2/3: "BGH-Kollegen tun, als gäbe es meine Kolumne nicht"
LTO: Kann man wohl sagen. Gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Doppelvorsitz des 2. und 4. Strafsenats des BGH oder die mangelnde Aktenlektüre aller einen Beschluss unterzeichnender Richter des BGH machen Sie kräftig Stimmung – und das, obwohl Sie schon als Senatsvorsitzender und Herausgeber eines der wichtigsten Strafrechtskommentare erheblichen Einfluss ausüben. Bauen Sie da nicht eine bedenkliche Diskurshoheit auf?
Fischer: Eine erstaunliche Frage! Es steht ja jedem frei, selbst Richter zu werden, einen Kommentar herauszugeben oder Zeitungsartikel zu schreiben; alles drei geschieht auch. Am BGH herrscht in letzterer Hinsicht allerdings verbissenes Schweigen. Meine Kolumne empfinden manche Kollegen dort vielleicht als Verletzung der angeblich feinen Umgangsformen oder eines Komments gravitätischen Schweigens, und tun daher so, als gäbe es sie nicht.
Gleichzeitig erhalte ich aber viele Rückmeldungen aus den Instanzgerichten, manche davon mit der reflexartigen Beteuerung, bei ihnen gehe alles nach bester Ordnung zu, manche auch mit Dank und Lob, weil ich bestimmte Missstände offen anspreche. Alles, was ich zu den von Ihnen erwähnten Themen in der Presse gesagt habe, habe ich zudem auch in einschlägigen Fachveröffentlichungen gesagt, und zwar deutlich früher.
"Auch in der Fachwelt gewinnt nicht immer das beste Argument"
LTO: Und dort offenbar keine Mehrheit für Ihren Standpunkt gefunden. Ist es dann angemessen, die Debatte in die Öffentlichkeit zu zerren, wo man mit ganz anderen Mitteln punkten kann?
Fischer: Der Frage liegt die leider unzutreffende Vorstellung zu Grunde, in der Fachwelt gäbe es einen Diskurs, bei dem unter rein sachlichen Gesichtspunkten stets das beste Argument gewinnt. So ist es gedacht, so wird es auch versucht, aber so funktioniert es in der Praxis natürlich nicht immer. Die Entscheidung zum Doppelvorsitz oder die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, vier Augen sähen bei der Aktenlektüre ebenso viel wie zehn, sind von solch kristallener Unsinnigkeit, dass sich dafür beim besten Willen kein vernünftiges Argument finden lässt, und auch bis heute nicht gefunden wurde. Aber beides dient dem Interesse der Justiz an der Wahrung ihrer Abläufe bzw. der Exekutive an der Schonung von Ressourcen. Deshalb wird die Gegenmeinung sich in einer Debatte nicht durchsetzen können, die von Angehörigen dieser Gruppen beherrscht wird. Die Gefahr unsachlicher Argumentation hat sich also längst verwirklicht – dann will ich die Fragen zumindest denen vor Augen führen, die mit den Antworten leben müssen. Namentlich also den Bürgern, denen nicht gesagt wird, dass sie, damit ein paar Richterstellen gespart werden, mit weniger gründlicher Arbeit des Obersten Gerichtshofs leben müssen: Das Personal des BGH ist nach der Wiedervereinigung nicht substanziell erhöht worden, sondern "erledigt" seit 1990 die Revisionen von 20 Millionen neuen Bürgern einfach zusätzlich. Es liegt auf der Hand, dass dies zu einer Verringerung der Gründlichkeit führt.
LTO: Die Gelegenheit nutzen Sie aber auch, um über abweichende Ansichten anderer Richter zu spotten. Kein Wunder, dass der BGH Sie hasst.
Fischer: Ach was, der BGH liebt mich – er weiß es nur noch nicht. Mit der Trennung von Kritik in der Sache und Kritik an der Person tun sich manche Kollegen zwar leider schwer. Ich spotte aber nicht über sie und auch nicht über ihre "Ansichten" sondern über deren Präsentation, die versucht, Kritik auszugrenzen oder als "persönlichen" Spleen zu denunzieren.
Constantin Baron van Lijnden, Thomas Fischer: Der Richter als Kolumnist: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18172 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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