicklung der Pandemie abhängig, nicht aber davon, dass es sich bei der Vorlage eines gefälschten Impfzertifikats neuerdings um eine Straftat handelt. § 34 StGB hat einzig den Zweck, Gefahren abzuwenden, nicht aber die Strafverfolgung unter Zuhilfenahme eines mehr oder weniger weiten Kreises bürgerlicher "Hilfs-Sheriffs" zu befördern.
Sollten Apotheker:innen irrtümlich von einem gefälschten Impfausweis ausgehen, so hätten sie die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 34 StGB verkannt – was ihre Strafbarkeit mangels Vorsätzlichkeit der Schweigepflichtverletzung ebenfalls ausschlösse (sog. Erlaubnistatumstandsirrtum) – übrigens unabhängig von der geübten Sorgfalt bei der Prüfung der Sachlage.
Der Blick auf die aktuellen Verlautbarungen der Landesapothekenkammern zeigt aber: Diese bundeseinheitliche Rechtslage versteht sich offensichtlich nicht von selbst. Es wäre für den Gesetzgeber ein Leichtes gewesen, diese Situation vorauszusehen und sich in Kenntnis der gestiegenen praktischen Relevanz gefälschter Impfbescheinigungen – statt sich auf das materielle Urkundenstrafrecht zu beschränken – auch die verfahrensmäßigen Implikationen des Realgeschehens in den Blick zu nehmen. Wenn es allgemein wünschenswert ist, dass Apotheker:innen auf Versuche einer Verschleierung des Ungeimpftseins vor Ort im Sinne einer couragierten Gefahrenabwehr reagieren, dann drängt sich das Schaffen einer rechtssicheren Befugnisnorm in Konkretisierung des § 34 StGB auf.
Der Autor Prof. Dr. Gunnar Duttge ist Direktor der Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Biorecht (Juristische Fakultät) sowie Vorstandsmitglied des Zentrums für Medizinrecht an der Georg-August-Universität Göttingen.
Gefälschte Impfpässe: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47086 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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