3/3: "Dass ich sage, was ich ohnehin denke, ändert an meiner Unabhängigkeit nichts"
LTO: Aber Sie sind in der Öffentlichkeit zur Zurückhaltung verpflichtet. Das ist nicht nur eine Gepflogenheit, sondern folgt aus § 39 des Deutschen Richtergesetzes, nach dem der Richter sich "innerhalb und außerhalb seines Amtes" so zu verhalten hat, dass "das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird".
Fischer: Das wird sie aber nicht, weil ich Ansichten äußere, die ich ohnehin habe, und darüber offen diskutiere. Es ist naiv zu denken, Rechtsprechung sei wie Mathematik, wo es für jedes Problem genau eine richtige Lösung gibt. Die Lösung hängt, innerhalb der oft weiten gesetzlichen Spielräume, von den persönlichen Überzeugungen des Richters ab, die durch seine Weltanschauung und natürlich auch durch seine politische Einstellung geprägt sind. Dieser Überzeugung zu folgen ist Ausdruck seiner Unabhängigkeit, und sie zu veröffentlichen ist weder für die Unabhängigkeit eine Gefahr noch für das Vertrauen in sie. Die Welt ist voll von Richtern mit Vor-Urteilen, die wie Sphinxen dasitzen und so zu tun versuchen, als träten sie den Dingen wie Neugeborene entgegen.
LTO: Ein wegen Vergewaltigung angeklagter Neonazi könnte dennoch Bedenken anmelden, nachdem Sie über diese Personengruppe geäußert haben, sie bestehe aus "Witzfiguren", die auf "Kindertrommeln" dreschen, "saufen", bis sie sich "vollpissen", und darüber doch nicht vergessen können, dass "der hübsche Syrer mit Auto, Arbeitsplatz und Wohnung" mehr Erfolg beim anderen Geschlecht hat.
Fischer: Und er dürfte Befangenheit rügen wie jeder andere. Allerdings: Erstens fehlt mir wegen der Bewertung einer Gruppe nicht der Blick für die Situation ihrer einzelnen Mitglieder, die durch Schicksalsschläge zur Tat gedrängt oder auch völlig unschuldig sein mögen. Und zweitens ist eine ablehnende Einstellung gegenüber rechtsextremistischen Gewalttätern für einen deutschen Richter gewiss nicht unziemlich. Ich habe auch noch nie gehört, dass einem Richter vorgehalten wurde, er habe eine grundsätzlich eher negative Einstellung gegenüber islamistischen Terroristen.
"Rückblickend würde ich manchmal einen anderen Ton wählen"
LTO: Ihre Texte sind meist sehr umfangreich. Wie lang sitzen Sie daran?
Fischer: Ich schreibe die Kolumne normalerweise am Sonntag und habe vorher zwar ein Thema im Kopf, aber keinen genauen Plan. Der ergibt sich. Am Montag früh ergänze ich noch ein paar Gedanken, die mir über Nacht gekommen sind.
LTO: Haben Sie schon mal im Nachhinein etwas bereut, was Sie geschrieben haben?
Fischer: Dass man auf die eigenen Texte auch kritisch zurückblickt, ist selbstverständlich und Voraussetzung jedes reflektierten Schreibens. Konkret: Manche Details würde ich aus heutiger Sicht anders intonieren. Das ist beim Schreiben nicht anders als im Jazz.
LTO: Fällt es Ihnen schwer, jede Woche ein neues Stück liefern zu müssen?
Fischer: Nein. Die Regelmäßigkeit mag der Fluch des Kolumnisten sein, aber mir hat sie noch keine Probleme bereitet.
LTO: Zu guter Letzt: Wann sehen wir Sie endlich auf Twitter?
Fischer: Nicht in diesem Leben. Es gibt auch Grenzen…
Prof. Dr. Thomas Fischer ist Vorsitzender des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof und Autor des Standardwerks Fischer: Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen. Auf Zeit Online veröffentlicht er wöchentlich die Kolumne "Fischer im Recht".
Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.
Constantin Baron van Lijnden, Thomas Fischer: Der Richter als Kolumnist: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18172 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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